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Als Religion nicht imperial

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„Flirt mit dem Islam ist problematisch," hieß ein kritischer Beitrag von Friedrich Heer in Nr. 12. Die FURCHE lud die kritisierte Seite zu einer Äußerung ein. Es gab auch Mißverständnisse.

Die islamische Religion ist eine sozial-universale, aber keine imperiale oder gar imperialistische und auch keine nationale Religion, wie sie Herr Friedrich Heer in seinem Artikel bezeichnet. Es ist mir unerklärlich, wieso der Verfasser den Einsatz eines Christen für das Christentum als „Mission" und den Einsatz eines Moslems wegen der Aufklärung der Nicht-moslems über den Islam als „Propaganda" bezeichnet? Und noch dazu ergänzt, daß die Moslems keine christlichen Schulen und keine christliche Mission in ihren Ländern dulden.

Aber der Sitz des Oberhauptes der koptischen Kirche ist in Alexandrien (Ägypten), in einem islamischen Land, und genau so betreut ein Patriarch der Orthodoxen in Istanbul und ein anderer in Damaskus ihre christlichen Gemeinden.

Warum in Frankreich oder England die Zahl der Islamgläubigen so hoch ist, sollte doch eine Person wie Herr Friedrich Heer von der Kolonialgeschichte dieser Staaten besser wissen. Die Millionen Toten in den islamischen Ländern, besonders in Afrika und Asien, die sich für die Freiheit und nationale Souveränität ihrer Länder opferten, sollten nicht jedem in der pluralistischen Gesellschaft lebenden, gewissenhaften Menschen gleichgültig sein.

Es ist schockierend, wenn Herr Friedrich Heer (ein Gelehrter!) die Franzosen daran erinnert, daß sie einst die Hugenotten austrieben und heute mehr Islamgläubige haben als Protestanten. Möchte er vielleicht die Franzosen auffordern, daß sie die Moslems genauso vertreiben sollen? (Das ist ein außerordentliches Mißverständnis. Heer wollte eindeutig die Hugenottenvertreibung kritisieren! D. Red.)

Man könnte sagen, es ist zu schön, um wahr zu sein: Herr Friedrich Heer spricht zuerst vom „islamischen öl und islamischen Geld", und dann stellt er die These auf, daß Geld wie Ol international seien. Tatsächlich ist weder das Geld noch auch das Ol international, sonst wären die Ihstitutionen wie OPEC und Weltbank überflüssige Organisationen.

Der Islam ist übernational, und daher gibt es keinen arabischen und nichtarabischen Islam, wie sich Herr Friedrich Heer vorstellt. Wenn die tatsächliche Brüderlichkeit unter den islamischen Staaten zustandekäme, dann wäre die Weltlage politisch und wirtschaftlich ganz anders...

Islamisch motivierte Ziele wären in Wirklichkeit unter anderem der Bau von Studentenheimen in verschiedenen europäischen Zentren für notleidende Studenten, welche im Gegensatz dazu aber in katholischen und evangelischen Studentenheimen untergebracht sind. Außerdem könnten auch berühmte traditionelle Zeitschriften und Zeitungen in Europa, welche sowieso finanziell mit Schwierigkeiten konfrontiert sind, gekauft und für islamische Ideen eingesetzt werden.

Genauso wäre das Problem der Millionen Gastarbeiter aus islamischen Ländern in Europa viel leichter zu lösen, wenn deren Verwendung nicht nur durch profitmotivierte Erwägungen (Produktionsfaktor) im Vordergrund stünde. Es wäre eine noch bessere Möglichkeit, daß diese Arbeiter in islamischen Ländern und in der mentalitäts- und glaubensvertrauten Umgebung durch gezielte Investitionen des ölgeldes ihre manuellen und geistigen Fähigkeiten produktiv einsetzten.

Es ist mir unerklärlich, wieso Herr Friedrich Heer behauptet, daß der Islam sich in seinem Kern jeder Befragung und jeder Selbst-Hinterfragung, jeder kritischen Forschung entzieht. Tatsächlich sollte doch Herr Friedrich Heer wissen, daß sich mit dem Islam nicht nur die Gelehrten der islamischen Welt seit ca. 1400 Jahren (Mondkalender) wissenschaftlich beschäftigt und viele wertvolle Werke diesbezüglich veröf f entlicht haben. Als Beispiele seien unter anderem Bernard Shaw Voltaire, Tolstoi und Goethe genannt.

Bernard Shaw hat in seinem „Mohammad, Allahs Apostel" gesagt: „Ich habe immer Mohammads Religion besonders hoch geschätzt wegen des Wunders ihrer lebendigen Kraft. Für mich ist sie die einzige Religion, welche die mannigfaltigen Wechselfälle des Lebens und der Unterschiede der Kulturen erfolgreich meistern kann. Ich sehe voraus, daß die Europäer Mann für Mann den Glauben des Islams annehmen werden ..."

Was für Bernard Shaw ein Wunschtraum war, ist für Herrn Friedrich Heer ein Alptraum geworden!

Wenn Herr Friedrich Heer behauptet, daß der Islam eine wirkliche Begegnung der Religionen abwehrt, dann wird er über den wahren Inhalt unseres heiligen Buches Quran überhaupt nichts wissen,, worin ausführlich von anderen vorislamischen Religionen speziell der jüdischen und der christlichen Religion gesprochen wird. (Heer hatte eingewandt, der Islam gestatte nicht „eine Untersuchung des Koran, seiner Heilsgeschichte, mit den Mitteln und Methoden der Wissenschaft," d. Red.)

Wenn der Islam gegenüber der Wissenschaft und deren relevante Bedeutung nicht offen wäre, dann hätte unter anderem Thomas von Aquino die altgriechische Philosophie, welche durch die islamischen Gelehrten ins Arabische übersetzt worden war, in der tho-mistischen Philosophie, die er auf Aristoteles aufbaut, nicht behandeln können...

Herr Friedrich Heer will in seinem Artikel die Europäer zur Selbstbesinnung einladen, indem er den Islam als eine imperiale und imperialistische Weltreligion nicht nur am Tor Europas, sondern mitten unter den Europäern betrachtet. Solche Pauschalwarnungen und Vorurteile haben vor nicht allzulanger Zeit gerade, hier in Europa, speziell im deutschsprachigen Raum, die düsterste und traurigste Epoche der europäischen Geschichte gekennzeichnet.

Man sprach damals ganz ähnliche Worte und veranlaßte durch Hetzkampagne die Verfolgung und Vernichtung der Millionen Menschen auf Grund ihrer Abstammung oder religiösen Uberzeugung. (Der Autor meint die Judenverfolgung. D. Red.)

„Und helfet einander in Rechtschaffenheit und Frömmigkeit; doch helfet einander nicht in Sünde und Übertretung!" (Quran, 5. Sura, 2. A.ya).

Der Verfasser ist Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Osterreich.

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