"Adler unter Maulwürfen"

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Furche Nr. 28/28. September 1983

Die Furche sei "seine Schule zuerst" gewesen, "dann seine Kanzel" schrieb Chefredakteur Hubert Feichtlbauer über Friedrich Heers Verhältnis zu dieser Zeitung. Der amerikanische Historiker Paul O'Grady eine Woche später:

Die Österreicher zählen gewöhnlich zu den letzten, die etwas über den guten Ruf ihrer großen Geister im Ausland erfahren. Ludwig von Pastor, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein und Karl Popper sind dafür nur die augenfälligsten Beispiele. Es mag deshalb einige Leser - gerade auch Historiker -überraschen, wenn ich behaupte: Der vergangene Woche verstorbene Friedrich Heer ist Österreichs berühmtester Historiker der Gegenwart außerhalb seiner unmittelbaren Heimat.

Sein Buch "Die Welt des Mittelalters" (The Medieval World) erschien erstmals 1961 in englischer Übersetzung und ist wahrscheinlich immer noch Heers bekanntestes Werk in der anglo-amerikanischen Welt. Das Buch ist eine überaus gelungene Synthese aus Wirtschafts-, Kultur- und politischer Geschichte; Heer legte darin besonderes Gewicht auf den mitteleuropäischen Raum und korrigierte dadurch die Tendenz britischer und amerikanischer Historiker, sich besonders auf die westeuropäischen Staaten und Italien zu konzentrieren. [...]

In einem weiteren ins Englische übersetzten Buch, "Europa - Mutter der Revolution" (Europe - Mother of Revolutions), bietet Heer einen glänzenden Überblick über die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts und beweist einmal mehr seine unvergleichliche Kenntnis des katholischen Dissidententums. Kein Wunder: Dies war die Tradition, der er selbst angehörte: Cisalpin (antikurial), tief mißtrauisch gegenüber dem dominierenden Ultramontanismus, war Heer eher ein Verfechter der büßenden als der ,,militanten" Kirche. Trotz seiner Mängel und Schönheitsfehler bezeugte dieses Buch aber abermals das breite Wissen des Autors: ein Buch, das zu schreiben wohl nur Friedrich Heer die Voraussetzungen hatte.

Wenn Friedrich Heer nie die Ehre zuteil wurde, die er verdient hätte, dann auch darum, weil er in eine Zwickmühle geraten war: Die gegenwärtige Geschichtsforschung zieht den ,,Maulwurf" dem "Adler" vor. Als Historiker verstehe ich sehr gut, daß Geschichte auf exakter, intensiver und notwendigerweise auf Teilbereichen beschränkter Forschung beruht. - Aber ich bin nicht sicher, ob viele meiner Kollegen erkannt haben, was der Entscheidung geopfert wurde, "respektable" Geschichtsforschung auf Spezialstudien zu beschränken. [...] Wenn die Historiker fortfahren, die "Adler" aus ihrem Klub herauszuhalten, riskieren sie, die Bedeutung der Geschichte selbst zu minimieren. Gewiß, Friedrich Heer war für Polemik und kühne Verallgemeinerungen anfällig. Doch gibt gerade die Gabe, das Einzelereignis vor dem großen Hintergrund und mit symbolischer Resonanz zu beleuchten, seinem Werk einen einzigartigen Wert. Und jeder Student der Geschichte der Menschheit kann von Friedrich Heer deshalb eine Unmenge lernen.

Nächste Woche: Christoph Schönborn 1984 über Leonardo Boff.

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