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Mit roten Hostessen unterwegs...

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Seit dem 15. Jänner zieht ein Konvoi durch Österreich, — für ein modernes Österreich, wie Transparente versichern. Der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Dr. Kreisky nimmt sich für die Nationalratswahl am 1. März einen langen Anlauf. Dr. Kreiskys Sprache auf dieser Reise ist klar und volkstümlich. Volkstümlich ist — und das nicht zu seinem Vorteil — auch das Propa-pagandamaterial: abgesehen von Fähnchen für den jungen Teil seiner Anhängerschaft sind auch die Werbebroschüren in der „Sprache des Volkes“ — für jedermann verständlich — geschrieben. So wird der „erste Mann“ als der Vorsitzende mit dem „Gedächtnis wie ein Elefant“ und „mit dem Mut eines struppigen Hundes“ geschildert. Aber er posiert auch neben Papst Paul VI: Sicherlich ein Bild für das Familienalbum, in einer Wahlkampfbroschüre aber eher nicht am Platz.

Der so als „Kanzler von morgen“ präsentierte „first man“ der SFÖ bleibt auch bei seinen Wahlkampfveranstaltungen auf dem Niveau der „Vorstellungsbroschüre“ — gemütvoll und volkstümlich. Schon nach zehn Tagen hatte er —

nach eigenen Angaben — bei hundert Veranstaltungen mit rund 35.000 Anhängern Kontakt ' aufgenommen. Seine mit orangenroten Hosenanzügen ausgerückten fünf Hostessen — übrigens sind diese um einiges hübscher als die grünen Hostessen der ÖVP — werden niemals müde, unentwegt lächelnd das Werbematerial „an den Mann zu bringen“, und anzulocken. Aber auch mit dem „Anlocken“ ist da so eine Sache: abgesehen davon, daß die Musikkapelle, die zu Doktor Kreiskys Ankunft im jeweiligen Ort schwungvolle Musik zum Besten gibt, ihn ein längeres Stück seines Weges begleitet, daß die Begrüßungsredner mit schnellen Wagen ausgestattet sein müssen, da sie ansonsten kaum dem Rover des SPÖ-Chefs voraneilen könnten, um ihm auch in der nächsten Gemeinde wieder die „Worte des Empfangs“ entgegenrufen zu können, werden auch aus nah und fern Autobusse herbeigeholt, um dem SP-Spitzenkadida-ten einen entsprechenden Empfang bieten zu können.

In seinen Reden spricht der Parteivorsitzende sehr wenig über die Vorstellungen der Sozialisten. Das wun-

dert eigentlich sehr, denn zu Beginn des Wahlkampfes war doch zu vermuten, daß die Programme einen Schwerpunkt in der Propaganda darstellen werden. Vielmehr widmet sich Dr. Kreisky der ÖVP-Regierung: „Diese Regierung hat nichts von dem gehalten, was sie versprochen hat“, ist sein Lieblingsthema, von dem er gleich zu einem wetteren Angelpunkt seiner Argumentation kommt — er setzt die vier Jahre der ÖVP-Regie-rung einer Zeit der Skandale gleich Bald weiß man, daß Müllner und Verteidigungsminister Prader die „Liebkinder“ seiner Angriffe gegen die ÖVP sind. Doch auch Dr. Klaus und Dr. Koren kommen nicht ungeschoren davon. Interessant ist jedoch die Feststellung, daß er seinem „Erbfeind“ Dr. Withalm wenig — oder besser gesagt nichts — nachsagt. Selbstverständlich wird bei den Kundgebungen auch die gesamte FPÖ-Erklärung zitiert — was sich dann fast wie eine Stimme aus dem „Schmollwinkel“ anhört: „Feig! Zwei gegen einen!“

Augenscheinlich drückt diese Wahlreise aber aus, daß die SPÖ mit einem „Ein-Mann-Team“ in den Nationalratswahlkampf zieht: kein

Wort fällt über die Mannen „zu Hause“ — Pittermann nicht ausgenommen. Wenn über Sozialisten gesprochen wird, dann sind es Renner und Körner.

Das Publikum ist von dieser Show hingerissen. Der Eindruck der Hostessen, der Musikkapellen, der „bunten Heftchen“ ist noch lange nach der Veranstaltung Gesprächsthema. Dr. Kreisky selbst wird von den älteren Besuchern als „fesch“ bezeichnet; und von den jüngeren? Nun, die fehlen meist, wenn man von

den Kleinen ab zehn Jahren abwärts absieht.

Dr. Kreisky merkt das sicherlich auch: im Gegensatz zu seinen Wahl-keisen anläßlich der Regionalwahlen in den letzten vier Jahren wirkt er etwas müde und abgespannt. Mit der Dauer seines Trips wird sich das noch verstärken: es ist die Frage, ob Dr. Kreisky gut beraten war, zweiundvierzig Tage lang Stunde um Stunde mit demselben Programm durch Österreich zu ziehen.

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