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Politik ist von Medien zu abhängig

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FURCHE:-Sie kennen durch Ihre Gespräche mit den Menschen dieses Land besser als andere die öffentliche Meinung. Und Sie werden ebenso täglich mit der veröffentlichten Meinung konfrontiert. Fallen Ihnen Diskrepanzen auf?

BUNDESPRÄSIDENT RUDOLF KIRCHSCHLÄGER: Beide können nicht deckungsgleich sein. Die veröffentlichte Meinung wird in der Regel doch gesteuert und in der Bundeshauptstadt oder den Landeshauptstädten gemacht, während die öffentliche Meinung doch regional sehr unterschiedlich ist. Es wäre weder gut noch wünschenswert, wenn man zu einem deckungsgleichen Modell käme. Und es ist auch kaum möglich, daß sich die veröffentlichte Meinung an die öffentliche angleicht, weil — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — hinter den Massenmedien Interessengruppen stehen. Diese wollen ja den einzelnen Menschen — das ist ein völlig legitimes Ziel in einer demokratischen Gesellschaft — beeinflussen.

FURCHE: Wird die Wirkung massenmedialer Aussagen bei dieser Beeinflussung richtig eingeschätzt? Wird sie eher überschätzt?

KIRCHSCHLÄGER: Eine massenmediale Aussage ist vor allem dann wirkungsvoll, wenn sie einen sichtbaren, wahren Anhaltspunkt hat. Ich glaube nicht, daß aus einem völligen Nichts eine wirklich weite, einen großen Personenkreis überzeugende Sachoder Personalpropaganda geführt werden kann. Der Einfluß beginnt erst dort, wo es Anhaltspunkte gibt.

FURCHE: Politik ist in der Demokratie Kommunikation. Kommunikation ist Politik. Machen Medien in Österreich Politik?

KIRCHSCHLÄGER: Ja. Ich glaube, daß die Medien für die Regierung und für die Opposition ernstzunehmende Partner in der Gestaltung der Politik sind. Es ist für eine Regierung wie für eine Opposition schwer, einen Uber-. zeugungsprozeß für eine Maßnahme durchzusetzen, wenn ihnen der Wind des überwiegenden Teiles der Presse entgegenbläst.

FURCHE: Diese Abhängigkeit hat aber doch zu einer gewissen Medienorientierung der Politik insgesamt geführt...

KIRCHSCHLÄGER: Nach meinem Dafürhalten zu einer zu großen ...

FURCHE: Heißt das also^daß die Kurzatmigkeit der Politik, der ungeheure Themenverschleiß, auch auf die Medien zurückzuführen ist?

KIRCHSCHLÄGER: Man soll nicht jeden Knochen, der einem vorgeworfen wird, auch wirklich beknabbern wollen. Man muß, wenn man im politischen Leben steht, auch die Bereitschaft aufbringen, Knochen — sprich: Themen—beiseite zu schieben. Das ist natürlich furchtbar schwer.

FURCHE: Medien sollen informieren und orientieren, kritisieren und kontrollieren, bilden und unterhalten, aber auch ethische und kulturelle Werte vermitteln. Kommt das heute etwas zu kurz?

KIRCHSCHLÄGER: Auf die Vermittlung ethischer Werte kommen wir in der Regel wohl nur dann, wenn wir einen anderen negativ kritisieren, anprangern. Grundsatzüberlegungen über die Ethik habe ich nur sehr selten gelesen.

Außerdem scheint mir manchmal, das „Alleswissen“, das Medien teilweise an den Tag legen, ein bißchen übertrieben. Es wäre schön, wenn sie manchmal auch etwas den Sachverhalt wirklich aufklären würden.

FURCHE: Eine Art Besserwissct6t?

KIRCHSCHLÄGER: Ja, sie kennen zum Beispiel wunderbar die Gesetzesstellen über alles, was der Bundespräsident tun kann, übersehen aber, daß da irgendwo in der Verfassung in einem Artikel versteckt steht, daß er alles tun kann — aber nur auf Antrag der Bundesregierung. Das „vergißt“ man und ergeht sich in guten Ratschlägen.

FURCHE: Die Wechselbeziehung zwischen Politik und Medien bedeutet aber letztlich, daß die Medien mitverantwortlich für die Politikverdrossenheit wären, über die sie berichten, Mitbeteiligte und .fttittäter“.

KIRCHSCHLÄGER: Mitverantwortlich auf jeden Fall, „Mittäter“ teüweise, mit einem Unterschied: Der einzelne Politiker muß sich in gewissen Zeitabständen der Wahl stellen, die Medien haben ihren Vertrauensbeweis in den Abonnenten und Lesern. Und ich weiß nicht, ob gegenwärtig nicht die Treue zu einer Partei, die der Vater gewählt hat, sehr stark im Schwinden ist und einer eigenen Entscheidung weicht, die Treue zur Zeitung aber, die man seit einem Jahrzehnt oder noch länger liest, noch immer so stark ist, daß man sie auch dann weiterbezieht, selbst wenn man mit ihrer Schreibweise nicht mehr ganz einverstanden ist. Bei den Zeitungslesern scheint mir dieser Wechselprozeß, der sich in den politischen Parteien vollzieht, erst mit einem Verzögerungseffekt wirksam zu werden. Da gelten andere Sympathieelemente für den Kauf als der Inhalt einzelner politischer Artikel.

FURCHE: Verleiten die Medien durch ihre Art, Politik zu vermitteln, eher zum Zuschauen oder zum Engagement?

KIRCHSCHLÄGER: Eher zum Zuschauen. Ich habe das sehr gut an zwei Ereignissen gemerkt, die im Vorjahr und heuer sehr stark die Öffentlichkeit beschäftigt haben: Hainburg und Reder. In beiden Fällen war das Engagement in den Großstädten so, daß man selbst über die Dinge gar nicht mehr viel nachgedacht hat, sondern einfach bedingungslos dem gefolgt ist, was die Zeitungen geschrieben haben. Weil die Menschen in der Großstadt wenig beisammensitzen, wenig miteinander reden.

Ist man dagegen in eine kleinere Gemeinde gekommen, wo die Leute im Wirtshaus sitzen und miteinander diskutieren, hat sich eine ganz andere Meinung gebildet. Dort war es — ich habe das in zwei Fällen erlebt — ganz anders als in Wien, wo die öffentliche Meinung knapp an die veröffentlichte herangekommen ist.

FURCHE: Das alles trägt zu einem gewissen Unbehagen mit der „vierten Gewalt“ im Staat bei. Ins Schußfeld geraten sind die Medien zuletzt auch in ihrer Rolle als Berichter und Richter in einem. Wie sehen Sie das eigentlich als ehemaliger Richter?

KIRCHSCHLÄGER: Die Medien haben für mich als Richter wirklich nur reine Informationsbedeutung gehabt. Es wäre mir nicht eingefallen, einem Journalisten, der zu mir gekommen wäre, über einen Fall Auskunft zu geben oder ihm darüber Rede und Antwort zu stehen, was ich tun werde. Ich glaube, daß wir hier manchmal den Weg eines zu großen Entgegenkommens gegangen sind, der der Justiz nicht gutgetan und das Informationsbedürfnis überschritten hat. Die Strafprozeßordnung sagt ganz genau, wo Öffentlichkeit zuzulassen ist. Ich halte es für vernünftig, wenn Urteile kritisiert werden. Kein Richter ist unfehlbar. Aber es ist nicht gut, wenn er oder der Staatsanwalt schon vorher in den Kessel der Berichterstattung hineingerät, nur in der Hoffnung, daß er dann nicht angegriffen wird.

FURCHE: Und wenn Medien Urteile vorwegnehmen?

KIRCHSCHLÄGER: Medien können Urteile vorwegnehmen. Wenn der Richter sich keinen Deut daran hält, sondern sagt: Die Zeitung kann schreiben, was sie will, ich urteile, wie ich es für recht finde - dann ist das in Ordnung. Wem das nicht paßt, der hat ja die nächste Instanz.

FURCHE: Apropos Instanz: Wer kontrolliert die Kontrollore, wird immer wieder gefragt. Funktioniert Ihrer Meinung nach die Selbstkontrolle im österreichischen Journalismus?

KIRCHSCHLÄGER: Die Wege dieser Selbstkontrolle treten für mich nicht immer ganz klar und offensichtlich zutage. Aber natürlich besteht von der politischen Ebene her eine gewisse Uberempfindlichkeit.

Als ich als Gesandter im Ausland war, wurde ich öfters mit Beschwerden über das, was in der österreichischen Presse stand, konfrontiert. Ich habe immer gesagt, daß ich darauf keinen Einfluß habe: Wenn etwas Wahres geschrieben wurde und Sie ärgert, dann sind Sie selbst schuld. Wenn es unwahr ist, dann tut mir das persönlich leid, aber das ändert nichts am Grundsatz der Freiheit der Presse.

FURCHE:Rene Marcic hat einmal geschrieben: ,JSs kann die Frage einer Neutralitätspolitik sein, daß ein Staat, der seine immerwährende Neutralität erklärt, der öffentlichen Meinung gewisse Schranken auferlegt...“. Ein Spannungsfeld zur Pressefreiheit?

KIRCHSCHLÄGER: Ich halte diese Gedanken von Marcic sehr vernünftig. Nur würde ich an Stelle des Wortes „auferlegt“ drei Worte setzen: sich selbst auferlegt. Da kann man von der Schweiz lernen. Die Schweiz hat die Pressefreiheit immer geachtet. Aber wenn Sie heute Bände Schweizer Zeitungen aus dem Krieg durchblättern, dann sehen Sie daraus — um ein Wort von Julius Raab zu verwenden —, daß sie den Bären nicht immer in den Schwanz gezwickt haben.

Das erfordert nie eine Lüge. Dort hörte die Rücksichtnahme auf das Staatsinteresse auf. Aber es muß nicht alles und jedes breitgetreten werden, um den anderen zu ärgern, zu beweisen, daß man frei und unabhängig ist.

Mit Bundespräsident Rudolf Kirchschläger sprach Hannes Schopf.

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