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Antisemit Kreisky? Wer mit Hunden schläft, steht mit Flöhen auf...

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Der ungewöhnliche Antisemitismus des Dr. Kreisky.

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Der ungewöhnliche Antisemitismus des Dr. Kreisky.

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Dem genialen Karl Kraus sagt man nach, er hätte sich ein halbes Leben lang bemüht, auszusehen wie Martin Luther — so „deutsch“, so bieder, so herb. Der österreichische Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky hat auch Probleme. In einem Interview mit der niederländischen Wochenzeitung „Vrij Nederland“ deutete er sie an: „Glücklicherweise“, so meinte er, „findet man unter uns Juden auch Reaktionäre, so wie man bei uns Juden Diebe, Mörder und Prostituierte findet.“ Glücklicherweise? Glücklicherweise für wen?

Dr. Kreisky bildete am 20. April eine Regierung, von der Intimkenner meinen, in ihr säßen mehr ehemalige Nationalsozialisten als in der Regierung Seyss-Inquart. Dr. Kreisky nennt das Toleranz, doch wiederum Intimkenner sagen: „Dies ist der recht ungewöhnliche Antisemitismus des Dr. Kreisky.“

In der jüngsten Nummer der in Wien erscheinenden „Jüdischen Zeitschrift für Aufklärung und Abwehr“, „Der Ausweg“, mutmaßt ein Leitartikel, daß Doktor Kreisky „durch all seine Erklärungen beziehungsweise Handlungen einfach dokumentieren will daß ihn nichts mit dem Judentum verbindet“. Und Josef Toch, profilierter jüdischer Publizist, schreibt von einer „einigermaßen verklemmten Problematik dieses Falles“.

Dr. Bruno Kreisky fand es vor einigen Wochen sinnvoll, den Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, in einem Interview als „jüdischen Faschisten“ zu titulieren. Später leugnete er das Schimpfwort, womit Dr. Kreisky — man muß die Dinge beim Namen nennen — den Rückzug antrat. Simon Wiesenthal hingegen ist im Besitz einer Photokopie der von Kreisky verbesserten schriftlichen Fassung dieses Interviews, worin der Ausdruck „jüdischer Faschist“ enthalten und auch nicht nachträglich gestrichen worden ist.

Die sehr angesehene Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ registrierte dieses Verhalten Dr. Kreiskys mit sehr scharfen Worten: „Der hellhörige Beobachter muß sich fragen, ob ein Regierungschef gut daran tue, die Beanstandung der Inklusion ehemaliger Nazifunktionäre in sein Team zunächst mit Unverschämtheiten zu quittieren, um sie dann — etwas zu spät von Ängstlichkeit übermannt — in recht schäbiger Weise einem Journalisten in die Schuhe zu schieben.“

Der recht ungewöhnliche Antisemitismus Dr. Kreiskys rief in diesen Tagen ein hellhöriges Ausland auf den Plan. Der New Yorker „Aufbau“, ein angesehenes amerikanisches Wochenmagazin für Juden deutscher Sprache, widmete in seiner Ausgabe vom 17. Juli 1970 dem „Fall Kreisky“ fast seine ganze Seite eins: „Die Öffentlichkeit ist über die geschmacklose Äußerung Kreiskys schwer empört. In einer gemeinsamen Erklärung haben die drei repräsentativen großen jüdischen Gemeindeverbände Hollands schärfstens dagegen protestiert, daß man Wiesenthal durch solche Äußerungen einzuschüchtern versucht“. Wie es heißt, wollen einige prominente niederländische Sozialdemokraten gar den Ausschluß der SPÖ aus der Sozialistischen Internationale erzwingen, deren Präsident pikanterweise der Österreicher Doktor Pittermann ist.

Der recht ungewöhnliche Antisemitismus Dr. Kreiskys veranlaßte den US-General Julius Klein zum Austritt aus dem Verein „The American Friends of Austria“. Georges Aronstein, Präsident der Belgischen Liga der Menschenrechte, äußerte in einem Brief an die SPÖ vom 7. Juli 1970 sein „lebhaftes Bedauern“. Die Banken-Brüder Dreyfus aus Luxemburg schrieben Doktor Kreisky am 25. Juli 1970: „Stützen Sie sich bitte auf die Stimmen der jüngeren Jahrgänge, anstatt auf Ex-Nazis, welche ja sowieso nicht mehr lange dabei sein werden.“ Harry Evans, US-Counselor at Law, schrieb an Dr. Heinrich Gleissner, Österreichs Generalkonsul in New York: „Ich telephonierte über diese Angelegenheit mit den US-Senatoren Jacob Javits, Edward Kennedy und Goodell sowie den Fraktionsführern beider Häuser.“ Denn, so Evans, „Die Welt sucht Gerechtigkeit und Fairneß: von Österreich, wenn' Österreich Gerechtigkeit und Fairneß von der Welt erwartet.“

Anfang Juli 1970 vermerkte US-Senator Lester Wolff in den „Congressional Records“, daß es seine Absicht sei, über den „Fall Kreisky“ im amerikanischen Repräsentantenhaus zu sprechen. Maurice Orbach, Parlamentsmitglied im House of Commons (London) schrieb am 8. Juli Doktor Kreisky: „Ich bin sicher, daß viele meiner Freunde im United Kingdom geschockt sind und sich über Ihre Aktionen im demokratischen Österreich wundern.“ Maurice Orbach ist einer der Stellvertreter Wilsons an der Spitze der britischen Labour Party.

Der „Fall Kreisky“ ist längst kein nur österreichisches Problem mehr. Kreisky weiß das und sucht darüber hinwegzukommen. In den letzten Wochen erhielt er hunderte Briefe aus aller Welt. Er beantwortete keinen einzigen. Hingegen will er Ende Oktober nach Amerika fahren, um die Wogen zu glätten. Dazu muß es noch nicht zu spät sein, ist es auch schon später, als Dr. Kreisky und einige hohe SPÖ-Funktionäre glauben wollen.

„Ob Dr. Kreisky bei den Nazis Glück haben wird oder nicht“, schreibt der „Ausweg“, ist seine und seiner Partei Sache ... Die Ernüchterung wird kommen, aber vermutlich zu spät. Ein altes Sprichwort sagt: Wer mit Hunden schlafen geht, steht mit Flöhen auf.“

Schade eigentlich, daß Dr. Kreisky Österreich mit Problemen beschäftigt, die man rechtens als bewältigt betrachten durfte. Schade weiters, daß er diese Auseinandersetzung auf dem Rücken seiner Partei und nun als Bundeskanzler auch auf dem Rücken Österreichs austragen will. Sehr schade schließlich, daß damit Bundeskanzler Dr. Kreisky Österreich vor allem in der westlichen Welt keinen allzu guten Dienst zu erweisen scheint.

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