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Augenzeuge eines gräßlichen Massakers

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Bürgerkrieg in Ruanda: Kaum vorstellbar sind die Grausamkeit und das Chaos in diesem afrikanischen Land.

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Bürgerkrieg in Ruanda: Kaum vorstellbar sind die Grausamkeit und das Chaos in diesem afrikanischen Land.

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Nachdem er Zeuge des kaltblütigen Abschlachtens von 1.200 seiner Pfarrkinder in der Missionsstation Musho in Ruanda geworden war, verließ der Salesianerpater Danko Litric tief schockiert und betroffen den Ort seines Wirkens. Insgesamt zwölf Jahre hatte er in Ruanda verbracht, davon vier in der Missionsstation, die sieben Pfarrzentren und 80.000 Personen umfaßt. Davor hatte er acht Jahre in den Vororten von Kigali gewirkt. Nach seiner Rückkehr nach Zagreb berichtet er von den Greueln:

Zeugnis des Grauens

Am Tag nach der Ermordung des Präsidenten von Ruanda strömten Hunderte Menschen in die Missionsstation von Pater Litric. Tutsis, die der Minderheit angehören, suchten Schutz vor den Attacken der Hutus, die Anhänger des Präsidenten sind. Die meisten suchten Zuflucht in der Kirche. Sie hofften, sich auf diese Weise retten zu können, da solche „heiligen Orte" bei früheren Kämpfen verschont geblieben waren.

1.200 Menschen waren letztlich zusammengeströmt. Sie wurden zahlenmäßig erfaßt und mit Nahrung versorgt. Der Ort war rundherum von Hutus abgeriegelt. Die entsetzlichen Nachrichten, die die Runde machten, veranlaßten zuerst eine italienische Familie samt Kindern, einen italienischen Priester und einen kroatischen Missionar sowie spanische und italienische Nonnen zur Flucht aus der Missionsstation. Beim darauffolgenden Einbruch in das verlassene Haus der Nonnen wurden die Menschen, die sich dort versteckt hielten, einfach umgebracht.

Die beiden slowenischen Priester August Horvat und Pater Litric hatten beschlossen zu bleiben, in der Hoffnung, ihre Pfarrkinder irgendwie retten zu können. Die Missionsstation selbst war mittlerweile schon von einer Horde junger, bewaffneter Leute (der „Jugend für den Präsidenten") belagert. Sie gaben vor, die Mission zu bewachen, ermordeten aber sofort jeden, der auch nur einen Schritt aus der Kirche machte.

Eines Morgens - die Messe sollte gerade beginnen drang eine Gruppe dieser bewaffneten Jugendlichen ein. Sie waren mit Macheten, Gewehren und anderen mörderischen Instrumenten ausgerüstet und zwangen die Priester mit Waffengewalt, in ihr Haus zu kommen.

Pater Litric versuchte, die Bande davon zu überzeugen, daß Verhandlungen demnächst beginnen würden. Er konnte sich aber kein Gehör verschaffen, nicht zuletzt weil einige von den Jungen unter Alkohol- und Drogeneinfluß standen. Und so begann das Morden.

Pater Litric sah, wie die Jugendlichen auf das Dach kletterten und Handgranaten in die Kirche warfen. Jeder, der versuchte, aus der Kirche zu flüchten, wurde im Hof sofort in Stücke geschlagen. Wer flüchten konnte und eingeholt wurde, starb im Kugelhagel. Das Gemetzel dauerte von halb sieben Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags, berichtet Litric, immer noch sichtlich erschüttert.

So warteten die Priester darauf, als nächste an der Reihe zu sein. Ständig waren Stimmen zu hören, man möge auch sie erschießen. Im letzten Moment stoppte einer der „Bosse" der rnörderiscnen Gruppe -eines ihrer Pfarrkinder vom Hutu-Stamm - das Gemetzel. Niemand weiß, warum.

Nachdem das Schlachten beendet war, verschwanden die Mörder. Die Priester konnten nur mehr eine Messe für die unzähligen Opfer feiern. Einige Hutu-Priester, die versucht hatten, Tutsis zu schützen, wurden ebenfalls ermordet. Der Erzbischof von Kigali, Vincent Nsengiyumva, selbst ein Hutu-Angehöriger, unternahm dabei alles in seiner Macht stehende, um die Tutsi-Priester zu schützen.

Religiöse Aspekte nicht im Spiel

Kurz darauf trafen italienische Soldaten ein, berichtet Litric weiter, offenbar im Gefolge eines Hilferufes, den die Missionsstation vorher gesendet hatte, ohne zunächst eine Antwort bekommen zu haben. Ohne ihr Erscheinen hätten die Priester wohl letzlich nicht überlebt. Zwei Minuten hatten sie Zeit, um ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen. Außer ihnen durfte niemand mit. Es gab ja nur wenige Überlebende, ein paar Kinder, die meisten schwer verstümmelt, mit abgeschnittenen Ohren oder abgeschlagenen Händen. Auf dem Weg nach Kigah mußten die Flüchtlinge durch 30 Hutu-Kontrollpunkte.

Was die Hintergründe dieses Bürgerkrieges betrifft, meint Pater Litric, daß religiöse Aspekte nicht im Spiel seien. Denn in beiden Stämmen gibt es Katholiken, Protestanten, Moslems und auch Anhänger von Naturreligionen. Jahrhunderte hindurch hatten die Tutsis das Land beherrscht und die Hutus unterworfen. Während der Revolution 1959 wurde der König gestürzt und die Hutus übernahmen die Macht.

Viele Tutsis gingen damals ins Exil und wurden dort reich. Sie unterstützten mit ihren Mitteln den Aufbau einer Armee, die 1990 die Macht zu übernehmen versuchte, von Frankreich und Zaire aber gestoppt wurde. Jetzt wurde ein neuer Anlauf genommen, auf den die Hutus mit einem Genozid antworteten.

Genozid als Antwort

Es ist schwer, den weiteren Verlauf dieser blutigen Ereignisse vorherzusagen, stellt Pater Litric fest. Mag sein, daß letzten Endes die Tutsis in der Hauptstadt die Macht übernehmen, aber nicht im ganzen Land. Sollten die Auseinandersetzungen weitergehen, so könnten rund 800.000 Tutsis in den von den Hutus kontrollierten Landesteilen umgebracht werden. Auch besteht die Gefahr, daß die Urmihen nach Burundi „exportiert" werden, wo die Bevölkerung ebenfalls so gemischt ist wie in Ruanda. Es besteht allgemein der Eindruck, berichtet Pater Litric, daß Frankreich die Hutus unterstützt und bewaffnet, Belgien und Uganda hingegen die Tutsis.

Was den Westen anbelangt, meint er, daß dieser sich dringend dieses Bürgerkrieges annehmen sollte. Denn einige westliche Großmächte spielen eine so bedeutende Rolle im Hintergrund, daß nur sie Lösungen durchsetzen können. Eine gerechte Lösung wäre wohl die Einführung eines politischen Systems, welches das Gewicht der Stämme gleichermaßen berücksichtigt. Daß das Land in zwei Teile geteilt wird, ist allerdings kaum vorzustellen, da die Bevölkerung Ruandas bereits bunt gemischt lebt...

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