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Unruhe in Niederösterreich

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Das Faßlrutschen in Klosterneuburg, an dem Politiker von hüben und drüben lebhaften Anteil nahmen, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Lande unter der Enns eine Hauptfront des kalten innenpolitischen Krieges besteht.

Niederösterreich, das lange Zeit in Sachen Politik einen friedlichen Dornröschenschlaf schlummerte und im Zeitungsblätterwald kaum beachtet wurde, liefert Schlagzeilen für die Presse und gibt zu polemischen Leitartikeln Anlaß. Wer war der „Prinz“, der plötzlich Unruhe in die seit jeher unumstrittene ÖVP-Hoch- burg hineinbrachte? Was sind die wahren Gründe für das nun so brisante Klima, in dem kleine und große politische Explosionen geradezu auf der Tagesordnung stehen? Sind es allein die in knapp einem Jahr fälligen Landtagswahlen, die ihre Schatten vorauswerfen? Oder: Sind die Aktionen der roten „Reformer“ im Lande unter der Enns (Devise: Mit den Schwarzen kann man nicht mehr Zusammenarbeiten!) gezielte Vorfeldarbeit für eine spätere Sprengung der Koalition auf Bundesebene?

Ein guter Start

Bei näherer Betrachtung des politischen Tagesgeschehens der letzten Jahre zeichnen sich die schwarzen und roten Konturen am politischen Himmel Niederösterreichs genauer ab:

Einstimmig wurde am 31. Jänner 1962 der bisherige Erste Nationalratspräsident Dipl.-Ing. Leopold Figl zum neuen Landeshauptmann von Niederösterreich gewählt. Ganz gegen die Tradition gaben die Sozialisten nicht weiße Stimmzettel ab. Die Haltung der „Opposition“ war wohl in erster Linie eine Achtung der Verdienste des Altbundeskanzlers und Außenministers beim Aufbau der Zweiten Republik. Vielleicht waren auch ein paar Vorschußlorbeeren dabei.

In der Tat gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Landeshauptmann Figl und dem Sf,Ö-Landeshauptmannstellvertreter Doktor Tschadek, wie überhaupt zwischen Volkspartei und Sozialisten, recht gut. Keine Rede von einer „schwarzen Volksdemokratie“. Die Beschlüsse in der Landesregierung, die bekanntlich auch die Bezirkshauptleute ernennt, und auch die Gesetze im Regionalparlament wurden fast nur einstimmig gefaßt.

Schlechte Verlierer?

Auch im friedlichsten Land führen Wahlschlachten zu politischen Spannungen. In Niederösterreich hatten die Novemberwahlen einen Temperatursturz im Landhaus zur Folge. (Figl und seine Mannen hatten die ÖVP-Burg wacker verteidigt, ja im Gegenstoß der SPÖ sogar ein Nationalratsmandat abgenommen.) Die Sozialisten zeigten sich nun verstimmt — auch auf Figl, war er doch der Turm in der Wahlschlacht gewesen! Der „Eiserne Leopold“ hatte (nicht weniger als 200 (!) Wahlreden gehalten. Kein Wunder, daß bei der vorjährigen Herbstsession des Regionalparlaments den Abgeordneten bisweilen ein recht scharfer Wind um die Ohren blies. In der Budgetdebatte wurden die ersten roten Pfeile gegen die schwarzen Bezirkshauptleute abgeschossen, die seither Zielscheibe vieler SPÖ-An- griffe in Niederösterreich blieben.

Die Bundespräsidentenwahl 1963 brachte einige Monate später die kalte | Dusche für die ÖVP. Und obwohl (während der großen Reformer- diskussion innerhalb der ÖVP Figl von der SPÖ geradezu als das Idealbild des gemäßigten ÖVP-Politikers hingestellt wurde, wollte die Zusammenarbeit im niederösterreichischen Landtag nicht mehr recht in Fluß kommen. Die Frühjahrssession endete bei drückender Schwüle mit einer Kampfabstimmung: das Schulaufsichtsausführungsgesetz wurde nach heftiger Debatte gegen die Stimmen der SPÖ verabschiedet. Damals forderte die linke Reichs- hälft auch eine Novellierung der Landeswahlordnung, offensichtlich in dem Bemühen, daß im niederösterreichischen Landhaus neben den roten Nelken auch ein paar blaue Kornblumen erblühen mögen.

Generalmobi'isierung

Zur politischen Generalmobilisierung im Lande unter der Enns kam

es mit der überraschenden Abberufung des schwarzen Sicherheitsdirektors und dessen Ersetzung durch einen Mann roten Couleurs. Olahs Antwort auf die folgende Protestwelle („Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten“

und „Ich versuche meine Personalpolitik so zu machen wie die schwarze Volksdemokratie in Niederösterreich“) waren bekanntlich öl ins Feuer der politischen Leidenschaften. Die Zwischenfälle von Wiener Neustadt, die Anrempe- lung des Landeshauptmannes anläßlich einer Betriebsbesichtigung im Bezirk Melk durch Rollkommandos unter der Führung des SPÖ-Landtagsabgeordneten Wies- mayr waren Symptome einer schon weit fortgeschrittenen politischen Blutvergiftung.

Neben diesen Ereignissen zog sich im Landtag der schon ein Jahi dauernde Streit um die Grundsteuereinhebung in Niederösterreich hin, der um ein Haar zum völligen Bruch der Zusammenarbeit zwischen Volkspartei und Sozialisten geführt hätte. Hier war es dem Entgegenkommen Figls zu danken, daß vor ein paar Wochen ein Kompromiß zustande kam.

Diadochenkämpfe im linken Lager?

Landhaus-Auguren behaupten, daß die Zusammenarbeit mit der SPÖ nun auch deshalb so schwierig sei, weil der radikale Flügel im linken Lager immer mehr an Macht gewinne. Den energischen Verfechtern des Olah-Pittermannschen Kurses im Landhaus ist angeblich die Politik des SPÖ-Dreigestirns in der Landesregierung (Landeshauptmann-

Stellvertreter Dr. Tschadek, die Landesräte Kuntner und Wenger) zu konziliant und zu weich. Sprecher dieser roten „Reformer“ ist der Landtagsabgeordnete und Staatssekretär Rösch, den man als poten

tiellen Nachfolger für Dr. Tschadek nennt. Auch auf die Polstersessel von Kuntner und Wenger — die beiden SPÖ-Landesräte stehen nahe der Altersgrenze — soll es schon Anwärter geben.

Diesen linken „Reformern“ im Landhaus und den „roten Wiener Neustädter Stürmern“ gibt man einen Großteil der Schuld, daß nun Niederösterreich nicht zur Ruhe kommt. In der Gegend von Wiener Neustadt herrscht — seitdem dort rote Arbeiter schwarze BH-Ange- gestellte wegen eines provozierenden Anti-Olah-Plakat angriffen — eine politische Atmosphäre, die an die dreißiger Jahre erinnert. Der kürzlich beschlossene Boykott der SPÖ-Bürgermeister gegen den Wiener Neustädter Bezirkshauptmann Dr. Mohr könnte, wie sich auch Figl ausdrückte, ernste Folgen nach sich ziehen.

Eine Verweigerung von Weisungen im übergeordneten Wirkungsbereich würde einen neuen schwerwiegenden Konflikt in Niederösterreich auslösen. Aber auch die schwarzen Gemeindeoberhäupter dieses Bezirkes protestieren, sie fordern bekanntlich die Suspendierung des Wiener Neustädter SPÖ- Vizebürgermeisters Barwitzius, dem die ÖVP vorwirft, daß er bei den erwähnten Zwischenfällen einen Beamten vor dessen Frau und Kindern niedergeschlagen habe.

Landeshauptmann Figl, nun wieder von beiden Seiten mit Protesten überhäuft, obliegt es nun, als Salomon tätig zu sein. Einstweilen kündigte er einen Erlaß an, demnach öffentliche Gebäude nicht mehr zu Parteizwecken mißbraucht werden dürfen. (Einen derartigen Mißbrauch hatten nämlich beide Parteien einander vorgeworfen.)

Der umstrittene Koalitionspakt

Ob sich in Niederösterreich die politische Atmosphäre vor den Landtagswahlen noch einmal konsolidiert, wird weitgehend von der SPÖ abhängen, denn sie hat ohne Zweifel genügend Pfeile im Köcher, um die Zusammenarbeit beliebig stören zu können. Einer davon zielt auf den schon wiederholt diskutierten Koalitionspakt. Von ÖVP-Seite wird dagegen erwidert, daß auch ein derartiges Abkommen keine Garantie für eine reibungslose Zusammenarbeit biete, und daß man die Gemeinde Wien — dort gibt es bekanntlich ein derartiges Abkommen — nicht ohne weiteres mit Niederösterreich vergleichen könne. Wien sei Gemeinde und Land zugleich, ein Bürgermeister habe im eigenen Wirkungsbereich wesentlich größere Vollmachten als ein Landeshauptmann. Und in der niederösterreichischen Landesregierung, die ja ein Kollegialorgan ist, säßen den vier ÖVP-Mitgliedern ohnehin drei Sozialisten gegenüber. Nur in sehr seltenen Fällen sei es bisher zu einer Kampfabstimmung gekommen.

Eine der wesentlichen Postulate der Sozialisten im Rahmen eines Arbeitsübereinkommens ist die Forderung nach mehr Einfluß in der Personalpolitik des Landes.

Die Aufteilung in schwarze und rote Einflußsphären ist zwar keine erfreuliche, aber eine gesamtösterreichische Angelegenheit. Daß sich dieser Modus im Lande unter der Enns besonders kraß auswirkt, ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß es in den letzten Jahren recht wenige sozialistische Akademiker gewesen sind, die sich einen Platz im ÖVP-Rayon Niederösterreich suchten, weil ihnen doch genügend Posten in benachbarten SPÖ-Domänen zur Verfügung standen. So lange nun die Parteien an ihrer neo-feudalistischen Personalpolitik festhalten, so lange wird man hier auch im Lande unter der Enns keine Patentlösung finden.

Die Front des innenpolitischen Krieges in Niederösterreich ist, wie man sieht, nicht von heute auf morgen entstanden. Die politische Spannung hat auch hier verschiedene Ursachen. Wenn aber auf beiden Seiten der ehrliche Wille zur Zusammenarbeit noch vorhanden ist, dann wäre eine Befriedung des Landes durchaus denkbar. Auch ein Jahr vor den Landtagswahlen!

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