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Menschenhandel in Budapest

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„Ich bin ein idealistischer Deutscher, und Sie sind ein idealistischer Jude”, sagt Eichmann zu Joel Brand in dem gleichnamigen Schauspiel von Heinar Kipphardt. Die Geschichte ist aktenkundig. Eine Million Juden, „Blut gegen Ware”, bot im Frühsommer 1944 Eichmann in Budapest an, wenn dafür 10.000 Militärlastwagen geliefert würden. Joel Brand, Vertreter jüdischer Organisationen, dem plötzlich die Verantwortung für eine Million Menschen aufgeladen war, flog nach Istanbul, um mit Zionisten und den Alliierten das Tauschgeschäft auszuhandeln. Aber niemand wollte oder konnte den Handel akzeptieren. Nachdem die von den SS-Schergen gestellte Frist verstrichen war, begannen die Todesmärsche nach Auschwitz. Brand wurde von den Engländern interniert.

Kipphardt zeigt in 22 Szenen die Stationen der Bemühungen, Hoffnungen und Ängste, der Enttäuschung und Verzweiflung, so daß schließlich das nazistische Vorurteil vom „geschäftstüchtigen Weltjudentum” und der „allmächtigen jüdischen Weltverschwörung” zur Farce verkehrt erscheint. Das grauenhafte Geschäft”, in dem der Wert des Menschen, wenn es hoch ging, mit tausend Dollar angesetzt war, steht im Mittelpunkt des Berichtes, die Rivalität zwischen Eichmann und dem ihm beigeordneten Becher vom Wirtschaftshauptamt der SS sowie die Auseinandersetzungen zwischen Abwehr und SS um die Macht in Ungarn bleiben mehr am Rande.

Die verworrenen, weit verzweigten, bis heute nicht ganz geklärten Vorgänge um Eichmann und seinen Gegenspieler in Ungarn sind szenisch schwerer darstellbar als das dramatische Verhör „In Sachen J. Robert Oppenheimer”. Aber auch so gelang es Kipphardt in seinem Dokumenation und Spiel auf eigenwillige Weise zusammenfügenden Stück um Joel Brand Einsichten in die Fakten und „historischen” Zusammenhänge zu bieten und neben der Realität das Schicksal eines Volkes — nirgendwo Gehör zu finden — erschütternd ahnen zu lassen.

Im Volkstheater brachte Leon Epps ungemein bemühte, redliche Regie das Schauspiel in den praktikablen Bühnenbildern von Gustav Manker zu starker Wirkung. Heinrich Trim- bur als Joel Brand war von eindringlicher Sensitivität, Joseph Hendricks stattete den „bürgerlichen Pflichtmenschen” und „Transportfachmann für die Endlösung”, Eichmann, mit bisweilen theatralischer Dämonie aus. Herbert Probst, Klaus Höring, Viktor Gschmeidler, Albert Rolant und alle übrigen gestalteten ihre Rollen glaubhaft und einprägsam. Das Publikum, durch die Vorgänge auf der Bühne gefesselt und nachdenklich gestimmt, durch die Abfolge ziemlich stereotyper Geschäftsverhandlungen gleichzeitig ein wenig ermüdet, spendete am Ende dem Stück, der Aufführung und dem Autor den verdienten Beifall. (Siehe auch unseren Querschnitt: „Im Kreuzverhör.”)

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