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Ein tirolischer Thomas Morus?

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,,Ich bilde mir gleich ein des Thomas More, des englischen kanzlers, tod.“ Der diese Worte sprach, war Wilhelm B i e n n e r, einst in Innsbruck tirolischer Kanzler und Hofkanzler. Vor 300 Jahren, am 17. Juli 1651, fiel sein Haupt unter dem todbringenden Streiche des Freimannes im Hofe des Schlosses zu Rattenberg. Sein tragisches Geschick hat diesen Mann zu einer der bekanntesten Gestalten aus Tirols Vergangenheit werden lassen. Die sagenbildende Kraft des Volkes und die schöpferische Phantasie des Künstlers haben sich Wilhelm Bienners bemächtigt und haben zusammen das Bild dieses Mannes so gezeichnet, wie es heute noch über die Grenzen Tirols hinaus lebendig ist. Wenn in den dreißiger Jahren das Wiener Burgtheater in seinem Programm durch sieben Jahre Wenters „Kanzler von Tirol“ erscheinen ließ, so hatte der Dichter diesen für einen Künstler unserer Generation einmaligen Erfolg nicht nur seinem Genius zu verdanken, sondern auch der Tatsache, daß das Los seines Helden bekannt war und die dramatische Gestaltung echtes Mitgefühl erwecken konnte. Der Großteil unserer Zeitgenossen schöpft jedoch sein Wissen um den Kanzler von Tirol aus Hermann S c h m i d s historischem Roman. So erregend die künstlerischen Darstellungen auf uns wirken mögen und wie sehr sie uns auch ein lieb und teuer gewordenes Bild des Helden eingeprägt haben, für die Frage, inwieweit Bienner seinen Tod berechtigt mit dem des englischen Kanzlers verglichen hat, müssen wir das Bild des Opfers von Rattenberg zu rekonstruieren versuchen, wie es streng historisch noch faßbar ist. Es ist eines der bleibenden Verdienste des Tiroler Historikers Josef Hirn, der ob seiner konservativen Einstellung zwar zunächst angefeindet, doch erfolgreich als Universitätsprofessor in Wien wirkte, in seinem gründlichen Werke „Kanzler Bienner und sein Prozeß“ (1898) das festgelegt zu haben, was zu diesem Falle die Prosa der Aktenzeugnisse lehrt“.

Zwanzig Jahre währte die Amtszeit Wilhelm Bienners in Tirol. Der aus Württemberg stammende Vierziger war bereits Im Dienste der Markgrafschaft Burgau, des Bischofs von Freising und des Kurfürsten Maximilian von Bayern gestanden, hatte durch kurze Zeit dem Kaiser im Reichshofrate gedient und galt als „ein Subjektum mit guten Qualitäten“, als er im Jahre 1630 von Erzherzog Leopold mit dem tirolischen Kanzleramte betraut wurde. War Bienner bis 1638 als Kanzler bei der Regierung mehr mit innenpolitischen Fragen und Aufgaben der Rechtspflege beschäftigt, so wies ihn das Amt des Hofkanzlers, welches er dann bekleidete, vorwiegend auf die Außenpolitik. In beiden Fällen konnte er sich große Verdienste um Land und Herrschaft erwerben.

Aber schon zu Zeiten der Erzherzogin Claudia, die nach ihrem Gemahle Leopold seit 1632 die Regierung innehatte, wurden mehrfach Versuche unternommen, den Kanzler zu stürzen. Allerdings hat ihn das Vertrauen der Landesfürstin, das sich der Kanzler durch seine Umsicht und Tatkraft erworben hatte, damals noch gehalten. Der Grund für diese Umtriebe ist nicht in politischen Differenzen, vielmehr In persönlichen Feindschaften zu suchen. In seinen Amtsstellungen war Bienner ge-schäftsführ'mdes Organ eines Kollegiums. Dies erforderte neben umfassender juridischer Kenntnisse ein gewisses Geschick im Umgang mit den Kollegen. In dieser Hinsicht war der Kanzler nicht gerade glücklich. Seine ganze Art, die ihm kaum Freunde zu gewinnen vermochte, sein

hochfahrendes Wesen, der Sarkasmus, mit dem er unbarmherzig die Schwächen und Fehler anderer bloßlegte, verschafften ihm bald zahlreiche Feinde. So entzog sich der Landfremde langsam den Boden unter den Füßen. Schwierig gestaltete sich seine Lage, als Claudia 1646 resignierte, 1648 starb und der Kanzler außerdem die wenigen Stützen, die er bei Hof hatte, durch Tod verlor. Der neue Landesherr, Erzherzog Ferdinand Karl, war kein Mann, der sich der hohen Verpflichtung des Herrscheramtes bewußt und geneigt gewesen wäre, persönliche Bestrebungen und private Ambitionen seiner Aufgabe unterzuordnen. So konnte es gewandteren Männern gelingen, Bienner bei Hofe auszustechen. Obwohl weiterhin im Amte, verlor der Hofkanzler immer mehr den Einfluß auf die wichtigsten Agenden. Bei den Friedensverhandlungen von 1648, die für Tirol äußerst bedeutsame Veränderungen brachten, war er überhaupt nicht beteiligt. Es war nur der Abschluß einer Entwicklung und der Losbruch eines Gewitters, das sich seit langem zusammengebraut hatte, daß er im Jänner 1650 seine Entlassung aus dem Hofdienste erhielt.

In Ehren entlassen, lebte Bienner seiner Wirtschaft in Büchsenhausen über Innsbruck; seine Widersacher aber sannen auf Vernichtung des ihnen verhaßten Mannes. Eine dubiose Steuerangelegenheit bot die erste Gelegenheit, gegen ihn vorzugehen. Ein unter Claudia niedergeschlagenes Verfahren wurde erneut aufgegriffen, eine Hausdurchsuchung brachte einige inkriminierende Pasquillen zutage, und damit konnte ein Haftbefehl erwirkt werden. Unter dramatischen Umständen, nach Aufhebung des Asylrechts innerhalb der Mauern des Klosters Wüten verhaftet, mußte er zu Rattenberg das harte Los der Gefangenschaft dulden. In einem Inquisitionsverfahren, dessen Fäden der Todfeind Bienners in Händen hielt, wurde über Schuld oder Unschuld des Exkanzlers entschieden. 490 Fragen wurden in den Verhören erörtert, die zehn Punkte der Anklageschrift — Unterschlagungen, Majestätsbeleidigungen, widerrechtliche Aneignungen, Steuerverweigerungen — genügten, daß der Gefangene mit dem Schwerte gerichtet wurde. Zweifellos war Bienner nicht frei von menschlichen Schwächen, in seiner Amtsführung war er nicht immer korrekt, Gewinnsucht war mitunter die Triebfeder seines Handelns, seine scharfe Zunge machte vor niemandem halt, aber was immer er gefehlt haben mag, die Todesstrafe war zu hart für seine Vergehen. Dennoch nahm Bienner mannhaft das Urteil an und verschmähte es, durch ein Gnadengesuch das ihm angetane Unrecht abzuwenden. So würdelos das Verfahren gegen ihn war, so aufrecht hat er seine letzte Prüfung bestanden) dies und die nicht zu bestreitenden Verdienste haben mit einer gewissen Berechtigung die Gestalt Wilhelm Bienners mit der Gloriole des „Kanzlers von Tirol“ umgeben.

Zweifelsohne haben manche Entscheidungen des Kanzlers in Angelegenheiten der Politik und Wirtschaft ihm Gegnerschaft eingebracht, seine Stellungnahmen zu religiösen Problemen sind nicht ohne Widerspruch geblieben, es waren aber persönliche Strebungen und Leidenschaften, die den Kanzler im Netze der Intrigen fingen und seinen Untergang herbeiführten. Sind daher zum Falle Bienner Entsprechungen zu finden, wären sie im nämlichen 17. Jahrhundert zu suchen, in dem auch in anderen Staaten führende Minister Stellung und Leben verloren. Sie alle waren Opfer des sich entwickelnden Absolutismus. Und es liegt eine

Tragik darin, daß Wilhelm Bienner, der wie kein anderer Kanzler in Tirol das absolute Landesfürstentum den Ständen und insbesondere Brixen und Trient gegenüber vertrat, ebenfalls ein Opfer dieser Entwicklung wurde. Thomas Morus, dem Opfer der Reformationszeit, steht Wilhelm Bienner, letzten Endes ein Opfer höfischer Intrigen, gegenüber. Nicht nur mehr als ein Jahrhundert, Welten trennen die beiden.

Amtsführung und Charakter beider Kanzler können nicht gleichgesetzt wer-

den. Trotz mancher edler Bestrebungen darf man Bienner niemals auf die Höhe des charakterfesten englischen Kanzlers stellen. Wenn aber der Kanzler von Tirol dafür, daß er seinen Tod mit dem des englischen Kanzlers verglich, dennoch nicht Lügen gestraft werden kann, dann deshalb, weil beide ein ungerechtes Todesurteil auf sich nehmen mußten, und Bienner, wenn schon nicht ganz, so doch in etwas, in seinen schwersten Stunden an die Haltung und Fassung erinnerte, mit der Morus den Tod erlitt.

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