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FURCHE: Der Wahlkampf geht zu Ende. Sind Ihrer Meinung nach, Herr Diözesanbischof, die wichtigen Probleme genügend herausgearbeitet worden?

BISCHOF WEBER: Dies geschah in viel zu geringem Maß. Man sah überwiegend Plakate mit Köpfen -gerade, daß noch dabeistand, von welcher Partei sie stammten. Aber viel zuwenig wurden die wichtigen Probleme bewußtgemacht.

FURCHE: Welche Probleme müssen nach Ihrer Auffassung von einer neuen Regierung vorrangig gelöst werden?

WEBER: Die Frage der Arbeitsplätze wird sicher vorrangig in Angriff genommen werden müssen. Aber es wäre ein großer Mangel, wenn dies nicht gleichzeitig mit einem Nachdenken über den Stellenwert gewisser Grundwerte in unserer Gesellschaft verbunden wäre.

FURCHE: Welche Grundwerte haben Sie dabei besonders im Auge?

WEBER: Für mich ist das Problem der Bildung sehr wichtig. Bildungspolitik ist fast schon zu einer Geheimwissenschaft geworden. Auch über die Stellung der Jugend in unserer Gesellschaft müßte offen geredet werden, über die Integration der alten Mitbürger. Die Parteien hätten die Pflicht, zunächst ihren Funktionären und dann der ganzen Öffentlichkeit zu sagen, welchen Rang sie der Ehe einräumen, von welchem Familienbild sie ausgehen. Man redet sich auf die Kompliziertheit der Sachverhalte aus, die für Wahlkämpfe nicht geeignet sei - aber die Parteien haben dennoch eine Verpflichtung zur Moral. Sie sollen nicht nur über Forderungen, die an sie herangetragen werden, sprechen, sondern auch von sich aus Grundsatzthemen zur Debatte zu stellen.

FURCHE: Hätten Ihrer Meinung nach die Bischöfe oder katholische Organisationen oder einzelne Katholiken in diesem Wahlkampf lauter über ein bestimmtes Thema reden müssen?

WEBER: Da gehen die Meinungen sehr auseinander. Jedenfalls ist der immer wieder zu hörende Vorwurf absolut falsch, daß die Kirche in den letzten Jahren zu wichtigen Fragen geschwiegen hätte. Das soll uns einmal einer nachmachen, was wir hier an Bewußtseinsbildung geleistet haben! Aber manchmal hat man den Eindruck, daß dieser Vorwurf vor allem dann erhoben wird, wenn wir etwas anderes gesagt haben, als man sich erwartet hat.

FURCHE: Sie beziehen sieh jetzt auf die Fristenlösung. Aber gibt es nicht noch andere Grundsatzthemen, die in diesem Wahlkampf aus christlicher Motivation hätten angeschnitten werden sollen?

WEBER: Vieles, was unter dem Titel „menschenwürdiges Leben“ anzuführen wäre, gehört hierher: ob zum Beispiel das Altenheim die einzige Antwort auf Altenprobleme ist; ob die allgemeine Atmosphäre nicht viel kinderfreundlicher sein müßte; ob die Einehe auf Dauer noch der Modellfall sein soll oder ob nicht auch die Art und Weise mancher finanzieller Beihilfen schon statt für die Familie einen Anreiz für das bloße Zusammenleben ohne Eheschließung darstellt.

FURCHE: Stimmen Sie der Argumentation des Justizministers zu, daß die Erleichterung der Scheidung keineswegs die bisweilen vorausgesagte allgemeine Scheidungswelle ausgelöst hat?

WEBER: Ich habe Statistiken nicht parat. Aber Statistiken sind überhaupt nur die eine Seite. Entscheidend ist doch, daß mit diesem Gesetz eine Abwertung der Einrichtung Ehe in größtem Maß erfolgt ist. Wenn die Ehe nur noch ein beliebig und sogar gegen den Willen des schuldlosen Teils lösbarer Vertrag ist, entspricht dies nicht mehr dem bisherigen Ehebild.

FURCHE: Erwarten Sie von einer künftigen Regierung Änderungen bei gewissen Gesetzesreformen der vergangenen Legislaturperiode oder soll Geschehenes nicht rückgängig gemacht werden?

WEBER: Ich erwarte sehr wohl, daß eine neue Regierung gewisse nicht zur Ruhe kommende Fragen neu aufgreift. Jedes Gesetz bestimmt das Denken eines Volkes. Man muß sich noch einmal fragen, ob nicht mit manchen Gesetzen den Menschen falsche Richtpunkte gesetzt wurden, die korrigiert werden müssen. Ich denke an den Richtpunkt Leben, Familie...

FURCHE: Zum Stichwort Leben: Heute bekennt sich auch die Aktion Leben sehr deutlich zum Grundsatz „Helfen, nicht strafen“, also zu einer nur prinzipiellen Unrechtsformulierung ohne Strafandrohung. Hätte man nicht fast mehr als das noch vom ersten Broda-Entwurf zur Strafgesetzreform mit einer zwar sehr weitmaschigen, aber immerhin noch vorhandenen Indikationenlösung haben können, die von der Kirche abgelehnt wurde?

WEBER: Ich halte nicht viel von theoretischen Diskussionen über ein „Was wäre, wenn...“ Wir wissen, was gekommen ist, und wir sind mit diesem Ergebnis nicht zufrieden.

FURCHE: Hat die Kirche Anliegen im Bereich der Schule?

WEBER: Einerseits haben wir den sicher begrüßenwerten Zustand, daß die katholische Privatschule integriert ist. Wir betrachten uns hier nicht als Almosenempfänger, sondern wissen, daß wir damit dem Staat einen großen Teil seiner eigenen Verpflichtung abnehmen. Mit sehr besorgter Aufmerksamkeit aber verfolgen wir die immer wieder erfolgenden Vorstöße, den kirchlichen Religionsunterricht in Frage zu stellen. Auch wenn es dann immer schnell Dementis gibt und der Religionsunterricht in den Schulen konkordatsmäßig gut abgesichert ist, sind wir hier sehr wachsam. Und wir würden auch sehr allergisch gegen eine Erschwerung des Religionsunterrichtes durch administrative Maßnahmen - etwa Verlegung in die Nachmittagsstunden - reagieren.

FURCHE: Hat die Kirche eine Meinung zu den Schulreformen?

WEBER: Wir halten die sogenannte innere Schulreform für wichtiger als die organisatorische. Was die Lehrinhalte, um nur, zwei wichtige Beispiele zu nennen, in Philosophie oder in Geschichte sein sollen, ist von größter Wichtigkeit. Darüber gibt es aber praktisch keine öffentliche Diskussion.

FURCHE: Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt dieses Gesprächs. Trägt die Tendenz zur Personalisierung von Wahlkämpfen nicht dem allgemeinen Trend Rechnung, daß in einer immer komplizierter werdenden Welt immer mehr Menschen in Sachfragen kapitulieren und ihr Vertrauen auf Personen setzen: Politiker, Bischöfe, den Papst?

WEBER: Sicher ist eine Zunahme des Hirtenbedürfnisses, wenn Sie wollen, allgemein feststellbar. Das Hirtenprinzip gehört in der Kirche zum Konzept. Insofern ist eine solche Tendenz erfreulich. Aber sie lädt den Personen, denen die Menschen vertrauen, eine um so größere Verantwortung auf. Und sie entbindet niemanden von der Verpflichtung, sich auch in Sachfragen ein eigenes, kritisches Urteil zu bilden.

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