6986570-1986_28_08.jpg
Digital In Arbeit

Hitlerjugend als Draufgabe

19451960198020002020

Soll ein Bundespräsident jeden Knochen abnagen, der ihm von einer Zeitung vorgeworfen wird? Vorgeworfen als Vorwurf? Rudolf Kirchschläger verneint -trotz allem.

19451960198020002020

Soll ein Bundespräsident jeden Knochen abnagen, der ihm von einer Zeitung vorgeworfen wird? Vorgeworfen als Vorwurf? Rudolf Kirchschläger verneint -trotz allem.

Werbung
Werbung
Werbung

Man hat manchmal den Eindruck gewonnen, daß Sie die Zeitungen und die Journalisten nicht sehr gepflegt haben. Haben Sie das getan, weil Sie Ihres guten Rufes sicher waren, oder haben Sie andere Beweggründe dazu veranlaßt?

KIRCHSCHLÄGER: Ich habe nie den Eindruck gehabt und es war auch nie mein Wille, Journalisten bewußt hintanzusetzen, und ich achte sicher auch deren Arbeit für sehr bedeutend. Ich habe allerdings auch nie um die Gunst der Zeitungen gebuhlt, und ich habe auch kaum einmal mich bei einer Zeitung über deren mir unrichtig erscheinende Schreibweise beklagt oder um eine bessere Nachrede gebeten.

Vielleicht war es nicht klug, mich nicht auf das Feld der Berichtigungen einzulassen, wann immer Zeitungen unrichtige Behauptungen aufstellten oder in meinen Augen unrichtige Schlüsse gezogen haben.

Aber ich glaube, ein Bundespräsident soll nicht jedem Knochen nachlaufen, der ihm von einer Zeitung hingeworfen wird, und daran nagen. Schließlich wäre es ja Teil der Pflicht zur Wahrhaftigkeit einer Information, sich darum zu kümmern, ob das, was veröffentlicht wird, auch wahr ist. Die Tatsache eines fehlenden Dementis als Wahrheitsbeweis scheint mir doch ein zu bequemes Mittel zur Wahrheitsfindung.

Denken Sie an konkrete Fehler?

KIRCHSCHLÄGER: Ich neige an sich dazu, weniger zu theoreti-sieren, als eher die Praxis zu sehen. Natürlich denke ich an konkrete Fälle, etwa die immer wieder gebrachte Unwahrheit, ich hätte die sogenannte Fristenlösung unterschrieben, oder die Nachricht über angebliche heroische Heldentaten als Offizier in der Infanterieschule Wiener Neustadt in den letzten Tagen des Krieges, wobei man in der Befehlsgewalt, in den Einsatzziffern und in den Verlusten meine Inspektion einfach mit der ganzen Infanterieschule gleichsetzte, die

immerhin aus acht Inspektionen bestanden hat und mir als'Drauf-gabe auch noch den Volkssturm und die Hitlerjugend unterjubelte, mit denen ich mein ganzes Leben keinen Kontakt hatte.

Aber ich könnte hiefür auch die Nachrichten über die letzte Regierungsumbildung anführen, die sich keineswegs so am Rande der Verfassung vollzogen hat, wie manche meinten, sondern — zu-

mindest nach meiner Kenntnis der Verfassung - voll übereinstimmt.

Aber vielleicht habe ich in dieser letzten Angelegenheit auch zu wenige Kommuniques ausgegeben. Es ist ja selten im Leben das Verschulden nur auf einer Seite.

Kommt nicht gerade in diesem letzten Satz ein wenig das zum Ausdruck, was man Ihnen manchmal vorgeworfen hat, nämlich, daß Sie die Dinge zu wenig konkret beim Namen nennen?

KIRCHSCHLÄGER: Ich glaube, daß ich die Dinge schon sehr konkret beim Namen genannt habe. Die Menschen nenne ich nicht gerne beim Namen. Es fehlt mir — es ist dies vielleicht ein Ergebnis meiner richterlichen Erfahrung — tatsächlich in meinen Augen das Recht, ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren und ohne gesetzliche Ermächtigung gegenüber einzelnen konkreten Personen Schuldsprüche zu verkünden.

Es wäre dies ein Mißbrauch der besonderen gesellschaftlichen Stellung, die mir als Bundespräsident zukommt. Loben kann ich konkreter, also eine bestimmte Person, tadeln und verurteilen aber nur Tatsachen und Tendenzen, aber nicht namentlich einzelne Menschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung