6845132-1976_16_02.jpg
Digital In Arbeit

Zeitgenosse

Werbung
Werbung
Werbung

Friedrich Heer galt so lange als ein Mann von morgen, bis er von jenen, die ihn weder als Heutigen noch als Morgigen akzeptieren wollten, als Mann von gestern abgetan werden konnte.

Der 35-, der 40jährige wurde als eine der bedeutendsten intellektuellen Potenzen Österreichs bewundert. Geraume Zeit war er geradezu das Genie vom Dienst. Dem nun 60jährigen steht dasselbe Land (aber ist es noch dasselbe?) oft ratlos gegenüber. Aber warum eigentlich ihm? Warum nicht sich selbst?

Es gäibe nun, da dieses Phänomen namens Friedrich Heer plötzlich zum Jubilar geworden ist, viele bequeme Blickwinkel, aus denen er geruhsam betrachtet und „gedeutet“ werden könnte. So unbequem und lästig er vielen Leuten in seinem bisherigen Leben auch war — Friedrich Heer hat schließlich genug geschrieben, was niemanden provozierte, hat als Wissenschaftler wie als Publizist genug unbestrittene Leistunigen vollbracht. Der Polyhistor, der Publizist, der Humanist Friedrich Heer bietet genügend Ansatzpunkte, ihn anläßlich seines runden Geburtstages brav und konfliktfrei zu feiern. Sollen wir wirklich seine Bücher auf-

zählen? Aus seinen Artikeln zitieren? Wir hätten sie zur Hand. Eine Reihe seiner besten Arbeiten erschien ja in der FURCHE, für die er seit 1946 schrieb und bei der er 1949 Redakteur wurde (es war zugleich das Jahr seiner Heirat, seiner Habiiitation, und das Jahr, in dem sein Buch „Gespräch der Feinde“ erschien). Oder sollen wir Sätze von Adorno, Bloch, Bulber, Heidegger, Horkheimer oder Toynbee über Friedrich Heer abdrucken? Über wie viele lebende Österreicher existieren schon Äußerungen solcher Männer?

Wenn man über Friedrich Heer spricht, kann man sich aber leider nicht darauf beschränken, was er gedacht, gesagt und geschrieben hat. Man muß auch über die Aufnahme des von ihm Gesagten und Geschriebenen in Österreich sprechen. Man kann nicht nur darüber sprechen, was er geworden ist — man muß auch erwähnen, was ihm versagt blieb. Friedrich Heer ist zweifellos ein schwieriger Mensch. Schwierig sind viele — stoßen aber nicht auf so große Schwierigkeiten wie er. Er wurde, zum Beispiel, Universitätsprofessor. Aber warum niemals Ordinarius?

Friedrich Heer war stets ein Mann zwischen den Lagern. Ein Verweigerer eindeutiger Stellungnahmen. Einer, dem vor allem das Kehren vor der eigenen Tür wichtig war. Schon mit zehn Jahren entdeckte er sein „eminentes politisches Interesse“.

Zwei Lehrern am Akademischen Gymnasium, Oppenheim (der in Theresienstadt umkam) und Edelmann (der in Auschwitz ermordet wurde) verdankte er wichtige geistige Prägungen. In jenem Alter, in dem der Mensch entscheidet, wofür er künftig einstehen wird, entdeckte der junge Katholik Heer, als Zeuge der innerkatholischen, selbstkritischen Auseinandersetzung im Ständestaat, daß es „so nicht mehr geht“, daß man „so nicht mehr kämpfen kann“.

Das Leben des Friedrich Heer, der „Vernunft als eine Tugend des Glaubens“ ansieht, dieses Mannes, der in seiner an Widersprüchen reichen Persönlichkeit ein starkes polemisches Talent und einen großen Respekt vor fremden Meinungen vereint, und der, die alte Tragik des Zu-früh, die Idee einer „offenen Gesellschaft“ in einer Zeit vertrat, als der Kalte Krieg noch seinem Höhepunkt entgegenging, liefert den Beweis dafür, daß auch eine Gesellschaft, die sich längst als „pluralistisch“ bezeichnet, allzu bereitwillige Öffnung für die Stimmen der jeweiligen Anderen nicht prämiiert.

Friedrich Heer hätte eine sehr viel glanzvollere Karriere machen können, hätte er Österreich rechtzeitig verlassen. Sein außerordentlich reiches Lebenswerk als Historiker und christlicher Denker, als Zeitkritiker und Mahner zu gegenseitigem Verständnis ist im Ausland wesentlich besser bekannt als in Österreich.

Amerikanische und japanische Studenten haben mehr von ihm gelesen als österreichische.

Ein starkes, ein unter österreichischen Intellektuellen weitverbreitetes Vorurteil gegen Friedrich Heer ist ein Beweis dafür, daß es in diesem Österreich mit dem Verständnis für Andersdenkende, für Unbequeme, für geistige Grenzgänger, für Nicht-Ein-

zuordnende, für die Verweigerer eindeutiger Stelhingnahmen nicht so weit her ist, wie wir uns und anderen gerne vormachen.

Denn man kann sehr wohl anderer Überzeugungen sein als Friedrich Heer — und doch eine sehr viel bereitwilligere Aufnahme und Verarbeitung seiner Gedanken wünschen. Er ist seit drei Jahrzehnten einer der größten Anreger von Gedanken in diesem Land. Ist es so bequem geworden, läßt es sich so ungern zum Denken zwingen?

Anderseits erweist dieses Österreich gerade am Exempel Friedrich Heer seine Fähigkeit, für seine Schwierigen doch Aufgaben zu finden, die ihre Schaffenskraft herausfordern — Beweis dafür ist Friedrich Heers Position im Burgtheater, wo er der Zusammenarbeit mit Achim Benning, den er als ernsten Denker und seiner Verantwortung bewußten Theatermann schätzt, mit Freude entgegensieht.

„Eine schöpferische Vernunft“ heißt sein neues, eben fertiggestelltes Buch. Sein ..geistiges Testament“, die „Verdichtung meines ganzen Lebenswerkes“ stellt es dar, eine „Einladung an Philosophie, Naturwissenschaften, die verschiedenen Christentümer, ihre Berührungsangst zu überwinden“, denn „jedes geschlossene System ist des Teufels“, der „Manichäismius der Todfeind des Menschen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung