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Mit Couplets in den Wahlkampf

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„Grüß Sie, Herr Generaldirektor.“ „Oh, Grüß Sie, Herr Sektionsrat.“ — „Darf ich bekanntmachen, Herr Doktor X von der BSA-Landesorganisa-tion Burgenland, Herr Dr. Y von der BSA-Landesorganisatlon Niederösterreich.“ „Grüß Sie, Grüß Sie.“ Man war, wie man in den besseren Kreisen so zu sagen pflegt, ganz entre nous: die Spitzen der sozialistischen Gesellschaft beim SPÖ-WahlkampfStart in der Wiener Hofburg. In den weiten Gängen zwischen den Marmorsäulen wurde geplaudert, nein parliert, über Geschäfte und Aktenzahlen. Bis Dr. Kreisky und sein bundesdeutscher Ministergast Ehmke den roten Teppich im Mittelgang hin zur ersten Sitzreihe durchmaßen. Gedämpfter Applaus für den Gastgeber. Auch Pittermann, er war in seiner Eigenschaft als Präsident der Sozialistischen Internationale erschienen, klatschte dem Bonner Gast Beifall. Broda, Czernetz und Waldbrunner

war solche Huldigung nicht möglich. Sie hatten es vorgezogen, diesem SPÖ-Hofburg-Start in den Wahlkampf fernzubleiben. „Erst hob ich gedacht, ich bin bei der falschen Hochzeit“, witzelte Kabarettist Muliar im Rahmenprogramm, „denn beim Aufgang in den großen Saal ist mir die Marmorbüste des Kaisers Franz Josef ins Auge gesprungen.“

Nun, der letzte musikalische Beitrag war ein ebenso angestrengter wie anstrengender Versuch, der hochnoblen Veranstaltung ein sozialistisches Profil zu verpassen: eine Jugendtruppe intonierte das Lied von der „schwarzen Pest“. Vor einer riesengroßen dunkelroten Plakatfläche, worauf in mißverständlichem Deutsch „Die Alternative der SPÖ für ein modernes Österreich“ geschrieben stand, referierte SPÖ-Vorsitzender Dr. Kreisky: „Die Alternative der SPÖ rechtfertigt den Anspruch der Sozialisten auf einen

eindeutigen Wählerauftrag. Diese Alternative will eine Realität schaffen, ohne die Österreich kein fortschrittlicher Staat werden kann.“ Dr. Kreisky sprach länger als geplant und sagte, was man schon auch in älteren Reden des Parteivorsitzenden gehört hatte. Er fand Österreichs Demokratie nach vorläufig vierjähriger SPÖ-Oppositions-rolle „geräumiger“, bedankte sich bei den Mitarbeitern des sozialistischen Programms, daß sie „einer Partei, die sich anschickt, das Vertrauen der Mehrheit des österreichischen Volkes zu gewinnen, geholfen haben, sich ihr politisches Leitbild zu erarbeiten“. Hieb auf die VP-„Aktlon 20“ ein („Was von all dem, das von den an der Aktion 20 beteiligten Wissenschaftern und Fachleuten erarbeitet wurde, hat die Regierungspartei geprägt, was davon hat politische Relevanz erhalten?“) und nannte die SPÖ schließlich das politische Lager der Arbeiter, Angestellten und

Verkehrsbediensteten“. Und zuletzt: „Die Verwirklichung der Alternative der SPÖ würde zwei, drei Prozent des Budgetrahmens kosten. Ein solcher Betrag läßt sich ohne finanzielle Belastung der Bevölkerung aufbringen.“

Dann kam Ehmke, das „Wunderkind“ der bundesdeutschen Sozialisten. Recht eindrucksvoll versuchte er den Unterschied zwischen SPD und SPÖ herauszuarbeiten: „Die SPD ist eine progressive Volkspartei ...“, für ihn sei Sozialismus kein Religionsersatz“ und an Dr. Kreis-kys Adresse: „Wir von der SPD haben unsere Alternativen auch von der finanziellen Seite betrachtet ... Wir haben dabei sehr genau gerechnet.“

Das war's: der politische Kern des sozialistischen Startes in den österreichischen Wahlkampf. Von der bundesdeutschen Botschaft in Wien hörte man, daß der Auftritt Ehmkes im österreichischen Wahlkampf als „peinlich“ empfunden wurde. „Was dem gewiegten Diplomaten Kreisky da wohl eingefallen ist“, war noch eine charmante Umschreibung. Aber auch einige sozialistische Gäste in der Wiener Hofburg stimmte Ehmkes Beitrag zum Wahlkampf um Mandate im österreichischen Nationalrat

eher befremdet. Draußen vor der Tür zum großen Hofburgsaal räsonierte etwa der steirische ÖGB-Sozialist DDr. Rupert Gmoser über Kreiskys Einladung und fand dabei ein zustimmendes Publikum. Satirische Gedanken Karl Kraus“ trug Otto Schenk im Unterhaltungsprogramm vor, ein Jazzsextett spielte den SPÖ-Wahlkampfsong, der Kabarettist Flossmann belustigte sich über die österreichische Verfassung und wies der FPÖ die Funktion einer „Schubkraft zur absoluten Mehrheit“ zu. Bonns SPD-Ehmke lächelte rezeptiv und bewegte seine Arme aus verschränkter Haltung zu schwachem Applaus. Erst bei Elfriede Ott um 23 Uhr wurde ihm und den anderen warm. Nestroy-Liebhaber Pittermann fand plötzlich an der Wahlveranstaltung Gefallen und legte die ernste Miene ab. Altsozialminister Proksch erklärte seiner Gattin den tieferen Sinn des Nestroy-Couplöts.

Das, so hörte man es zwischen den vielen „Grüß Sie“ an der Garderobe, war der Höhepunkt des sozialistischen Wahlkampfauftaktes in der Wiener Hofburg: Elfriede Ott mit Liedern aus dem vorigen Jahrhundert.

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