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Afrika: Mythos und Realität

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DUNKEL UND LICHT — AFRIKANISCHE DICHTUNG. Herausgegeben von Peggy Rutherfoord. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 230 Seiten. Preis 16.80 DM. — SCHULBEISPIEL GHANA. Von Franz Gypkens. 107

Seiten, 20 Photos. Preis 6.50 DM. — SCHWARZE KÖPFE. Von Franz Gypkens. 90 Seiten, 8 Photos. Preis 6.50 DM. Beide Main- Verlag, Frankfurt a. M. — STURM ÜBER DEM KONGO. Von Marcel N i e d e r g a n g. Wunderlich-Verlag, Thübingen. 260 Seiten. Preis 12 DM. — AFRIKA GESTERN, HEUTE, MORGEN. Von Walbert B ü h I m a n n. Herder-Bücherei, Freiburg-Basel- Wien. 174 Seiten. Preis 17.30 S.

Von Jahr zu Jahr nimmt der Strom dei Afrikaj-Bücher zu. Vor rund zehn Jahren begann der weitblickende und vorausrechnende Übersetzer Heinz Jahn die ersten Negergedichte aus dem Englischen ins Deutsche zu übertragen. Der Erfolg war so großartig, daß weitere Anthologien schwarzer Dichtung bald folgten. Sogar über die Philosophie einer neoafrikanischen Kultur wußte man zu schreiben. Die Reiseschilderungen aus Afrika, die „erdichteten” Romane vom schwarzen Erdteil mußten dem „Originalen” und der pseudowissenschaftlichen Abhandlung über die Eigenheit und Großartigkeit des Denkens der Neger weichen.

„Dunkel und Licht” ist die neue Anthologie afrikanischer Erzählungen und Gedichte betitelt. Peggy Rutherfoord hat keine Anstrengung gescheut, um wenigstens von den wichtigsten schwarzen Schriftstellern Beiträge zu bekommen. Einige ihrer Namen sind uns schon bekannt, aber weniger als Dichter, sondern als Politiker in den neu erstehenden Negerstaaten: Kwame Nkrumah (Ghana), Leopold Senghor (Senegal), Jomo Kenyatta (Kenya) und andere. In diese Sammlung sind bewußt keine Erzählungen aus der alten, mythischen Welt der Eingeborenen aufgenömmen worden. Die Gedichte dieser modernen Neger sind Drohungen an den weißen Mann, sind Träume von Autos und Kinos, sind voll politischer Ideen. Ihre Autoren konnten sich jedoch noch nicht zu einem eigenen, innerlich gefestigten Aussagepunkt durchringen.

Die Erzählungen sind freier, unabhängiger, offener und deshalb für uns aufwühlender in ihrer Wirkung. Da wird zum Beispiel ganz trocken und mit schlichten, einfachen Worten die Zerfleischung eines Liebhabers berichtet. Es war eine verbotene Liebe, und deshalb ist auch der Urteils- Spruch; den die Dorfbewohner fällten, berechtigt und unumstößlich. Es wird aber auch yon dem Leid und der Trauer der Geliebten berichtet, die aber doch gezwungen ist, mit einer Axt dem Verurteilten den letzten Todesschlag zu versetzen. Erst dann bricht sie schreiend über der blutigen Fleischmasse zusammen.

Die Spannweite der hier gesammelten

Geschichten ist groß: eine wundervolle , Liebeserzählung, ein Erlebnis eines Negerknaben in der Großstadt Johannesburg, in den Bergwerken Rhodesiens. Die Situationen, der äußere Rahmen der Geschichten wirken so natürlich und unserem Leben ähnlich, daß der Kontrast der völlig andersartigen Handlungsweise der Eingeborenen um so stechender hervortritt.

Seit über hundert Jahren versuchen mehrere europäische Staaten auf verschiedene Weise einen Kompromiß zu schließen zwischen der traditionell anerzogenen Mentalität der Schwarzen und der notwendig werdenden Umerziehung nach europäischen Richtlinien. Während die Franzosen und Engländer in ihren zentral- und westafrikanischen Kolonien dieses Problem weitgehend gelöst haben (Franz Gypkens, Schulbeispiel Ghana), hat sich der belgische Versuch im Kongo als ein völliger Fehlschlag erwiesen.

Wir dürfen heute nicht die Augen davor verschließen, daß nicht die Ungerechtigkeit oder die grausame Unterdrückung an der Tragödie am Kongo schuld war, sondern der mißlungene Versuch, möglichst menschlich und tolerant dem Neger seinen neuen Weg zu zeigen. Keine Kolonialmacht hat soviel Geld ausgegeben wie die Belgier, um den Kongolesen Schulen und Hospitäler zu errichten. Worin also lag der Fehler? Die- Belgier wollten zuerst eine breite Volksschicht mit einer guten Grundausbildung schaffen, um aus ihr die Intelligentesten langsam höher und höher heranzuziehen. Während die anderen Kolonialmächte, als sie sich zurückzogen, Hunderten, ja Tausenden von gebildeten Ärzten, Technikern, Rechtsanwälten und Politikern das Staatsruder in die Hand geben konnten, befanden sich im belgischen Kongo am Tage der Unabhängigkeit (30. Juli 1960) nur 16 Schwarze mit abgeschlossener Hochschulausbildung.

Marcel Niedergang schildert in seinem Buch „Sturm über dem Kongo” das erste Jahr der unabhängigen Republik Kongo. Und man begreift aus diesem lebendigen Geschichtsbuch, daß es für diese Katastrophe keinen Schuldigen oder Verantwortlichen gibt. Da waren einige betrunkene, . meuternde Neger in Leopoldville, da war eine Weltorganisation und eine Weltmeinung, welche die sogenannte „Befreiung aller Staaten” möglichst schnell durchdrücken wollte, da waren die Drohungen aus dem Osten und eine Hysterie im belgischen Parlament. Doch auch dies reicht nicht aus, um die tumultarischen und grausamen Ereignisse am Kongo zu erklären. Jahrelange Stammesfehden fanden in der allgemeinen Unruhe neue Nahrung, um zu den unvorstellbarsten Blutbädern zu führen.

Kongo ist ein Beispiel für die zu hastige und übereilte „Befreiung des schwarzen Mannes”, und man versteht das Zögern Englands bei der Freigabe der ost- .und südafrikanischen Kolonien. Noch mehr begreift man auch die Südafrikanische Union, die mit drei Millionen Weißen (gegenüber neun Millionen Negern) ein nahezu „weißer Staat” ist (zumal die weißdit Siedler vom Land früher Besitz ergriffen hatten als die von Norden her eindrängenden Bantuneger).

Es gibt heute schon eine Reihe von großen afrikanischen Politikern, die ihre jungen Staaten durch die Weltpolitik zwischen Ost und West hindurchsteuern wollen. Je nach ihrer Ausbildung lehnen sie sich iehr an den einen oder den anderen Block an, ohne je ganz einer einzigen Ideologie zu verfallen (Franz Gypkens — Schwarze Köpfe). Kwame Nkrumah, der Ministerpräsident und Diktator von Ghana, legt Wert d’arauf, weiterhin mit England in guter Beziehung zu stehen, ähnlich wie sich die meisten französischen Kolonien mit Frankreich oder unter Frankreich in einer gemeinsamen Wirtschaftsunion- befinden. Der Ministerpräsident von Guinea, Sekou Tourė, glaubt besser zu fahren, wenn er sich chinesische, russische und ostdeutsche Techniker und Berater ins Land ruft. Neben diesem politischen Kampf zwischen Ost und W’est und dem anonymen Streit des Christentums und des Islams um die Seelen der Schwarzen geht das eigentliche Ringen in Afrika um die Loslösung der breiten Masse aus ihrem traditionellen, mythischen Weltbewußtsein, um die Verankerung fremdartigen, zumeist europäischen Kulturgutes in jedem einzelnen zu gewährleisten. Und dieser Kampf, auch wenn er sich schon in die einzelnen Staaten verlagert hat, wird noch jahrzehntelang dauern. Sein Ausgang, der für Europa von besonders großer Bedeutung ist, ist heute noch völlig ungewiß.

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