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Ein anderes Land als noch im Jahre 1993

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Nach dem Morden, nach der Flucht der mehr oder weniger mitschuldigen Bevölkerung blieb ein leeres Land zurück. Ruanda füllt sich nun langsam wieder mit Bevölkerung. Auf den Feldern sieht man bereits arbeitende Bauern.

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Nach dem Morden, nach der Flucht der mehr oder weniger mitschuldigen Bevölkerung blieb ein leeres Land zurück. Ruanda füllt sich nun langsam wieder mit Bevölkerung. Auf den Feldern sieht man bereits arbeitende Bauern.

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Die ehemaligen, für den Massenmord verantwortlichen Machthaber mit den Resten ihrer Armee und den Angehörigen der Mordmilizen sitzen über der Grenze in Zaire und leben ähnlich den lange Zeit in Somalia herrschenden Zuständen vom Plündern der Hilfslieferungen an die notleidenden Flüchtlinge in den Lagern.

Ein Mittel zum Zweck sind dabei übertriebene Angaben über die Zahl der Lagerinsassen. Nur relativ wenigen der unschuldigen Hutus gelingt es, aus den Lagern zu entfliehen und nach Ruanda zurückzukehren. Leichter ist es für sie, in die andere Richtung zu fliehen, in leer werdende Gebiete der Provinz Kivu. Von den Dörfern dort ziehen die einstigen Tutsiflüchtlinge wieder nach Ruanda.

Vorläufig stammt die Masse der nach Ruanda zurückkehrenden Bevölkerung von einem anderen Exodus. Vor dreißig Jahren gab es bereits Hetzjagden der damaligen Einheitspartei auf „Tutsis“. Die Anführungszeichen sind insoferne notwendig, als jeder Oppositionelle von den Hutu-Chauvinisten als „Tutsi“ bezeichnet und zum Abschlachten freigegeben wurde. Die Überlebenden flohen nach Burundi und Tansania, vor allem aber nach Uganda und Zaire.

Dort lebten und entwickelten sie sich auf allen Ebenen, Bauern im Dorf die einen, Städter in allen Berufen die anderen. Nun sieht man sie überall in Ruanda auftauchen. Städter kommen meist aus Uganda und Burundi, dort gab es kaum freien Boden. Bauern kommen aus der benachbarten Provinz Kivu in Zaire.

GEFÄHRLICHE MORDMILIZEN

Meist schicken die Gemeinden Kundschafter nach Ruanda, um klarzustellen, ob es bereits für die Familien sicher wäre, zu kommen. Oft kommen sie dann auch, meist nachdem sie ihre Besitztümer verkauft haben. Die Dörfler aus Zaire in aller Vorsicht über die grüne Grenze, denn die Mordmilizen stellen weiterhin eine gefährliche Hürde dar.

Entlang der Grenze zwischen Zaire und Ruanda suchen sie nicht nur nach Tutsis, sondern auch nach rückkehrwilligen Hutus. Die Bauern aus Zaire stellen neben Hutus das Gros der Rückkehrer dar, welche die Dörfer wiederbesiedeln.

Dörfer und Städte füllen sich langsam, aber sicher wieder mit Bewohnern. Anders als nach Kriegen finden die Wiederbesiedler keine Ruinen und herumirrende Obdachlose, sondern gut erhaltene Häuser, zumindest was das Gemäuer betrifft. Ansonsten stehen sie vor einer völligen Leere.

Die Flüchtenden haben alles, was sich transportieren ließ, mitgenommen. Die Rückkehrer quartieren sich dort ein, wo sie leeren Wohn- raum finden. Häufig, aber nicht immer, sind es Häuser und Gründe, auf denen die Familie einst lebte, die sich aber nun schon Jahrzehnte im Besitz der einstigen Vertreiber und jetzigen Flüchtlinge befinden.

Nach dem endgültigen Zusammenbruch der Armee der ehemaligen Regierung wurde eine große Menge von Rückkehrern in Ruanda erwartet. Daher kamen sehr viele Non-Governmental Organizations (NGOs), ausgerüstet, um die Grundbedürfnisse dieser Menschen zu decken.

Man beklagt heute, daß über 200 NGOs unkoordiniert und oft gegeneinander versuchen, Gebiete oder Dörfer exklusive zu betreuen. Die verschiedenen UNO-Organisationen scheinen es nach den meisten Berichten nicht zu schaffen, hier Ordnung reinzubringen.

Die ruandischen Verwaltungs behörden funktionieren vorläufig nur teilweise. Nicht nur haben sie keinerlei Mittel, sie haben auch keinen Groschen Geld. Die alte Regierung nahm auf ihrer Flucht nicht nur die gesamte Einrichtung der öffentlichen Gebäude mit, sondern leerte systematisch auch sämtliche Banken, von der Banknote über die Wertsachen und Unterlagen betreffend Auslandsguthaben bis hin zum letzten Stempel und Blatt Papier.

ÖSTERREICH KOORDINIERT

Österreich hat im Gegensatz zu den meisten Ländern keinerlei Organisation für derartige Katastrophenfälle. Bei den ersten Kämpfen wurden aus diesem Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungshilfe sofort alle Mitarbeiter abgezogen. Paradoxerweise ist Österreich heute das einzige Land, dessen Vertreter imstande sind, über das ganze Land hinweg Aktivitäten von NGOs und öffentlicher Verwaltung zu koordinieren.

Es ergab sich bei der Durchsicht der verschiedenen österreichischen Projekte, daß TBW, „Techniker und Biologen Weltweit“, vom technischen Büro Weidl in Hall in Tirol, an der Entwicklung der Wasserwirtschaft im ganzen Land gearbeitet hatte.

Auf Grundlage dieser Erfahrung war TBW imstande, kurzfristig landesweit regionsspezifische Lösungen für die ständig wechselnden Probleme einer Katastrophensituation aus zuarbeiten und bei spezifischen Aktionen vor Ort lokale Verwaltung, NGOs und UNO-Organisationen zu koordinieren.

Bis Ruanda als Staat wieder normal funktioniert, wird wohl noch einige Zeit vergehen.

So viele Tutsis auch ausgerottet wurden, die Rückkehr der früher bereits Vertriebenen zusammen mit der Tatsache, daß nun viele schuldige Hutus auch nach völligem Zusammenbruch es nicht wagen wer den, zurückzukommen, wird die Zusammensetzung der Bevölkerung stark verändern.

Auch die Zahl der Bevölkerung wird sich auf einem niedrigeren Niveau einpendeln, wahrscheinlich zwischen fünf und sechs Millionen Menschen.

Und schließlich wird die englische eine weit größere Rolle spielen als bisher die französische Sprache. Ruanda wird 1995 ein anderes Land sein als noch 1993.

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