Friedrich Herr bleibt der alte. Der emeritierte Professor der Politikwissenschaft, Norbert Leser, einer der herausragenden Intellektuellen und ein Chronist der Zweiten Republik und insbesonder der Sozialdemokratie, bleibt bei seinem positiven Urteil, bei seiner Wertschätzung für Friedrich Heer. Die Kritik, ja die Abrechnung mit Heer, hat ihn getroffen.
Die letzte Begegnung zwischen Heer und Leser ergab sich im Jahr 1983, jenem Jahr, in dem Norbert Leser am 1. Mai seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, und in dem Heer am 18. September verstarb.
Die beiden verband eine langjährige Freundschaft, die sich, wie Leser berichtet, in zahlreichen Begegnungen manifestierte und die „in sehr persönlich gehaltenen Widmungen seiner (Heers, Anm.) Bücher ihren Niederschlag fand. Der Höhepunkt dieser Zuwendung von Heer an Leser, aber eben auch der tragische Endpunkt ihrer Beziehung, ergab sich 1983.
Der Denker der Koexistenz
Heer hatte auf Wunsch des PEN-Clubs, dem beide angehörten, anlässlich des fünfzigsten Geburtstages von Leser einen „Würdigungsartikel“ verfasst, der im Herbst, nach Heers Tod, in den Club-Mitteilungen erschien. Zum Auftakt des sechs Seiten langen Artikels heißt es: „Norbert Leser ist der Denker der Koexistenz der Zweiten Republik Österreich. Diese seine Stellung im politischen, im geistigen Raum, diese seine Funktion: erstmalig, in ihrer ganzen Prägung einmalig.“
Norbert Leser bleibt Heer, wie er im Gespräch mit der FURCHE erkennen ließ, verbunden und dankbar. Heer habe ihn, berichtet Leser, als kongenial empfunden. Sie hätten sich in ihren Positionen, in ihren Betrachtungen einander angenähert: Leser sei von links in die Mitte, Heer von rechts in die Mitte gerückt.
Das, vor allem aber die Fähigkeit, die eigene Position zu erläutern und gegebenenfalls zu ändern, jedenfalls zu versuchen, die Position des anderen zu verstehen – das ist das große Verdienst von Heer und von Leser. Der langsam einkehrende innere Friede in der Zweiten Republik wäre ohne diese Brückenbauer kaum möglich.
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