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Am Beispiel Krems?

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Die Gerüchte um eine „geheime Kommandosache“ der SPÖ und der FPÖ um eine Machtübernahme ohne Stimmzettel sind noch nicht ganz verstummt. Und Vizekanzler Doktor Pittermann hat seine Behauptungen über die innenpolitische Entwicklung in Österreich 1964, Prognosen und Programme“ („Die Zukunft“, Heft 1, 1964) nicht widerrufen.

Nach der Meinung des Vizekanzlers geht der Aufbau einer „antimarxistischen Front“ vermutlich weiter — deren Drahtzieher die Rechtsextremisten im Verein mit den Kreisen der Industrie, der Großgrundbesitzer und der Hocharistokratie sind. Als ein Beispiel für die Ausschaltung der Sozialisten und als Vorbild für diese „antimarxistische Front“ in Österreich führte Doktor Pittermann die Stadt Krems an.

Es erhebt sich nun die ernste Frage: Ist das Beispiel Krems das „Corpus delicti“ für das Hegemoniestreben der Reformer und Extremisten oder ist es nur ein billiger Propagandatrick im psychologischen Kampf um die Diskreditierung der ÖVP. Ein drittes gibt es nicht. Oder doch? Vielleicht hat der Vizekanzler, ein großer Könner in der Hohen Schule der Politik, nicht die Erfahrung in den „kleinen Dingen“ der kommunalpolitischen Ebene. Möglich, daß er seine Schlüsse aus fal-fchen Prämissen gezogen hat.

Nehmen wir also die „antimarxistische Front“ in Krems genauer unter die Lupe.

Man muß zunächst ein bißchen in den Annalen der Donaustadt blättern, um die heutige geistige und auch die politische Situation in Krems verstehen zu können. Die Wachaustadt hatte nie einen gewählten christlichsozialen Bürgermeister. Georg Ritter von Schönerer (gestorben 1921 in Rosenau), alldeutscher, antisemitischer und antiklerikaler Wortführer des deutschnationalen Bürgertums, hatte im Bürgertum des Waldviertels und in Krems ßeine Wahlstützpunkte.

Die alten geistigen Ablagerungsstätten beginnen langsam zu versteinern. Man könnte auch in Krems — wie In so mancher anderen österreichischen Stadt weiter Im Westen — die Entwicklung dem Lauf der Zeit überlassen, gäbe es nicht organisierte Zellen, die die deutschnationale Tradition weiterpflegen: die fünf (!) schlagenden Studentenverbindungen. (Da soll ich unlängst ein Oktavaner geäußert haben, daß er der „Schlagenden“ doch nicht beitreten werde, weil er als gelegentlicher Kirchengänger als Außenseiter gelten könnte. Ein beachtliches Symptom!) Dazukommt eine weit rechts stehende Akademikerverbindung, die sogenannte „Chremisia“, die ein reges gesellschaftliches Leben führt.

Durch die Arbeit der politischen Parteien und durch das aktive Wirken der Katholiken, der Pfarren und der Katholischen Aktion, finden wir Im geistigen Pluralismus der Stadt Krems aber auch schon viele positive Akzente. Die Katholiken erhoffen sich auch von der Katholischen Lehrerakademie, die die Diözese St. Pölten in der Donaustadt bauen wird, eine günstige geistige Ausstrahlung.

Es liegt nun die — für Pittermann •o entscheidende — Frage auf der Hand: Welche Elemente haben sich In der politischen Entwicklung der Wachaustadt in den Vordergrund geschoben?

Nach 1945 lenkten zuerst ein ÖVP-Bürgermeister und dann ein SPÖ-Bürgermeister die Geschicke der Stadt. Erst 1955 wurde die ÖVP-Wahlgemeinschaft gegründet. Der Industrielle Dr. Wilhelm, bis zu dem Zeitpunkt politisch wenig hervorgetreten, wurde an die Spitze einer Namensliste gestellt, die möglichst alle Kreise der Stadt ansprechen sollte. Sogar der Obmann des Kleingärtnervereins (jeder weiß, wo jener politisch eingereiht gehört) war auf dieser Liste zu finden. Man muß hier anführen, daß zunächst so mancher ÖVP-Funktionäi aus Parteigründen mit der von neuen Bürgermeister angekündigten überparteilichen Linie nicht einverstanden war.

Ohne Zweifel sind via Namensliste auch einige Männer aus der alten deutschnationalen Garde in den Kremser Gemeinderat eingezogen. Das augenscheinlichste Beispiel war der Druckereibesitzer Dr. Faber, der nach der Affäre um Maria-Langegg vom Bürgermeister aufgefordert wurde, sein Mandat zurückzulegen, was Dr. Faber sehr spät, aber nun doch getan hat (eine „Beschleunigung“ dieses Entschlusses wäre wünschenswert gewesen). Wer aber in der Linken behauptet, in die ÖVP hätten sich über die „antimarxistische Front“ „alte Nazis“ eingeschlichen, dem muß man antworten, daß auch in den Reihen der Kremser SPÖ so manche Leute auftauchten, die vor zwanzig Jahren noch nicht Sozialisten (ohne Vorsilbe) waren. Unter diesen war sogar einmal ein Generaldirektor.

Auch SPÖ-Wähler für Dr. Wilhelm

Auch bei den aus dem alten nationalen Lager kommenden Männern muß man unterscheiden zwischen den Unbelehrbaren und jenen, die bereit sind, sich in der Demokratie zu „integrieren“. Die ersteren sollte man eliminieren, den letzteren eine Chance nicht verwehren, soweit sie eindeutig von „alten Ufern“ abgestoßen sind. Der Kremser Bürgermeister, Dr. Wilhelm, steht bekanntlich den nationalen Kreisen nahe, aber er hat in Sachen Kommunalpolitik das Gemeinwohl an die Spitze seines Programms gestellt. Und das ist auch das Geheimnis seines Erfolges. Aus den Vergleichszahlen der Nationalrats-, Landtags- und Gemeindewahlen kann man unschwer feststellen, daß die Liste Wilhelm nicht nur von ÖVP- und FPÖ-Wählern, sondern auch von Anhängern der SPÖ gewählt wird. Und zwar von einer nicht unbedeutenden Zahl, etwa von jedem vierten sozialistischen Wähler!

Bald nach den Gemeinderatswahlen von 1955 erzwangen die Sozialisten durch ihr Fernbleiben

von den Sitzungen des Gemeindeparlaments einen neuerlichen Urnengang. Die Kremser waren für die damalige Opposition nicht dankbar. Dr. Wilhelm erhielt nämlich darauf so viele Stimmen, daß er auch ohne Zustimmung der Sozialisten hätte regieren können. Also doch eine „antimarxistische Front“? Abgesehen davon, daß auch linksgerichtete Kreise die Liste Dr. Wilhelm wählen, wird dieses Argument durch die Tatsache ad absurdum geführt, daß 98 Prozent aller Kremser Gemeinderatsbeschlüsse — darunter auch die finanziell und sachlich am bedeutendsten — einstimmig getroffen werden.

Übrigens erklärte der Sprecher der SPÖ nach der jüngsten Gemeinderatswahl (im Oktober 1962) in Krems mit Genugtuung, „daß alles, was die Sozialisten fordern, in das Arbeitsprogramm des Herrn Bürgermeisters Eingang gefunden hat“ und „daß die Sozialisten wieder zur Zusammenarbeit bereit sind und diese auch wünschen“.

Von einer „antimarxistischen Front“ nach der Vorstellung Doktor Pittermanns, von einer „Apartheid-Politik“ kann in Krems keine Rede sein.

Der St. Pöltener Diözesanbischof Dr. Franz Zak hat bei einem ge-meindekundlichen Seminar der Katholischen Männerbewegung einem „zweiten politischen Stil“ auf Gemeindeebene das Wort geredet. Einem solchen würde entsprechen, daß die Parteiinteressen zwar nicht verleugnet werden, aber darüber hinaus die lokale Solidarität viel stärker in den Vordergrund gestellt wird. Ein Minimum an Solidarität müßte auf Gemeindeebene, wo viel mehr menschliche, ja familiäre Kontakte bestünden, selbst bei Parteigegnern möglich sein. Mit der Förderung eines solchen Stils würde in Österreich auch die Gesamtsolidarität aufgebaut und die oft gehässige „Nur-Partei-Politik“ abgebaut werden können.

Auf Gemeindeebene gibt es mehr Gemeinsames und weniger Trennendes. Selbst wenn einander Dr. Pittermann und Dr. Klaus „Gewehr bei Fuß“ gegenüberstünden, in sehr vielen Gemeinden würde und könnte die Begegnung zwischen Links und Rechts nicht abgebrochen werden, nicht einmal in Krems. Demokratie in der Gemeinde hat offenbar anschaulichere, gemeinsamere Werte, die außerhalb des Parteienstreites liegen.

Das, was Bischof Dr. Zak ausgesprochen hat, wird heute schon in so mancher österreichischen Gemeinde irgendwie praktiziert. Auch in Krems!

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