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Eichmann letzter Akt

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Sieht man von den Richtern ab, sind Szene und Hauptdarsteller die gleichen wie in der Hauptverhandlung des Prozesses gegen Adolf Eichmann. Wieder ist es der große Saal des Volkshauses in Jerusalem, wo der deutsche Anwalt Dr. Servatius vor einem Fünferkollegium des Obersten Gerichtshofes gegen Schuldspruch und Todesurteil im Namen seines Mandanten appelliert. Die Szene, wie gesagt, ist die gleiche: auf der Bühne, ganz oben unterm Staatswappen, die Richter — vier Gelehrtentypen und die eines Schauspielers —, links und rechts je zwei Gerichtsbeamte, etwas tiefer Übersetzer und Stenographen und, den Richtern gegenüber, zwei Stufen tiefer, der Ankläger mit vier Gehilfen, der Verteidiger mit seiner Sekretärin und ganz links die Glaskabine mit dem Angeklagten und den beiden Polizisten. Alle, die auf der Bühne agieren, tragen schwarze Talare, die Beamten und die Polizisten und selbst der Angeklagte sind dunkel gekleidet. Dieses düster-mittelalterliche Bild wird durch das zitronengelbe Kleid der Sekretärin des Verteidigers und ihren weißgrauen Reisekoffer mit Akten aufgehellt.

Die mißlungene Bilanz...

Die Hauptperson, Eichmann — er hat soeben seinen 56. Geburtstag begangen —, wirkt nun ausgesprochen antipathisch und nicht mehr einfach unauffällig wie ein — so charakterisierte ihn während des Prozesses ein Franzose — kleiner Buchhalter, dem die Bilanz mißlungen ist. Er ist zwar sorgfältig gekleidet, durchaus unauffällig, selbst das immer wieder aus der linken inneren Brusttasche nervös hervorgeholte Taschentuch ist säuberlich gebügelt, aber das gelbliche Gesicht ist das eines unheimlichen Raubvogels geworden. Seine von Natur aus über-

aus schmalen Lippen werden in dem krampfhaft zusammengebissenen Mund beinahe unsichtbar. Gelegentlich geht ein Zucken um diesen Mund, der Körper aber bleibt unbewegt wie der unentwegt zu den Richtern hinaufgedrehte Kopf. Die Hände allein spielen ihr Spiel, das auf die Erregung des Mannes schließen läßt. Wenn er aber eine Notiz machen will, wirft sich sein Oberkörper plötzlich vor, die Rechte ist derart um den Stift verkrampft, daß sein Schreiben, von weither erkennbar, etwas hysterisch Eckiges bekommt. Im Augenblick, da er fertig ist, richtet sich sein Oberkörper mit einer jähen Bewegung wieder auf, er setzt sich, sichtlich befriedigt, als hätte er eine entscheidende Tat begangen, wieder hin, und die Augen starren wieder zu den Richtern hinauf.

Dr. Servatius hat sofort mit Beginn der Verhandlung das Wort ergriffen. Sein Gesicht ist nicht zu sehen, denn es ist zu den Richtern gewendet. Er spricht langsam, sehr ruhig, sehr deutlich, ohne Emotion, so daß seine Rede bald ermüdend wirkt. Besonders natürlich auf Zuhörer, welche sowohl Deutsch als Hebräisch verstehen, da er nach jedem Satz unterbricht, um dem Übersetzer Gelegenheit zu geben, das eben Gehörte hebräisch zu wiederholen. (Eine Simultanübersetzung in vier Sprachen wird durch das Taschenradio vermittelt.) Was Servatius sagt, ist für die Laien nicht besonders interessant. Es ist eine rein juristische Argumentation, die erst in der zweiten Hälfte Bewegung in den Zuhörerraum bringt, da die mehr oder weniger lethargisch Dasitzenden plötzlich durch den Namen Globke aufgeschreckt werben. Sein Verlangen, den Staatssekretär — als Sachverständigen für NS-Ge-setze — zur Zeugenschaft vorzuladen, läßt sofort das Gefühl aufkommen.

daß er Leute in den Prozeß hineinziehen will, die zumindest umstritten sind. Dieser Eindruck wird verstärkt, da er gleich darauf ehemalige Nazifunktionäre — wie Dr. Merten, Professor Six und den „hundertfachen Millionär“ Becher (stark unterstrichen) — in Erinnerung bringt und darauf hinweist, daß diese, anders als Eichmann, unangefochten und unbehelligt in großen Stellungen leben.

Eichmann aber, der unbewegt d“r Simultanübersetzung aus seinen Kopihörern mitgehört hat, wirft sich plötzlich wieder vor, schreibt mit rasenden Bewegungen, die etwas Gespenstisch-Unnatürliches an sich haben, einen Zettel an den Verteidiger. Dieser wirft einen Blick darauf, läßt ihn sich von der Sekretärin aus der Hand nehmen •und fährt fort.

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und ein Photograph

Nichts Äußerliches deutet darauf hin, daß hier ein Mensch, des tausendfachen Mordes angeklagt, einen aller legalen Kniffe Kundigen für sein Leben kämpfen läßt. Er sitzt wieder, beinahe unbeteiligt, in seiner Glaskabine, die rote Robe des zum Tod Verurteilten hat man ihm abgenommen, und wäre nicht das Aufgebot von Richtern, Anklägern und Polizisten, könnte man meinen, ein kleiner Bankangestellter habe sich wegen Unterschlagung der Portokasse zu verantworten.

Draußen vor dem Gerichtsgebäude, wo während des Prozesses Hunderte standen, ist kaum ein Mensch zu sehen. Ein paar zufällige Passanten, einige Autos, gelegentlich ein Photograph, der aber drinnen nicht photo-graphieren darf, das ist alles. Die Vorgänge an der syrischen Grenze und der Kampf um die Teuerungszulage haben den schon längst aus der Liste der Lebenden gestrichenen Eichmann auch aus dem Interessenkreis der großen Masse verdrängt.

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