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Sammlung in der Mitte!

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Ein Schlagwort geht um, bestimmt, ruhige Bürger zu erschrecken. Seit den Bundespräsidentenwahlen des vergangenen Frühjahrs hat das Wort „Volksfront“ Aufnahme in den politischen Stehsatz gefunden. Die Atmosphäre der Frühsommerwochen nach dem Wahlgang mit ihren besonderen Empfindlichkeiten waren einer nüchternen Untersuchung abhold; der kommende Herbst kündigt sich mit den Vorboten einer Budgetkrise an. Von Neuwahlen Anfang 1966 sprechen heute nicht nur politische Schwarzseher. Also sollte man die kurze Atempause der österreichischen Innenpolitik zu einer ruhigen Untersuchung nützen, ob die erste Regierungspartei gut beraten ist, wenn sie weiterhin ihre propagandistischen Geschütze zur Abwehr einer angeblich drohenden „Volksfront“ auffahren läßt.

Die Bezeichnung „Volksfront“ entstammt dem politischen Wortschatz der bewegten dreißiger Jahre. Damals verstand man unter Volksfront jenen kleinsten gemeinsamen Nenner, auf dem sich bürgerliche Demokraten, Sozialisten und Kommunisten zur Abwehr des drohenden Faschismus fanden. In Frankreich war diese Formel mit dem Namen Leon Blum verbunden. Sie blieb — was bei solchen Partnern mit grundverschiedenen Zielen nicht verwundert — eine Episode.

In Österreich gibt es für dieses „klassische Volksfrontmodell“ keinen historischen Nährboden. Wohl aber verstanden es die Propagandisten des Nationalsozialismus sehr gut, die Mobilisierung einer breiten Front österreichische Patrioten, wie sie 1938 in den Wochen vor Hitlers Überfall spät, sehr spät und zu spät von katholischen Führern dieses Landes versucht wurde, gegenüber einem schwankenden und ängstlichen Bürgertum als gefährliche Volksfrontpolitik zu denunzieren. Einer der mit nationalsozialistischen Augen gesehenen markantesten angeblichen Volksfrontpolitiker war niemand anderer als der von anderen als Austrofaschist verschriene Bürgermeister von Wien, Vizekanzler außer Dienst Richard Schmitz, der erste Generaldirektor des Verlags „Herold“ nach 1945. Wer es nicht glaubt, schlage die einschlägigen Stellen der „nationalbetonten“ oder nationalsozialistischen Literatur nach. Und wem die Nummer vom 25. Jänner 1939 der „Wiener Neuesten Nachrichten“ in die Hände fällt, der bekommt dort einen ganz schlimmen Mann mit „fanatischer Deutschfeindlichkeit, Klerikalismus und Volksfrontgesinnung“ vorgestellt: Otto von Habsburg.

Die Basis, auf der 1945 die provisorische Staatsregierung, aber auch das erste Kabinett Figl errichtet wurde, war — wenn wir diesen Gedankengängen folgen — nichts anderes als eine „Volksfront“. Leopold Kunschak, Leopold Figl, Lois Weinberger, Felix Hurdes, Ferdinand Graf und viele andere als prominente Volksfrontpolitiker — man sieht, wohin man mit einem Schlagwort kommen kann.

Dabei wird man das Gefühl nicht ganz los, daß die Volksfrontparole den über die ungute gegenwärtige Situation mit Recht besorgten führenden Männern der Volkspartei von anonymen Propagandisten suggeriert wurde, die sie in ihrer frühen Jugend einst im März 1938 gegen die Stammväter der heutigen ersten Regierungspartei ins Treffen geführt haben.

Was ist wirklich los? Die Kommunisten haben im Frühjahr für den sozialistischen Bundespräsidentkandidaten gestimmt. Sie haben das bereits 1951, 1957 und 1963 getan. Neu an der Situation ist allein, daß dieses Votum mit einer Wachablöse innerhalb der KPÖ zusammenfiel. Unter einer radikal verjüngten Führung versuchen die österreichischen Kommunisten aus dem stalimstischen Ghetto, in das sie sich selbst verbannt hatten, herauszukommer!. Das bringt natürlich ein neues Element in die österreichische Politik, vor allem dann, wenn, wie gemunkelt wird, die KPÖ bei der nächsten Nationalratswahl ganz oder in bestimmten Wahlkreisen auf die Aufstellung eigener Kandidaten verzichten und eine Stimmabgabe ä la Bundespräsidentenwahl empfehlen würde. Wer kennt die Partei, die Stimmen, woher sie auoh kommen, zurückweist? Der vornehmlich von einer Bedachtnahme auf die Taktik beherrschte Vorsitzende der SPÖ, Dr. Pittermann, ist gewiß der letzte, der solches tun würde. Gerade diese, sagen wir flexible Haltung des Lea-ders einer großen Partei ist ein Un-sicherheitsfaktor, der bestimmte Besorgnisse rechtfertigt. Aber ob man deswegen die schief liegende Volksfrontparole der dreißiger Jahre wiederbeleben soll, um gegen sie einen „Rechtsblock“ mobilisieren zu können, bleibt dahingestellt.

Keine Fronten, keine Blöcke! Eine Polarisierung der österreichischen Innenpolitik wäre nämlich — nachlesen bei Lenin! — die einzig wirkliche „Schützenhilfe für die Kommunisten“.

Die Volkspartei wäre also gut beraten, wenn sie nicht dem roten Tuch einer vorgeblichen Volksfront nachjagen würde, hat sie doch eine viel bessere, eine positive Parole. Niemand anderer als Bundeskanzler Klaus sprach von einer „Sammlung in der Mitte“, Ein gutes Wort. Im kommenden Herbst wird es gelten, dieses mit Leben zu erfüllen. Eine wirkliche Volkspartei braucht ein in sich ruhendes Zentrum und zwei kräftige Flügel. Einen rechten, jawohl, auch den. Und — nicht erschrecken — auch einen linken. Das Ergebnis der letzten Bundespräsidentenwahl hat jedoch die Grenze der „apertura a destra“ der ÖVP aufgezeigt. Wer diesmal von der Rechten nicht den ÖVP-Kandidaten gewählt hat, wird es auch in Zukunft nicht tun. Weiter rechts ist kein Freund mehr zu suchen. Wohl aber liegt ein großes Feld „links von der Mitte“ der ÖVP, das es zu ernten gilt: Bei jenen Wählern, die ein gar zu akzentuierter Rechtskurs heute schon in die Wahlenthaltung treiben und morgen den Sozialisten zuführen könnte.

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