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Friedrich Heer über Karl

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Mancher Satz wird Aggressionen auf sich ziehen. Wie immer bei Friedrich Heer. Und auch Seitenhiebe werden ausgeteilt. Wie immer bei Friedrich Heer. Beispielsweise, wenn er, wie schon in seinem Essay zum Stichwort „Abendland“ in Meyers Enzyklopädischem Lexikon, mitteüt US-Außenminister John Foster Dulles habe versucht, „durch Genealogen seine Abstammung von Karl dem Großen nachweisen zu lassen“ (worüber man ganz gern etwas detaüliertere Angaben gelesen hätte). Insgesamt aber markiert das (nicht ganz) neue Buch von Friedrich Heer, „Karl der Große und seine Welt“, in einem gewissen Sinn, in einem gewissen Maß, Rückkehr zu den Ausgangspunkten. Nicht nur zu denen des christlichen Abendlandes - sondern auch zu denen des Autors Heer. (Die Originalausgabe erschien in einem englischen Verlag.)

Wie in seinen frühen historischen Arbeiten entwickelt er hier wieder die Zusammenhänge aus dem Material, statt das historische Material um eine These zu gruppieren - um Mißverständnissen vorzubeugen, auch letzteres Verfahren ist legitim, solange das Material nicht vergewaltigt wird. Und das hat Heer, auch wenn er dann und wann mit untergeordneten Detaüs etwas großzügiger umging, als ihm mancher zugestehen wollte, niemals getan.

Hier aber hat Heer nicht, wie so oft, und mit viel Geist, „ein Thema erfunden“, sondern ein vorhandenes, ein gängiges, ein schon oft behandeltes Thema ein weiteres Mal bearbeitet und dargesteUt Und gerade dabei, und gerade weü man dieses Werk mit so vie-

lem zu diesem Thema vergleiehen kann, erweist sich hier die Kapazität dieses Autors als Geschichtsschreiber. Das heißt: Als eines, der dem so oft Erzählten eine neue Farbe zu verleihen, neue Facetten abzugewinnen vermag.

Das bedeutet im gegenständlichen Fall schärfste Herausmeißelung des Widersprüchigen in der Persönlichkeit Karls, bedeutet aber auch Festnage-lung der späteren Epochen auf die Widersprüche bei ihren Bemühungen, mit dieser Herrschergestalt und ihren Widersprüchen fertigzuwerden, und Festnagelung des christlichen Abendlandes auf seine Widersprüche, deren mancher hier zwar nicht Versöhnung, aber doch Erklärung findet.

Es versteht sich, daß dieses Buch glänzend geschrieben ist. Dies aber nicht nur, weü Friedrich Heer ein Historiker ist, der zufällig auch schreiben kann, sondern die Souveränität der Darsteüung ist Resultat eines in ein außerordentliches Allgemeinwissen eingebetteten außerordentlichen Spe-zialwissens über Karls Epoche. Dabei fasziniert besonders die Fähigkeit, im Rückblick Anstoß zu nehmen, mit dem Objekt seiner Darstellung zu rechten, Karl anzuklagen, zugleich aber allzu kleinhorizontigen Kritikern gegenüber zu verteidigen - das Ergebnis ist das außerordentlich plastische Hervortreten einer unter dem Tonnengewicht historischer Literatur plattgedrückten Gestalt

KARL DER GROSSE UND SEINE WELT. Von Friedrich Heer. Verlag Molden, Wien 1977. 272 Seiten, 138 Abbildungen (zum Teil in Farbe), öS 420,-

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