Ein maßloser Geist

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"Sus Domini - Wildschwein Gottes" - so wollte er auf dem Grabstein tituliert werden: Friedrich Heers letzte Lebensjahre führten ihn zur Furche zurück.

Er tat sich schwer mit allen, die er liebte - auch deshalb, weil er selbst maßlos in Anspruch und Urteil war: Dem Zerwürfnis mit dem CV folgte der Krieg mit seiner Kirche, das nur halb erfolgreiche Ringen um Anerkennung in der Wissenschaft, die Auseinandersetzungen über sein kritisches Verhältnis zum Vaterland. Friedrich Heer fühlte sich oft verkannt und verlassen von denen, die er als Mitstreiter gebraucht hätte - aber er war es am Ende seines Lebens weniger als in der kämpferischen Lebensmitte. Nicht dass sein Kampfgeist erlahmt wäre - aber der Widerstand machte zuletzt einem gewissen Gewährenlassen Platz. War es wachsende Gleichgültigkeit, die die geballten Fäuste der Gegner erlahmen ließ, oder schon eine Frucht seines lebenslangen Plädoyers für Offenheit und Toleranz?

Nie jemandem weh tun wollen

In seinen letzten Lebensjahren nahm er sich mehr Zeit als früher für Menschen, die sich ihm und seinen Zielen verbunden wussten. Das "Gespräch der Feinde", das ihn zum Vielzitierten gemacht hatte, rief auch in ihm den Wunsch nach Ergänzung durch das Gespräch der Freunde wach. Er ließ sich die Wiener Höhenstraße hinauf auf die Sulzwiese kutschieren, wo es mit Leopold Ungar über Gott und die Welt zu diskutieren galt: Richard Barta, Kathpress-Chef und kirchenpolitischer Vordenker, war oft dabei, auch Fritz Hochwälder, wenn der Caritasdirektor im Priesterkragen den Kognakschwenker oder die geliebte Pfeife elegant zum Munde führte und wissen ließ, dass uns Gott eines Tages nicht fragen werde, welche Meinung wir von welchem Bischof gehabt, sondern was wir dem Geringsten seiner Brüder getan hätten.

Bei der Heimfahrt ließ Fritz Heer dann in einer Kurve anhalten, damit er einen dankbaren Seufzer über die Schönheit der Stadt Wien (der er einen halb autobiografischen Roman vom Scheitern gewidmet hatte) der lauen Abendluft anvertrauen konnte. Wiederholt versicherte er: "Ich habe nie jemandem wehtun wollen." Ein andermal wieder saß man mit ihm im Garten seines Stammheurigen in Oberlaa oder auf den Höhen über Mödling oder in den Tiefen des Melker Kellers beisammen. Ein Glas Wein hat oft Gemeinschaft mit ihm geschaffen, auch und nicht zuletzt mit der Furche, in deren Redaktion er von 1949 bis 1961 gearbeitet hatte - "seine Schule zuerst, dann seine Kanzel", wie man in einem Nachruf lesen konnte.

Wenige Wochen vor seinem Tod wurde der Furche-Stadtheurige noch zum Anlass für eine ein bisschen historische Begegnung: Im Deutschordenshaus saß er dort mit Friedhelm Frischenschlager zusammen, damals Bundesminister für Landesverteidigung im Kabinett Sinowatz/Steger und freiheitlicher Abgeordneter. Die beiden redeten sich erst spröd, dann gut miteinander. Mit der politischen Rechten hat Heer nie etwas am Hut gehabt, Deutsches und besonders Deutschnationales hatte er sich in dem Bemühen, die österreichische Identität abgrenzsicher zu machen, immer vom Leib gehalten. Aber das Bemühen, in die FPÖ eine liberale Note zu tragen, interessierte auch ihn.

Bücherschlepper für Heer

Die Beziehung zur Furche lebte auch wieder in seiner Bereitschaft auf, Buchbesprechungen zu schreiben. Zuerst legte man zwei, drei Bände in seine Hand, erhielt die erbetenen Rezensionen schon nach wenigen Tagen zurück, verbunden mit der Bitte um mehr. Verschiedene Mitglieder der Redaktion, wiederholt tat ich es auch selbst als damaliger Chefredakteur, schleppten Taschen voll Büchern in seine Wohnung in der Johann-Strauß-Gasse im vierten Wiener Gemeindebezirk, kehrten mit dicken Rezensionsmappen von dort zurück. Dazwischen lagen anregende Diskurse über Kirche und Politik, die Medien im Allgemeinen und die Furche im Besonderen.

Dass sie seinerzeit durch Emil Franzel auf strammen Rechtskurs gebracht werden sollte, hatte ihn tief bekümmert, aber dass es dann doch nicht dazu kam und immer, wenn auch zeitweise auf Schlingerkurs, ein zumindest halbwegs ausgewogener, überwiegend moderat reformerischer Kurs gefahren werden konnte, bewies die Lebenskraft des Vermächtnisses, das ihr Friedrich Funder, leidenschaftlich unterstützt von Friedrich Heer, seit 1945 eingepflanzt hatte. Nie hatte irgendein Herausgeber Revoluzzerisches mit ihr vorgehabt. Darin tat man selbst Heer, sicher aber dem langjährigen Chefredakteur Kurt Skalnik Unrecht, der in Überzeugung und Lebenshaltung ein leidenschaftlicher Konservativer war. Aber die meisten, die das Gesicht der Furche prägten, hatten eins im Sinn: Unaufgebbares zu retten, indem man Veränderungsbedürftiges rechtzeitig erneuerte, ob es nun um Ökumene, die Rolle von Parteien in Gesellschaft und Staat, um die "Sache der Frau als Inkarnation der Sache des Menschen", um die Juden ("Gottes erste Liebe") oder das Nein zur Zerstörung der Wachau-Landschaft ging.

Als Friedrich Heer am 18. September 1983 starb, war er von offizieller Kirche, Politik und Wissenschaft noch immer nicht sichtbar rehabilitiert - im menschlichen Bereich aber vielfach schon. Kardinal König und der damalige Wissenschaftsminister Heinz Fischer, ÖVP-Obmann Alois Mock, (Ex-)Justizminister Christian Broda und Vizebürgermeister Erhard Busek haben ihn in der Klinik Deutsch des ehemaligen AKH besucht, wo er, unwillig oft mit sich selbst und seiner Umgebung, mit dem Tod rang. Freunden versicherte er selbst des öfteren: "Du kannst mich umarmen, Krebs ist nicht ansteckend!"

Nach Gutem wühlen

Sein Wunsch nach einer Grabinschrift "Sus Domini" wurde ihm nicht erfüllt. "Wildschwein Gottes" wollte er gewesen sein, weil ein solches nicht selbst Schmutz verursacht, sondern im Schmutz anderer nach Gutem wühlt. Die Trüffel haben wir vielfach erst nach seinem Tod und dem Tod von so vielem, was er in Kirche und Staat zum Leben erweckt hatte, wirklich schätzen gelernt. Aber zu vermuten, er hätte sich verraten, verlassen und vergessen davongestohlen, stimmt sicher nicht. Sein letzter Artikel in der Furche, Blattaufmacher am 31. August 1983, galt einer noch heute fast wortgleich aktuellen Anklage gegen den Manichäismus, der alles Leben zweiteilenden "Krebskrankheit der weißen Zivilisation". Der in Gott vollendete Fritz Heer ist weiter auch in unserem Erdendasein nachweisbar präsent.

Der Autor ist freier Publizist. 1978-84 war er Chefredakteur der Furche.

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