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Für alle Jahreszeiten

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Noch Ende 1973 regelte Bundespräsident Franz Jonas wichtige personelle Fragen in der Präsidentschaftskanzlei: per Ende Dezember hat sich Kabinettschef Dr. Trescher von der Hofburg und damit auch von seiner Beamtenlaufbahn ins Privatleben zurückgezogen. Der neue Leiter der Präsidentschaftskanzlei kommt aus dem Innenministerium, heißt Dr. Weihs und ist so wie sein Vorgänger Mitglied des Bundes Sozialistischer Akademiker.

Bereitet der seit Sommer 1973 kränkelnde Bundespräsident seinen Rücktritt vor?

Die Funktion des Bundespräsidenten spielte in den letzten Wochen und Monaten eine sehr wesentliche Rolle in den politischen Kalkulationen der Parteien. Kanzler Kreisky will, wie die Dinge liegen, mit einem chancenreichen Kandidaten noch vor den nächsten Nationalratswahlen in den Wahlkampf um die Bundespräsidentenwürde ziehen. Lange Zeit hat es so ausgesehen, als ob Außenminister Kirchschläger der einzige Kandidat der Sozialistischen Partei sei, weil er, so das „profil“, nach „Laufbahn und Weltanschauung der Prototyp des österreichischen Staatsoberhauptes“ ist: ein Mann mit außenpolitischen Erfahrungen, ohne Parteibuch, katholisch und dennoch vom sozialistischen Parteiapparat geachtet. Die Dinge haben sich freilich gerade in den letzten Wochen gewandelt: die Außenpolitik ist wegen ihrer neutralistischen Komponente in das Schußfeld der oppositionellen Kritik geraten; die Fristenlösung ließ nicht nur die parlamentarische Opposition immer wieder fragen, wie es denn der Katholk Kirchschläger mit der Tötung von ungeborenem Leben hält. Zuletzt aber hat sein Engagement in der Sozialistischen Partei großes Mißfallen erregt, weil es unvereinbar mit dem Versprechen Kirchsohlägers nach seiner Angelobung zum Außenminister, sich von Parteipolitik freizuhalten, ist. In diesen und ähnlichen Fragen hat der Außenminister Kirchschläger offenbar einen Wandel mitgemacht. Daß er sich Ende Oktober im Nachrichtenmagazin „profll“ zum „nächsten Bundespräsidenten hochloben ließ, mußten selbst Sozialisten mißdeuten, die sich wie andere Österreicher auch mit der Amtsführung von Franz Jonas einverstanden fühlten.

In der ÖVP wird seit einiger Zeit beraten, ob man einem chancenreichen Außenminister Kirchschläger überhaupt einen Kandidaten gegenüberstellen soll und wie ein solcher Kandidat heißen könnte. Wie die Dinge heute liegen, dürfte nicht nur die Frage der Kandidatur, sondern auch die Person des Kandidaten bereits entschieden sein. Wie es heißt, geht es nicht an, einerseits die Mehrheit in diesem band zu beanspruchen und anderseits auf eine eigene Kandidatur für das höchste Amt in diesem Staat zu verzichten. Dieser grundsätzlichen Entscheidung folgten sodann konzentrierte Angriffe auf Kirchschläger in der Budgetdebatte, die insbesondere dessen Glaubwürdigkeit zum Ziel hatten. Der Erfolg dieser Angriffe ist schwer zu beurteilen, wo doch Kirchschlägers Erfolg auch eng mit dem politischen Glück der Regierung und insbesondere von Bundeskanzler Kreisky, der ja die Außenpolitik mitbesorgt, verbunden ist. Erst hieß es, die ÖVP wolle mit dem Innsbrucker Bürgermeister Lugger in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen. Als man dessen .Bekannt-heitsgrad in Österreich erfuhr und überdies rechnen mußte, daß der Wahlkampf lange vor den Olympischen Spielen in Innsbruck stattfindet, ist man von dieser Idee abgegangen. Sollten die Präsidentschaftswahlen schon im kommenden Sommer stattfinden, dann heißt der Kandidat der ÖVP Hermann Withalm.

Withalm, so argumentiert man, besitzt in der Partei ein derart großes Ansehen, daß der Apparat mit vollem Einsatz hinter seiner Kandidatur und hinter seinem Wahlkampf stehen würde. Obendrein ist sein Be-kanntheitsgrad größer als der des amtierenden Außenministers. Zuletzt aber hat sich Withalm in den zwei Jahren seit seinem Ausscheiden aus der .großen“ Politik mehr und mehr zu einem „eider statesman“ entwik-kelt, dessen Fairneß von allen Parteien und auch von einer sehr großen Öffentlichkeit sehr geschätzt wird. Wenn Withalm im Parlament alle Jahreszeiten“ und erkennt mehr und mehr seine Unabhängigkeit vom Parteiapparat an. Immerhin wurde Withalms späte Lanze für die große Koalition mehr beachtet, als so manche lang vorbereitete Aussage von politischen Spitzenfunktionären.Wird (im kommenden Sommer) eine Auseinandersetzung zwischen Withalm und Kirchschläger um das Amt des Bundespräsidenten stattfinden? Nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit ist dies anzunehmen, wenn Freunde neuerdings auch Bundeskanzler Kreisky immer mehr selbst ins Gespräch bringen. Wie es scheint, paßt dem Kanzler die Richtung der politischen Probleme nicht mehr; wie es heißt, ist er ein wenig regierungsmüde. Hier könnte sich ohes ahnen und vieles offen. Vor allem aber hat er klargestellt, daß er die sogenannte Altersklausel der SPÖ nicht umgehen will. Das heißt: Kreisky wül keine volle nächste Legislaturperiode Kanzler bleiben.

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