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Antwort auf den dialektischen Materialismus

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Als der liebenswürdige und bekannte Essayist und „Kassenarzt mit Nebeneinnahmen“ Peter Bamm in seinen Ausführungen auf der Frankfurter Messe darauf hinwies, daß der große Aberglaube und flache Mystizismus einer mit Wissenschaft gleichgesetzten Naturwissenschaft und ihre politische Verankerung im kommunistischen Materialismus noch keine entscheidende Reaktion und somit auch keine Antwort gefunden habe, konnte ihn bereits wenige Augenblicke später ein Sortimenter auf das Werk „Gott — Mensch — Universum“. Die Antwort des Christen auf den Materialismus der Zeit. Herausgegeben von Jacques de Bivort de La Saudee. 664 Seiten.Glw. Preis 162 S (bei Subskription bis 1 November 132.50 S) hinweisen. Und Peter Bamm gestand gern und freudig, daß er seine diesbezügliche Aussage — wenigstens für den Augenblick — revidieren müsse.

Wird, er diese Revision aufrechterhalten können, wenn er das erwähnte Werk näher eingesehen und genau überprüft hat?

Wir müssen eines vorausschicken, ehe wir darauf eine bejahende Antwort geben können. Das hier vorgelegte Werk ist ein religiöses und weiterhin ei theologisches Werk, und wir betonen das, obwohl Peter Bamm vielleicht gerade darin seine Stärke sehen wird. Es vertritt überall und in jeder Zeile den Standpunkt des Katholizismus. In ihm sprechen katholische Wissenschaftler und katholische Theologen, um — wie es in der Einleitung heißt — „die Probleme so darzustellen und zu beurteilen, wie sie sich im Lichte der neuesten Ergebnisse einer vom Glauben erleuchteten. Wissenschaft stellen“.

Es ist also eine Standpunktantwort,- die hier gegeben wird, eine Antwort, in der Idee gegen Idee, Lehre gegen Lehre gestellt wird; aber was auf den ersten Anblick vielleicht als Nachteil erscheinen könnte, erweist sich als fruchtbar und notwendig, weil jedes andere Verhalten illusorisch wäre und mit Vorstellungen operieren würde, die dem echten Kommunisten nur ein überlegenes Läeheln abzwingen würden. /

Wenn wir im Abc des Kommunismus (N. Bucharin und Preobrajenski) lesen, daß „Religion und Kommunismus unvereinbar sind, in der Theorie wie in der Praxis“, so stimmt dieses erst in unseren Tagen formulierte Wort mit der ursprünglichen Lehre Marx' völlig überein. Zwar braucht nach ihm der Atheismus, vor allem, wo er sich als „philosophische, abstrakte Philanthropie“ zeigt (der Atheismus, wie wir ihn in der westlichen Welt, vor allem seit zwei Jahrhunderten, ausgeprägt finden), nicht unbedingt zum Kommunismus zu führen. Der Kapitalismus, wie irgendeine andere Form menschlichen und sozialen Verhaltens, kann ebensogut auf ihm fußen. Wohl aber ist der marxistische Sozialismus oder Kommunismus immer zugleich atheistisch. Denn die Religion, wie Marx,und seine Nachfolger sie verstehen, ist für sie geschichtlich wie ideologisch der Gegner ihrer politischen Anliegen. Die Religion muß also notwendig und automatisch im Kommunismus verschwinden, und Religionsfreiheit ist für ihn nicht die Wahl für oder gegen die Religion, sondern die absolute Freiheit von der Religion. Der kommunistische bzw. marxistische Materialismus ist daher von vornherein ein politisches Kampfinstrument und setzt sich und alles, was er an Wissenschaft in seinen Dienst nimmt, vor allem die Philosophie und die moderne Naturwissenschaft, in diesem Sinne ein. Arnold Buchholz hat diesen Wesenszug der wissenschaftlichen Arbeit der sowjetischen Forscher so formuliert:

„Wirklich verständlich werden viele Anschauungen des dialektischen Materialismus nur, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die materialistische Naturphilosophie dazu dienen soll, die Wirklichkeit ohne das Wirken einer höheren Kraft, die wir Gott nennen, zu erklären. Der unversöhnliche Kampf des dialektischen Materialismus gegen die Religion rührt daher, daß die Religion den Menschen an Gott bindet, während der Materialismus den Menschen an die kommunistischen Ideale als höchsten Wertmaßstab binden soll. Die Erklärung der Natur ohne irgendwelche höheren als naturwissenschaftlichen Kräfte ist daher das erste Grunddogma der sowjetischen naturwissenschaftlichen Forschung.“

Die Verfasser tun also recht daran, wenn sie ihre Weltanschauung zunächst einmal mit der Weltanschauung des Kommunismus konfrontieren. Dennoch: Auch wenn wir annehmen, daß Auguste Comfe mit seinem Glauben, die Wissenschaft werde eines Tages die Philosophie und die Religion überflüssig machen, unrecht hatte, auch wenn wir wissen, daß Marx geirrt hat mit der Behauptung, die kommunistische Organisation der Gesellschaft werde das Verschwinden der religiösen Bedürfnisse zur Folge haben, das heißt, weiter gesehen, wenn wir betonen, daß mit Wissenschaft, Technik, Politik und soziologischer Oekonomie der denkende und sich sittlich verantwortlich fühlende Mensch die ihn tiefer als alles quälende Frage nach dem „Sinn seiner Existenz“ als Totalität noch nicht beantworten kann, und daß sich hier in dem Zusammenhang von Ich-Person-Welt eine ganz neue Dimension des Fragens aufschließt, könnte man sagen, daß in der Gegenüberstellung von Idee und Idee, Standpunkt und Standpunkt noch nicht allzuviel gewonnen sei, sobald auch der eingenommene christliche Standpunkt sich intransigent einer politischen Zielsetzung, und sei es im weitesten Wortmaße, unterwürfe.

Und das ist nun in diesem Buch keineswegs der Fall: denn dieses Werk „Gott — Mensch — Universum“ will nicht wie sein ostzonales Gegenstück: „Weltall — Erde — Mensch“, das als staatspolitisches Produkt etabliert wurde — ohne alle weitere Rücksicht auf Wahrheit oder Wirklichkeit —, „die Menschen politisch ausrichren“, sondern in erster Linie der Wahrheit dienen. Es richtet sich also nach dem Wort des Heiligen Vaters vom 13 Oktober 195 5: „Das Wesentliche ist, die Wahrheit zu suchen, darzulegen undf zu vertiefen, sie mag genehm oder nicht genehm, von wem immer angenommen oder zurückgewiesen sein.“ Die Verfasser können sich diesem Ziel um so ungestörter hingeben, als nach katholischer Anschauung Wahrheit immer Wahrheit bleibt und daher auch (unter Berücksichtigung der jeweiligen Grenzen) kein Widerstreit zwischen echter Wissenschaft und der Wahrheit des Christentums entstehen kann. Das Weltbild der echten Wissenschaft muß vielmehr die Verteidigung des Glaubens übernehmen und für deren Koexistenz in der Wahrheit zeugen. Allerdings darf dabei ein wichtiger Punkt nicht übersehen werden. Denn wenn und weil so eine Koexistenz in der Wahrheit möglich, aber auch nur in ihr möglich ist. 2wtngt uns eben diese Wahrheit eine Verantwortung auf, die ebensoweit in das tägliche und soziale wie in das geistige Leben eingreift und „das Gegenteil von Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit ist“ (Pius XII.). Auf keinen Fall ist es uns erlaubt die Wahrheit und Gerechtigkeit aus Trägheit, Dummheit, Gleichgültigkeit, Arroganz oder falsch verstandener Sicherheit zu riskieren.

Damit ist gleichzeitig ein weiterer Aspekt verknüpft. Das vorliegende Werk ist zugleich die konkrete Antwort auf den Vorwurf, „daß das Christentum den Menschen anmaßend, politisch allzu sicher und selbstzufrieden mache und ihn dazu verführe, Positionen zu verteidigen, die keinerlei Sinn mehr haben“. Infolgedessen begnügen sich die Verfasser dieses Buches eben nicht damit, sich der Weltanschauung des Kommunismus und des Materialismus zu konfrontieren. Sie wissen, daß auch innerhalb des katholischen Christentums die Wahrheit nicht immer mit der Illusion einer Wahrheitsvorstellung übereinstimmt und daß — wie Kardinal Frings es in seinem Vorwort schreibt — „durch die neuen Entdeckungen der Naturwissenschaften und der prähistorischen Geschichtswissenschaft die Fragen um die praembula fidei, um die Erklärung der ersten Genesisartikel und um die Entstehung der Religion und des Christentums von neuem aufgeworfen worden sind“. So ist nicht nur das Bedürfnis nach neuen fundamentaltheologischen Darlegungen groß, sondern auch ihre Notwendigkeit unabweisbar. Die Antwort auf die Fragen det Gegenwart über das Verhältnis von Wissenschaft. Glaube und Wahrheit darf daher nicht auf eine esoterische Gruppe einer mehr oder weniger unterrichteten Theologenzunft eingeschränkt werden.

In diesem dreifachen Sinne hat sich hier ein Team von 16 international bekannten Fachleuten und Theologen aus fünf Nationen zusammengefunden, leder von ihnen ist auf seinem speziellen Gebiet in der Fachwelt anerkannt und wird eben dort beansprucht, wo er aus eigener Erfahrung die Schwierigkeiten genau kennt, mit denen er sich ja nicht zum ersten Male auseinandersetzt. Alle Verfasser bleiben innerhalb der Grenzen der Wissenschaft, solange es eben geht, und erst dort, wo jene Grenze erreicht wird, die von der. Wissenschaft nicht oder noch- nicht zu überschreiten ist, setzen sie den Glauben und die Wissenschaft der Theologie ein, um über diese Grenze hinauszuführen. Kein echter Gelehrter und Wahrheitsfreund aber wird etwas dagegen haben, daß er an dieser Grenze, die er ja selbst als solche setzen muß, durch den spekulativen Philosophen oder Theologen oder durch die religiöse Offenbarung weitergeführt wird — ob er dann diese Folgerung für sich anerkennt oder nicht.

Das Werk umfaßt auf 664 Seiten 16 Aufsätze. So ist klar, daß in den einzelnen Kapiteln, zum Beispiel über „Die Welt, ihr Ursprung und ihre Struktur im Blick der Wissenschaft und des Glaubens“ (Verfasser P. Antonio Ronini' SI., Direktor der Ebro-Sternwarte, Tortosa, Spanien), „Woher ist das Leben?“ (Verfasser P. Felix Rüschkamp SJ., Professor der Biologie und Anthropologie, Sankt Georgen), „Die Seele des Menschen, Fragen und Antworten aus der Psychologie“ (Verfasser P. josef Ternus SI„ Professor in St. Georgen), ;,Der Ursprung des Menschen und die jüngsten Entdeckungen der Naturwissenschaften“ (Verfasser G. V a n d e-b r o e k, Professor der vergleichenden Anatomie und Anthropologie, Löwen), um zunächst nur rein naturwissenschaftliche Aufsätze zu nennen, nicht das ganze Kompendium der jeweiligen Wissenschaft gegeben werden kann. Um so erstaunlicher ist es, wie und in welcher Weise die zentralen Tatsachen dargestellt, die Probleme aufgerissen, die Situation erhellt und die Fragen gestellt und gelöst werden. Und auch die Sprache und die Darstellung ist so, daß bei einiger Mitarbeit und ernstem Willen der durchschnittlich gebildete Mensch, der sich ernsthaft mit seiner Zeit und ihren Fragen auseinandersetzen will, zu folgen vermag.

Alles das gilt auch für die geschichtlichen und geisteswissenschaftlichen Aufsätze, zum Beispiel für den hervorragenden und ebenso differenzierten wie klar gegliederten, ebenso offenen wie vorsichtigen Aufsatz von P. Henri de Lubac SI., Lyon, „Der Ursprung der Religion“. So entscheidend er auf Grund der bisherigen Erkenntnisse der Ethnologie den marxistischen Behauptungen über Wesen und Entwicklung der Religion entgegentreten kann, weil sie einfach mit den Erkenntnissen der heutigen Wissenschaft nicht mehr übereinstimmen, so demütig und zurückhaltend gibt er die positiven Erkenntnisse wieder. „Die Gottesidee“, so heißt es am Schluß, „tritt in der Menschheit als etwas Spontanes und Eigentümliches auf. Wenngleich sie in ihrem objektiven Ausdruck in enger Abhängigkeit steht von der zweifachen natürlichen Analogie, durch die wir alles begreifen: des Sinnenhaften und des Sozialen. Alle Versuche einer .Entstehungsgeschichte' wie auch einer .Reduktion', die in dieser Frage unternommen wurden, verfehlen sich nach irgendeiner Seite hin ... Abschließend mag folgende Tatsache herausgehoben werden: Die sicheren Ergebnisse der Religionsgeschichte sind zu mager und zu unklar,\als .daß sie unsere wissenschaftliche Neugierde zu befriedigen vermöchten, aber sie lassen ungezwungen eine christliche Deutung zu (wir sagen nicht, daß sie eine solche Deutung aufzwingen), und sie werden von dorther am verständlichsten.“ Dieselbe Zurückhaltung und Offenheit reigt der trotz seiner Kürze in besonderer Weise instruktive Aufsatz von E. C. M e s s e n g e r, Ware (England): „Der Ursprung des Menschen nach dem Buche Genesis.“ Denn wie er auf der einen Seite scharf betont, daß keinerlei Hindernis religiöser oder theologischer Art. bestehe, die Evolutionstheorie für den Menschen anzuerkennen, beziehungsweise daß wenigstens der Streit über das Wie der Schöpfung frei geführt werden könne, so setzt er auf der anderen Seite keine Behauptungen, die — obwohl manchmal von religiöser Voreingenommenheit gewünscht — nicht notwendig und theologisch noch nicht vertretbar sind. Als Beispiel führen wir seine Stellungnahme zu der so weitgehend von den Theologen als Tatsache übernommenen Frage der Uroffenbaning an, zu der er sagt: „Mag es eine Uroffenbarung über den Ursprung des Menschen und der Welt gegeben haben oder nicht: was wir darüber sagen können, ist dies: Es gibt kein Dokument, das eine solche Offenbarung beweist, und ihre Weitergabe auf die Nachwelt durch Tausende von lahren bringt uns in allergrößte Schwierigkeiten.“

Es kam mir darauf an, mit diesen Hinweisen zu zeigen, wie weitherzig und offen, wissenschaftlich echt und demütig, aber auch wie entscheidend sich das Werk in allen seinen Abschnitten gibt. Wir hätten das ebensogut an anderen Artikeln aufzeigen können, zum Beispiel in der kühnen Darstellung der kirchlichen Auffassung des Sozialproblems gegenüber der kapitalistischen und kommunistischen Wirklichkeit; denn Andre Arnou, der Pariser Professor der Staats- und Gesellschaftslehre, stellt die „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ mancher öffentlicher Stellen oder den Skandal mancher katholischer Kreise, die beide den „Schrei nach Gerechtigkeit und Brüderlichkeit“ überhören, ebenso scharf heraus wie er die wahre Lehre der Kirche und — ohne auch nur ein einziges Mal in eine falsche propagandistische Polemik zu verfallen — die Lehre und Wirklichkeit des Kommunismus einander gegenüberstellt. Das Werk kulminiert nach meiner Ansicht in zwei Aufsätzen, die vielleicht am wenigsten eine Konfrontation mit dem Kommunismus anstreben, dafür aber um so wesenhafter in die religiöse Existenz hincin-dringen. Ich meine den Aufsatz von P. Liege OP., Le Saulchoir: „Die christliche römisch-katholische Kirche“, und den seines Ordensbruders P. Yves M.-J. C o n g a r : „Das Problem des Uebels“, das in seinem doppelten Aspekt als Aergernis und Geheimnis angegangen wird. Beide Aufsätze können auch — zumal in Verbindung mit dem ersten Artikel des Löwener Professors Albert Dondeyne : „Die Existenz Gottes und der zeitgenössische Materialismus“ — als die tragenden Pfeiler angesprochen werden. Sie bieten darüber hinaus die sichere onto-logische Grundlage gegenüber der nicht nur als philosophisches System, sondern als Häresie und politisch zweckbewußte Dogmatik verkündeten Philosophie des dialektischen' Materialismus, wie sie der bekannte Klassiker dieser Philosophie des Proletariat, Prof. Gustav Andre Wetter SI., in seinem Artikel darstellt.

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