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Brief aus dem Kongo

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Sehr geehrter Herr Dr. Skalnik!

Daß die Österreicher zuerst in Kamina waren und unversehrt aus den dortigen Wirren herauskamen, ist Ihnen sicher bekannt. Ich kam am 5. September mit zehn Kontingentsangehörigen, darunter vier Ärzten, als Vorkommando nach Stanleyville. Wir hatten die Aufgabe, alles für die Aufnahme des gesamten Kontingents an Ort und Stelle vorzubereiten, welches dann drei Wochen später nachkom- men sollte. Da das österreichische Kontingent ein militärisches ist, wurde es einer militärischen UN-Einheit unterstellt, und zwar ist dies eine äthiopische Brigade, deren sanitäre Betreuung wir übernommen haben. Zu Beginn unseres hiesigen Aufenthaltes war noch ein malayisches Bataillon hier, das aber während der Unruhen in Katanga dorthin verlegt worden war. Außer dem Militär werden aber auch Angehörige der zivilen UNO ärztlich betreut. Für die Ausübung dieser Tätigkeit steht uns ein eigener Trakt eines sehr schönen Hospitals zur Verfügung, wo von zwei Ärzten die Ambulanzen — die eine für das Militär, die andere für die Zivil-UN- Angehörigen — geführt werden. Von einem Internisten aus Baden bei Wien wird die Station, die derzeit erst zirka 30 Betten umfaßt, geführt. Mit der Zeit besteht allerdings die Möglichkeit, die Bettenanzahl zu vergrößern, was eine dringende Notwendigkeit ist, da nicht nur interne Fälle, sondern auch chirurgische untergebracht werden müssen. Die Ambulanzen, die eine für die Zivilbediensteten führe ich, erfassen täglich 50 bis 60 Patienten. Außer dieser Tätigkeit obliegt mir noch die operative, da ich der einzige Chirurg beim Kontingent bin. Da ich neben dem Kommandanten der einzige aktive Sanitätsoffizier bin, bin ich oft noch mit organisatorischen Aufgaben, Vertretung des Kommandanten bei dessen Abwesenheit usw. betraut. Somit ist der Tag voll und ganz ausgefüllt.

Die Lebensverhältnisse sind natürlich gegenüber den europäischen völlig andere, jedoch gewöhnt man sich verhältnismäßig rasch. Stanleyville hat zirka 60.000 bis 80.000 Einwohner eine genaue Feststellung ist hier nicht möglich —, von denen außer den UN- Angehörigen ungefähr 2000 Weiße sind, meist Belgier, die aus irgendwelchen Gründen hier geblieben sind. Es liegt 80 Kilometer nördlich des Äquators, direkt am Kongo, der von Leopoldville bis hierher schiffbar ist und dadurch gleichsam eine Lebensader für die ganze Provinz Orientale, deren Hauptstadt Stanleyville ist, bildet. Das Klima ist rein tropisch. Die Temperaturen bewegen sich im Schatten um 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit beträgt bis TU 98 Prozent (!), und das ist es, was dem Nichtakklimatisierten unangenehm erscheint, es regnet sehr häufig, kühlt aber kaum ab. Die Vegetation ist dementsprechend üppig bas, herrscht aber auch eine radikale Regionalregierung, die sich, wie alle übrigen, von der Zentralregierung in Leopoldville nicht das geringste sagen läßt, deren Maßnahmen aber reine Willkürakte sind. Großen Einfluß besitzt die kongolesische Armee, ja sie ist eigentlich in allem bestimmend. Nach europäischen Begriffen eine wilde Räuberbande, der von der Disziplin über die Ausbildung bis zur notwendigen Ausrüstung eigentlich alles fehlt. Die „Offiziere” rekrutieren sich bestenfalls aus ehemaligen belgischen Unteroffizieren (Schwarzen). Verwaltungsarbeit wird nur soviel geleistet als für die Fortführung der lebensnotwendigsten Administrationen nötig ist. Die Minister wechseln sehr rasch und die meisten landen nach kurzer Amtsperiode im Gefängnis — meist wegen Diebstahlsdelikten.

Ein großes Hindernis für eine gedeihliche Aufbauarbeit bilden Stam meskämpfe, die heute wieder mit der alten Erbitterung geführt werden. Die bedeutendsten Stämme sind in der Ostprovinz, die wenig kriegerischen, mehr handeltreibenden Batetela, dann die Wagenia und die Pygmäen, bei denen das Kannibalentum noch durchaus gebräuchlich ist. Es gibt aber auch noch zahlreiche andere, menschenfressende Stämme in Afrika. Aus der gegenwärtigen Lage ist eine Besserung und ein Aufstieg einer kongolesischen Nation nicht zu erwarten, im Gegenteil ist es ohne besonderen Weitblick möglich, sich vorzustellen, wie der Kongo, dieses immens reiche Land, immer mehr in den Urzustand zurück- kehrt, und das infolge der Unfähigkeit seiner auf ihre neuerworbene Independenz so stolzen Einwohner. Wohl gibt es vereinzelte vernünftige und vorausschauende Politiker, die sich aber nicht durchsetzen können gegenüber der Einsichtslosigkeit und

Willkür und Radikalität der herrschenden Schichte. Die UN sind infolge ihrer inhomogenen Struktur ebensowenig fähig, dem Land geordnete Lebensbedingungen zu verschaffen. Allgemein wird als größter Fehler der überstürzte Abzug der Belgier heute erkannt, denen man aber auch nicht allein die Schuld geben kann, da sie nicht frei vom amerikanischen Druck von außen, den antikoloniali- stischen sozialdemokratischen Tendenzen im Innern waren.

Wir Österreicher haben hier eine einmalige Gelegenheit, unserem Land innerhalb der UN Freunde und Geltung zu verschaffen, und ich glaube das allein rechtfertigt voll und ganz diesen Einsatz. Es wäre nur zu hoffen, daß unsere begonnene Arbeit von weiteren Kontingenten fortgeführt und ausgebaut werden kann. Die UN sind an uns interessiert, hoffentlich auch der österreichische Staat!

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