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Zwei Maßstäbe

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Seit dem Beginn ihrer Existenz war die FURCHE eine konsequente Gegnerin der Todesstrafe. Diese Zeitung, lehnte diesen Strafvollzug als Sühne für kriminelle oder politische Delikte ab. Sie lehnte die Todesstrafe ab, ob sie nun auf Grund eines gültigen, in der Verfassung verankerten Rechtssatzes ausgesprochen wurde, oder ob es sich, wie jetzt in Spanien, um Urteile handelte, die nicht das Ergebnis einer im westeuropäischen Sinn rechtsstaatlichen Strafverfolgung waren. Ein, Todesurteil ist niemals die richtige Antwort auf ein noch so schweres Strafvergehen. Die Wissenschaft* hat ja längst erwiesen, daß die Androhung der Todesstrafe nicht abschreckend wirkt. Wer ein schweres Verbrechen begehen- will, begeht es, obgleich er weiß, daß ihm die Todesstrafe droht. Und ein schweres Verbrechen kann auch nicht durch das Auslöschen eines arideren Lebens gesühnt werden. Die Todesstrafe ist somit, kürz gesagt, keine Lösung, sie ist weder Tilgung noch Sühne eines Verbrechens.

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Seit dem Beginn ihrer Existenz war die FURCHE eine konsequente Gegnerin der Todesstrafe. Diese Zeitung, lehnte diesen Strafvollzug als Sühne für kriminelle oder politische Delikte ab. Sie lehnte die Todesstrafe ab, ob sie nun auf Grund eines gültigen, in der Verfassung verankerten Rechtssatzes ausgesprochen wurde, oder ob es sich, wie jetzt in Spanien, um Urteile handelte, die nicht das Ergebnis einer im westeuropäischen Sinn rechtsstaatlichen Strafverfolgung waren. Ein, Todesurteil ist niemals die richtige Antwort auf ein noch so schweres Strafvergehen. Die Wissenschaft* hat ja längst erwiesen, daß die Androhung der Todesstrafe nicht abschreckend wirkt. Wer ein schweres Verbrechen begehen- will, begeht es, obgleich er weiß, daß ihm die Todesstrafe droht. Und ein schweres Verbrechen kann auch nicht durch das Auslöschen eines arideren Lebens gesühnt werden. Die Todesstrafe ist somit, kürz gesagt, keine Lösung, sie ist weder Tilgung noch Sühne eines Verbrechens.

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Aus diesem Grunde ist die Vollstreckung von fünf Todesurteilen an elf zum Tode verurteilten Spaniern zu bedauern. Diese elf Verurteilten hatten Morde an Polizisten begangen, und es ist begreiflich, daß die Justiz nach einer Sühne für derartige Vergehen verlangt Die Verurteilten hatten die Morde begangen, um dadurch direkt und indirekt die Existenz des spanischen Staates zu gefährden oder zu untergraben.

Die Mörder waren in der überwiegenden Mehrzahl Basken. Diese Zeitung hat bereits vor Jahren darauf hingewiesen, daß die Behandlung der Basken, der Katalanen und der Ga-lizier, die eigentlich die Mehrheit der spanischen Nation darstellen, durch eine Minderheit, nämlich die Kasti-lier, ungerecht ist Die Bourbonen haben, im Gegensatz zu den Habs-burgern, in Spanien einen kastüi-schen Zentralismus eingeführt, der die Rechte aller anderen spanischen Völker mißächtet. Jedes Volk hat ein Recht auf seine Eigenart, mag dieses Volk groß oder klein sein. 17.000

österreichische Slowenen haben ebenso ein Recht, ihr nationales Leben zu führen, wie 250.000 deutschsprachige Südtiroler oder acht Millionen spanische Katalanen. Aber Spanien konnte Sich bis heute nicht vom Zentralismus lösen und ist somit mitschuldig an den nationalen Explosionen, die sich innerhalb seines Herrschaftsbereiches immer wieder ereignen. Spanien müßte endlich darangehen, sich selbst in föderalistischem Sinn umzugestalten — dann wäre eine Menge von Explosivstoff unschädlich-gemacht

Natürlich hatten die Polizisteinmorde auch soziale Hintergründe. Aber auf dem sozialen Sektor hat das Franco-Regime mehr geleistet als irgendein spanisches Regime vor ihm. Natürlich wird es immer und überall sozialen Konfliktstoff geben, denn eine sozial vollkommene Welt gibt es nicht. Aber diese sozialen Konflikte könnten wahrscheinlich friedlich und evolutionär ausgetragen werden, wenn nicht das nationale Element hinzukommen würde.

Erschreckend ist dagegen die Reaktion der Welt. Viele Staaten, darunter die deutsche Bundesrepublik und Großbritannien, riefen nach dem Bekanntwerden der Hinrichtungen ihre Botschafter aus Madrid ab. Hie-zu sei eine Frage gestattet: warum unterhalten alle diese Staaten, die jetzt ihre Botschafter abberiefen, weiterhin diplomatische Beziehungen mit Ländern, von denen jedermann weiß, daß dort jederzeit und gnadenlos, und oftmals ohne auch nur ein vorangegangenes Scheinverfalh-ren, Todesurteile ausgesprochen werden? Warum halten sie ihre diplomatischen Beziehungen mit den Oststaaten aufrecht? Und vor allen Dingen mit den neuen Staaten in Afrika, von denen man weiß, daß dort unzählige Greueltaten begangen werden? Wer beruft seinen Botschafter vom Diktator von Uganda, Mi Amin, ab, dem ehemaligen Boxer, Unteroffizier und selbsternannten Feldmarschall? Von dem alle Welt weiß, daß innerhalb von drei Jahren seiner Diktatur ungefähr 250.000 Menschen auf die oft grauenhafteste Weise hingerichtet wurden?

Daß der spanische Staat sich wehrt, wenn er angegriffen wird, ist verständlich. Daß er auf Angriffe verbrecherischer Art mit Todesurteilen antwortet ist falsch, und gegen jede Humanität Daß er die Ursachen, die zu solchen Taten führen, nicht beseitigt, ist verwerflich und daß Staaten und Einzelpersonen gegen die Hinrichtungen protestiert haben, ist begreiflich.

Aber daß dieselben Staaten und gewisse Einzelpersonen keinen Finger rühren, wenn in anderen Ländern ebensolche Todesurteile vollstreckt werden, wobei es sich allerdings immer um Länder handelt die „links“ eingestellt sind, ist mehr als inikonsequent Und daß weder die Staaten ihre Botschafter aus jenen Ländern abberufen, in denen grauenhafte Hinrichtungsmethoden und Verfolgungsarten herrschen, noch irgendein Mensch auf der Straße gegen diese Methoden protestiert ist eine der großen Heucheleien unserer Zeit

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