6967606-1985_19_01.jpg
Digital In Arbeit

„Lautstärke macht keine Mehrheit”

Werbung
Werbung
Werbung

F)jRCHE: Die Republik feiert, nach dem 40. Jahrestag ihrer Wiedergeburt nun den30. Jahrestag ihrer Freiheit. Wir lassen den über alle Parteigrenzen hinweg wirkenden Geist politischer Gesamtverantwortung und die auf die nationale Einheit ausgerichtete Haltung der Länder hochleben. Läßt nicht die Gegenwart am Fortleben dieses Geistes und dieser Haltung zweifeln?

BUNDESPRÄSIDENT KIRCHSCHLÄGER: Es ist die allgemeine Tendenz, daß wir die Vergangenheit als die Zeit der großen Kooperation zwischen den politischen Kräften und die Gegenwart als die Zeit des großen Haders und des Partikularismus sehen. Wenn man aber Zeitungen aus jener Zeit zum Beispiel durchblättert, wird man sehen: Es war eigentlich gar nicht so sehr eine Zeit der großen Einheit, des Gleichklanges in den Zielen. Es war eine Zeit, in der auch sehr viel egoistisches Interesse einzelner Parteien und gesellschaftlicher Institutionen bestanden hat. Wenn wir sie heute als die gute, alte Zeit preisen, dann tun wir das wohl sehr bewußt deswegen, weil wir mit Recht glauben, daß heute eine einigende politische Konzeption nach wie vor sehr notwendig wäre.

FURCHE: Das politische Klima hat sich doch wohl verändert.

KIRCHSCHLÄGER: Ich glaube, in der Grundeinstellung der Parteien hat sich gar nicht so viel geändert, viel geändert hat sich aber in der Berichterstattung, in den medienmäßigen Aufbereitungen. Und auch das Medienbewußtsein der einzelnen Politiker hat sich geändert.

Während man früher Politik mit Blickrichtung Koalitionspartner gemacht hat, macht man heute Politik mit Blickrichtung Massenmedien, um eine möglichst gute Ausgangsbasis in der Auseinandersetzung zu finden. Zum Koalitionspartner hat eine Bindung bestanden, das Verhältnis zu den Medien ist ein wesentlich kurzlebigeres und ambiva-lenteres. Damit wird auch die Politik sprunghaft und manchmal auch unvorsehbar.

FURCHE: Eine einigende politische Konzeption, sagten Sie, wäre notwendig. Was müßte dieser Grundkonsens miteinschließen?

KIRCHSCHLÄGER: Vor allem ist der Grundkonsens über den inneren Wert und den Gehalt der Demokratie notwendig. Dort scheint mir eine der wichtigsten Prämissen für eine gute Zukunft zu liegen. Denn wenn wir als das einzig Verbindende der drei traditionellen Lager in Österreich nur mehr den Antikommunismus haben, dann ist das zu wenig, um eine Demokratie attraktiv zu machen. Wir müssen uns darauf besinnen, das gemeinsame Positive am Inhalt der Demokratie erstens übereinstimmend festzulegen, zweitens auch zu praktizieren.

FURCHE: Und in Sachfragen?

KIRCHSCHLÄGER: Da scheinen mir am ehesten die Außen-und Verteidigüngspolitik konsensbedürftig zu sein, weil es hier schlicht um die Sicherheit des Staates geht. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß uns heute jemand bös will von unseren Nachbarn. Aber allein aus der Tatsache, daß in Wien immerhin schon elf Jahre Verhandlungen über eine ausgewogene Verminderung des Militärpotentials nur in Mitteleuropa ohne Fortschritte stattfinden, müssen wir erkennen, daß die Situation auch in Mitteleuropa ernst ist, sonst würde man zu einer Lösung — sie ist ja technisch nicht so kompliziert — kommen.

Wenn aber die Situation ernst ist, ist es notwendig, für die Bewahrung des Friedens und der Unabhängigkeit vorzusehen: Damit Österreich kein Vakuum wird, kein politisches, kein militärisches. Hier gehen wir manche Schritte, wie die Gegenwart zeigt, zu zögernd. Wir müssen sagen, daß Unabhängigkeit und Freiheit auch ihre Opfer erfordern. Wir sind in allen Dingen - im persönlichen Leben würde man sagen — ang'rührt, sehr wehleidig geworden. Wir glauben, daß für uns andere Lebensgesetze gelten als für andere Nationen in Europa. Das ist ein Irrtum.

FURCHE: Der Weg des geringsten Widerstandes, möglichst kein Opfer—also nur eine bedingte Verteidigungsbereitschaft?

KIRCHSCHLÄGER: Bei einem Teil der Bevölkerung ist die Verteidigungsbereitschaft voll da, bei einem anderen Teil ist sie in der Zufriedenheit über das Erreichte verlorengegangen. Manche Mitmenschen glauben eben, daß man mit guten Worten den Frieden für das eigene Land bewahren kann. Das wäre der bequemste und schönste Weg. Ich würde ihn als einer, der den Krieg erlebt hat, gerne gehen, wenn ich auch nur annähernd einen Anhaltspunkt hätte, daß er zum Ziel führt. Leider habe ich gegenteilige Anhaltspunkte.

FURCHE: Genügen unter diesen Umständen Fit-Märsche am Nationalfeiertag ? Brauchte unsere Nation nicht mehr geistige Bewegung? Einmal eine nationale Sicherheitsde batte?

KIRCHSCHLÄGER: Ich glaube nicht, daß sich der Nationalfeiertag in Fit-Märschen erschöpfen soll. Angemessen daran ist, daß eine Begegnung der Menschen stattfindet, daß man sich aus der Isolation, auch aus dem Egoismus löst. Daß durch solche Märsche noch nicht das Nationalgefühl gehoben werden kann, ist selbstverständlich.

Ich bin aber nicht so sicher, ob bei der gegenwärtigen Situation auch im Medienbereich eine große Sicherheitsdebatte wirklich ein erhöhtes Maß an Sicherheit bringen könnte. Denn wenn wir nach mehr Sicherheit strebten, wäre das zwangsläufig mit Opfern verbunden - und ich glaube kaum, daß Opfer großen Stils erwartbar sind.

FURCHE: Also Sicherheit zum Spartarif?

KIRCHSCHLÄGER: Wir sind auf einem ganz langsamen Aufholweg. Wenn sich jetzt am Beispiel der Uberwachungsflugzeuge — so wie das auch bei Hainburg der Fall war — eine Summe von Gefühlen trifft, so ist noch keine ernste Gefahr für die Republik gegeben. Zu einer ernsten Gefahr kann die Diskussion werden, wenn das Ausland den Glauben daran verliert, daß die Österreicher bereit sind, für Unabhängigkeit, Freiheit und Frieden unserer Republik auch Opfer zu bringen.

FURCHE: Zeigt sich hier nicht ein Verlust an Staatsraison?

KIRCHSCHLÄGER: Die Staatsraison als solche, die raison d'etre, ist nach meinem Dafürhalten nicht in Frage gestellt. Man möchte nur gerne einen vollendeten Staat zu möglichst billigen Preisen.

FURCHE: Selbstbehauptungswillen muß man dokumentieren und dotieren.

KIRCHSCHLÄGER: Der Selbstbehauptungswille ist offenbar wesentlich größer, als wir ihn in der öffentlichen Meinung dargestellt finden. Nur wenn man eine öffentliche Diskussion über Erfordernisse des Bundesheeres führt, dann sind die Nein-Stimmen wesentlich lauter. Manche Persönlichkeiten im politischen Mandat meinen dann, daß mit der Lautstärke auch schon die Mehrheit bei zukünftigen Wahlen verbunden sei. Ein großer Irrtum, der für politische Parteien ebenso gilt wie gelegentlich auch für kirchliche Laienorganisationen, die auch meinen, sie müßten sich sofort assoziieren, damit man die Leute christlich macht.

FURCHE: Ein Phänomen sollte nicht unerwähnt bleiben: Konkurrieren nationale mit regionalen bzw. lokalen Interessen, scheinen nationale Anliegen das Nachsehen zu haben. So bei der Schaffung' von Sonderabfalldeponien oder bei der Stationierung von Uberwachungsflugzeugen. Stimmen da noch die Prioritäten?

KIRCHSCHLÄGER: Diese Konkurrenz ist sehr stark. Aber mich stört nicht, daß die Bindung zur Heimat primär eine regionale ist. Heimatbewußtsein, das zu Österreich findet, wächst aus der kleinsten Umwelt heraus. Der umgekehrte Weg bliebe im Theo-retisieren stecken, hätte kein Fleisch und Blut. Aber wer eine starke regionale Bindung hat, der ist im Falle der Not auch für gesamtnationale Interessen offen.

FURCHE: Warum ist dann die Stationierung der Uberwachungsflugzeuge ein derartiges Problem?

KIRCHSCHLÄGER: Wir haben in der Vergangenheit eine zu stark auf die Interessen des einzelnen bedachtnehmende Politik gemacht, um nunmehr auf einmal die Interessen des einzelnen hinter das Gesamtinteresse zurückstellen zu können.

FURCHE: Wir wurden sozusagen politisch „verwöhnt”?

KIRCHSCHLÄGER: Ich glaube, daß wir den Preis für die Qualität des Lebens, die wir haben, nicht immer in Rechnung stellen, daß wir meinen, es sei uns alles geschenkt und bliebe uns künftig alles geschenkt. Aufzuzeigen, daß dem nicht so war und ist, darin sehe ich den Nutzen unserer Jubiläen.

Mit Bundespräsident Rudolf Kirchschläger sprach Hannes Schopf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung