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Die Verdränger sind unter uns
Das Nazi-Opfer Jägerstät-ter wird in Linz nicht durch einen Straßennamen geehrt, ein ehemaliger Bürgermeister mit Nazi-Vergangenheit schon: Panorama der österreichischen Seele.
Das Nazi-Opfer Jägerstät-ter wird in Linz nicht durch einen Straßennamen geehrt, ein ehemaliger Bürgermeister mit Nazi-Vergangenheit schon: Panorama der österreichischen Seele.
Es kommt, wie es nach Bruno Kreiskys kleiner Koalition kommen mußte. Erst wenn diese zu Ende ist, ist auch die Ära Kreisky zu Ende.
Kreisky hat den dekorierten Angehörigen einer SS-Mordbri-gade gegenüber Simon Wiesenthal verteidigt und er schuf diese Koalition. Und Fred Sinowatz, der mit Kreiskys Politik ja jähre-
lang kollaborierte, träumt rechtfertigungsideologisch — psychologisch ausgedrückt, rationalisierend — von der „historischen Aufgabe der österreichischen Sozialisten", die sogenannten „Nationalen in die Demokratie und in den Liberalismus zu führen".
Tatsächlich — und ähnliches geschah historisch gesehen schon öfter—geht die Entwicklung in die umgekehrte Richtung.
Die Sozialdemokratie muß die entlarvende „Frischenrederei" als Lapsus eines ehrlichen Liberalen umdeuten; sie muß übersehen, daß die Wiener FPÖ im Gemeinderat gegen eine Auszeichnung Erika Weinzierls stimmte.
Die Sozialdemokratie muß die bagatellisierende Stellungnahme unseres Heeresministers und unseres, entsprechend den Prinzipien der kleinen Koalition bestellten Kommandanten der Landesverteidigungsakademie, Karl Schaffer, hinsichtlich der „Gedenktafel" für Herrn Alexander Lohr schäm voll übergehen (wie
Manfred Scheuch in der „Neuen AZ"), denn man liegt ja mit den sogenannten Freiheitlichen im selben Bett.
Man darf immerhin noch für den sozialistischen Bürgermeister von Linz sein, der lieber einen — im übrigen christlichen — Mitbürger, der durch die nationalsozialistische Justiz ermordet worden war, in einem Straßennamen geehrt sähe als einen Bürgermeister von Linz, der sich im Rahmen der nationalsozialistischen Mordjustiz erfolgreich betätigt hatte.
Natürlich verteidigen die sogenannten Freiheitlichen „ihren" Mann. Nicht die Opfer, sondern
die Justizmörder gehören geehrt ...
Tut man sich nun schon als sozialistischer Redakteur schwer, ungleich schwieriger hat man es, wenn man für eine Zeitung arbeitet, die als Sprachrohr der ÖVP-Wirtschaft natürlich gegen die „kleine Koalition" sein muß, wenn aber das Herz insgeheim für die sogenannten Freiheitlichen schlägt.
Otto Schulmeisters kassandri-sche Orakeleien in der „Presse" mit dem Grundton: Seit Marc Aurel geht es in Österreich bergab — kennt man. Nun tritt er mannhaft gegen die „Selbstvergiftung" auf,
das heißt gegen die Erkenntnis, wieviel Dreck es in der deutschösterreichischen Geschichte der letzten Jahrzehnte gibt.
An sich ist es ja schön, wenn, nicht zuletzt durch Kreiskys „kleine Koalition", die „allzu einseitig nach dem Diktat der Sieger verfaßte Geschichte" korrigiert und nicht mehr „fortgeschrieben" werden kann. Viktor Reimann schreibt in der „Kronen-Zeitung" so, daß jeder Gestapomann, der an seiner Verhaftung beteiligt war, begreifen muß, daß er ihm damals Unrecht tat, tut hier sicher einiges im Sinne Otto Schulmeisters.
Reimann ortet in Deutschland (er meint die Bundesrepublik) und Österreich eine „hündische Demutshaltung", womit „schäbige Innenpolitik" offenkundig gegen die hehre FPÖ betrieben werde.
Die von Reimann diagnostizierte „hündische Demutshaltung" nennt Schulmeister, wenn ich ihn recht verstehe, ein wenig harmloser „Selbstvergiftung", wie sie eben „Nestbeschmutzer" betreiben.
Bis heute hat Schulmeister - gegen die Wahrheit — in der Sache nichts begriffen, weil er zu große innere Widerstände hat. Zu viel in seinem Leben müßte er durchstreichen, wenn er die entscheidende Erkenntnis in sein Bewußtsein ließe.
Denn die von Schulmeister als „Vergifter" oder „Nestbeschmutzer" Denunzierten sind in Wahrheit nur die Ent-decker oder Aufdecker jenes Giftes, das andere produzierten. Und nur dieses Entdecken kann auch entgiften.
Wenn sich Schulmeister zu der Erkenntnis Siegmund Freuds -zugegeben, ein österreichischer Jude - durchringen könnte, daß ein Mensch dadurch frei wird, daß er sich das eingesteht, was er nicht wahrhaben will („Verdrängung", nach Martin Heidegger „Verdek-kung"), dann würde er auch verstehen, was es mit jenen auf sich hat, die die Wahrheit selbst auch dort lieben, wo sie schmerzt.
Die ununterbrochenen Entgleisungen der FPÖ-Recken haben offenbar nichts damit zu tun, daß sie in der überwältigenden Zahl der Fälle, wenn sie alt genug hiezu sind, Nationalsozialisten waren (wie etwa Friedrich Peter), oder, wenn sie zu jung hiezu sind, in ähnlich hohem Prozentsatz aus NS-Familien stammen, ohne sich radikal von ihren Eltern, speziell von ihren Vätern zu distanzieren.
Sollte ich da falsch liegen?
Der Autor ist Psychologe in Wien.
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