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20. April 1970, 21 Uhr 40

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Bei einem Heurigen und Anfang März flüsterte ein schon sehr aufgeräumter designierter Bundeskanzler Dr. Kreisky seinen Wahlmitarbeitern vertrauensselig zu, daß er nicht im geringsten daran denke, mit der österreichischen Volkspartei eine Koalitionsregierung zu bilden. Er werde, so sagte Kreisky damals, vorerst allein über Sachfragen sprechen lassen und die Bildung einer gemeinsamen Regierung zwischen Sozialisten und Volkspartei an Ressortfragen scheitern lassen. Schließlich, so sagte er seinen Parteifreunden auch angeblich, sei der sozialistische Vertrauensmann in der Kanzlei des Bundespräsidenten, Doktor h. c. Franz Jonas, mit diesem Plan einverstanden. Und so lief denn auch die Regierungsbildung: Fünf Tage vor dem „traurigen Montag“ (nach VP-Zeit-rechnung) versicherte Dr. Kreisky dem Schweizer Journalisten Doktor Hans Fleig seine Absicht, die nächste Regierung allein zu bilden. Am Abend des 20. April, da bereits feststand, daß Dr. Kreisky eine sozialistische Minderheitsregierung dem Volk präsentieren werde, ging es im Vorzimmer der SPÖ-Klubräume im Parlament, wo der sozialistische Parteivorstand tagte, drunter und drüber. Den aufgeregten Doktor Pittermann empörten die zu vielen anwesenden Journalisten; ein blasser Zentralsekretär Probst versicherte, daß ihm die ganze Geschichte wirklich nicht gefalle; ein gar nicht glücklicher Dr. Androsch murmelte bereits eine Stunde vor der Verlesung des sozialistischen Minderheitskabinetts vor sich hin, daß er als Finanzminister um seine politische Karriere bange. Der sozialistische Parteivorstand endete um 21 Uhr. Die meisten Mitglieder dieses Gremiums verließen fluchtartig die Parlamentsräume der SPÖ. Zuletzt auch Dr. Kreisky, ein wenig unsicher ob seines für die heimische Politik völlig neuartigen Tuns. Noch ehe er Bundespräsident Jonas seine Ministerliste unterbreitete, gab er sie einigen Journalisten bekannt.

Sodann fuhr er hinaus nach Döbling in die Villa des Bundespräsidenten. Dort, im Wohnzimmer des SPÖ-Par-teimitgliedes Jonas, wurden gegen 21.40 Uhr die Weichen der österreichischen Innenpolitik neu gestellt.

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