Abschied von einem guten Menschen

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Rudolf Kirchschläger war ein Solitär in Österreichs Politik. Ist die Zeit für Männer seines Zuschnitts für immer vorbei?

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Rudolf Kirchschläger war ein Solitär in Österreichs Politik. Ist die Zeit für Männer seines Zuschnitts für immer vorbei?

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Irgendwann - gut 15 Jahre sind seither vergangen - hatte Bundespräsident Kirchschläger den Initiator einer erfolgreichen Sozialaktion auszuzeichnen. Er tat es ohne blinkenden Orden, ohne vorbereitete Rede. Langsam ging er auf den Geehrten zu und sagte: "Ich bezeuge vor allen, die heute gekommen sind: Sie sind ein guter Mensch!"

Rudolf Kirchschläger liebte die Schlichtheit, die Klarheit und Glaubwürdigkeit. Schmeicheleien und "Friedhöflichkeiten" hielt er für peinlich - anderen, aber auch sich selbst gegenüber. Nur "tröstende Worte" wird es deshalb - seinem Wunsch entsprechend - am kommenden Montag an seinem offenen Grab geben. So soll auch für ihn dieser schlichte, klare und glaubwürdige Satz gelten: Österreich nimmt Abschied von einem guten Menschen.

Er war - und bleibt - der Inbegriff demokratischer Bürgerkultur. Ein Mann von höchster Anständigkeit und josefinischer Pflichtauffassung. Patriotisch und weltoffen zugleich. Bescheiden und doch würdevoll. Als Christ tiefgläubig, als Politiker und Staatsmann glaubwürdig. Unbestechlich in seinem Urteil, aber mitfühlend in seinem Wesen. Kein blendender Rhetor, aber in jedem Wort authentisch.

Einen wie ihn gesucht Das Schönste, das sich über Rudolf Kirchschläger sagen läßt: Daß ihn die Österreicher nach zwölf Jahren im Amt, zwar der Verfassung gehorchend, ziehen lassen mußten. Daß sie seither aber immer wieder einen wie ihn für die Hofburg suchen. Nun schon ein Vierteljahrhundert lang. Natürlich, Kurt Waldheim und Thomas Klestil haben - jeder auf seine Weise - Neues und Anderes eingebracht. Und doch waren sie zunächst eine Fortsetzung jenes Präsidentenbildes, das er geprägt und zum Erfolgsmodell geformt hatte: * Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, bekennend katholisch - und überdurchschnittlich fleißig.

* Im Dienst an Österreich bewährt, bei aller bürgerlichen Werthaltung parteilos - und dank erprobter rotweißroter Gesinnung über Parteigrenzen hinweg hochgeachtet.

* Als Spitzendiplomat weltläufig, tolerant - und auf Solidarität, Kompromiß und Diskretion verpflichtet.

Kein anderes Land hat sich so lange einem so klar umschriebenen Präsidentenbild verschrieben - das Vorbild Rudolf Kirchschlägers hat unzweifelhaft damit zu tun.

Viel ist seit der Todesnachricht davon die Rede, wie dieser zurückhaltende, eher trocken, ja steif wirkende Mann eine so beispiellose öffentliche Zustimmung finden konnte. Wer ihn kannte, der weiß, daß Kirchschläger selbst dafür auch ein gütiges Geschick verantwortlich gemacht hat. Tatsächlich waren ihm Prüfungen erspart geblieben, wie sie später Kurt Waldheim erwarteten. Denn noch war der Zeitgeist nicht auf Vernichtung aller Autoritäten aus. Noch hatte die Hofburg letztlich zur Erbpacht der Sozialdemokratie gehört, die - von Kreisky diszipliniert - hinter ihm stand. Noch hatten auch die Medien den Präsidenten nicht als Zielobjekt entdeckt. Über seinen ersten Jahren der Bewährung lag zudem der schützende Mantel des "Sonnenkönigs": Vieles, was ihm an Unbill entgegendrängte (Kirchschlägers Wehrmachtsjahre, seine einstige ÖAAB-Mitgliedschaft und anderes) blockte Bruno Kreisky auf unnachahmliche Weise ab.

Kein Ja-Sager Mag sein, daß der Kanzler anfangs gehofft hatte, mit seinem einstigen Kabinettschef leichteres Spiel zu haben. Es wäre jedenfalls eine Fehleinschätzung gewesen. Daß Kirchschläger kein Ja-Sager war, hatte sich schon gezeigt, als er 1968 als Gesandter in Prag - entgegen der Weisung von Innenminister Soronics - tausende Visa an CSSR-Flüchtlinge ausgab. Er zeigte es erneut mit seinem Nein zur SPÖ-"Fristenlösung" im Präsidentschaftswahlkampf - vor allem aber, als er sich auch unter Druck nicht gegen Waldheim instrumentieren ließ.

Trotzdem, und vielleicht gerade deshalb, war das Verhältnis Kirchschläger-Kreisky von hohem gegenseitigem Respekt geprägt: Der eine bewunderte die Phantasie, die Wendigkeit, das Spielerische des Anderen; der andere die Gradlinigkeit und Sachkenntnis des Einen - sein unbestechlichen Urteil. Es war sein ausgeprägter Realitätssinn, gewachsen in bitterer Jugend, und seine christliche Bescheidenheit, die Kirchschläger gegen Verlockung und Eitelkeit immunisierten. Wer glaubte, ihn mit Devotionen gewinnen zu können, stieß auf Ablehnung, noch öfter aber auf seinen hintergründigen, auch schneidenden Humor.

Sicher: Er war keiner, der Hierarchien einebnen wollte. Als Herr in der Hofburg, dem Hauptquartier aller Staatssymbolik, wußte er, was dem Staatsoberhaupt an Ehren zukam; und daß Form auch Inhalt ist - gerade dort, wo Österreichs "Realverfassung" nur wenig politische Macht zuließ (was er im übrigen nie bedauerte). Heurigenbänke und Biertische waren seine Sache nicht. Der goldlackierte Ehrensessel hatte sehr wohl bereitzustehen, wenn er als Bundespräsident die Mauern der Hofburg überwand - was er oft und gerne tat. Es war dann immer der Mensch Rudolf Kirchschläger, der den leicht vor die erste Reihe der Ehrengäste geschobenen Präsidenten-Sitz beiseiteschaffen ließ, um die Distanz zum Bürger zu reduzieren.

Manfried Welans klassisches Wort: "Wie ein Wasserzeichen schimmert noch immer der Kaiser durch die Verfassung der Republik", war unter Kirchschläger nicht außer Kraft gesetzt - für sich selbst aber wollte er es nicht wahrnehmen.

Mit erstaunlicher innerer Distanz kommentierte er den eigenen Aufstieg zum "Säulenheiligen der Republik"; wissend, daß es auch eine Zeit vor der Legendenbildung gegeben hatte: Eine Zeit großer Bitterkeit der ÖVP, die in ihm zunächst einen "Abtrünnigen" sah. Eine Zeit, in der man ihm neben Kreisky kaum einen außenpolitischen Freiraum zutraute (was nur für den Nahen Osten richtig war). Eine Zeit öffentlichen Desinteresses am Präsidentenamt - hunderte Reden blieben weitgehend unbeachtet.

Rudolf Kirchschläger war das erste Staatsoberhaupt der 2. Republik, das seine Amtszeit überlebte und für 14 Jahre in die Rolle des Pensionisten zurückfiel. Den Wechsel ins Private empfand er "als wunderbares Gefühl, machtlos sein zu dürfen". Nur die leichte Verbitterung, von der Republik, der er so vorbildlich gedient hatte, weder Büro noch Schreibkraft beigestellt zu bekommen, mochte er schwer zu verbergen.

Kein Zwischenrufer Seine späten Briefe - mit fortschreitendem Verlust der Sehkraft in großen Computer-Lettern verfasst -, zeugten von Schreibkultur, Diskretion und der Entschlossenheit, nur ja kein Zwischenrufer der Tagespolitik zu werden. Mehr und mehr spürte er auch, daß diese Zeit und diese Welt nicht mehr die Seinen waren - in ihrer geschwätzigen Schnellebigkeit, ihrer Geist- und Wertelosigkeit. Über "seine" Außenpolitik - gewachsen aus Nachkriegserfahrung und Staatsvertrag - war die Zeit hinweggegangen. Daß sich Österreichs Neutralität nicht mehr als "immerwährend" erwies, schmerzte ihn. Die Trauer, "daß uns niemand davor bewahrt, als Nazi-Volk zu gelten", peinigte ihn noch am Sterbebett. Auch seine Sprache verlor im Zeitalter griffiger "Sager" an Wirksamkeit - selbst die "Sümpfe und sauren Wiesen" würden heute eher als schützenswerte Feucht-Biotope denn als Synonym für Korruption und Machtmißbrauch gelten. Den körperlichen Verfall nahm er zuletzt mit einer Demut an, die - mehr als alles andere - die ganze Tiefe seines Gottvertrauens offenbarte. Mit der Unausweichlichkeit des Sterbens war er schon längst im Reinen.

Vielleicht sollte man seinen Tod auch zu einem Augenblick der Nachdenklichkeit nutzen. Wieviele Persönlichkeiten, ausgestattet mit dem Wertekanon eines Rudolf Kirchschläger, werden sich unter den veränderten politisch-medialen Vorzeichen noch zum Dienst an Staat und Politik entschließen? Und: Wie groß wird ihre Chance sein, in Führungsämter unserer Republik aufzusteigen - und so unserem Land zu Würde, Ansehen und demokratischer Bürgerkultur zu verhelfen?

Der Autor war langjähriger Sprecher der Bundespräsidenten Waldheim und Klestil. Diesen Nachruf verfaßte er, entgegen sonstiger Gepflogenheit, auf besondere Bitte der Furche.

Kirchschlägers berühmte Rede über die "sauren Wiesen" und seine biographische Daten lesen Sie auf Seite 17.

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