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Das Phänomen Franzei

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Der aus Böhmen stammende Verfasser ist durch seine zahlreichen historischen Werke vor allem „Geschichte unserer Zeit” und „1866 — II mondo casca” der interessierten Leserschaft bereits bekannt, obwohl er als Konservativer von den Massenmedien totgeschwiegen wird, es sei denn, er wäre wieder einmal das Opfer eines journalistischen Großangriffs. Das vorliegende, sehr umfangreiche Werk „Geschichte des deutschen Volkes”, bringt noch einmal eine großartige Zusammenfassung der Ideen des Autors zur deutschen Geschichte, aber auch noch mehr: Gerade jene Zeitabschnitte der Vergangenheit des deutschen Volkes, die Franzei in seinen bisherigen Büchern gar nicht oder nur summarisch behandelt hatte, so etwa die Zeit vom Imperium Romanum bis zur Regierung Karls des Großen, oder die Epoche des ausklingenden Mittelalters vorn Ende der Staufer bis zur Reformation, werden den Leser besonders fesseln. Der Verfasser schöpft aus der Fülle eines bewundernswerten Wissens und kann daher dem Leser immer wieder neue Gesichtspunkte öffnen. Eine hervorragende Kenntnis der böhmischen Geschichte, durch Jahrhunderte der deutschen eng verbunden, bereichert die Darstellung ganz besonders. Der große tschechische Historiker Pekäf wird ausdrücklich zitiert.

Der Autor liebt es, den Leser auch mit militärischen Details vertraut zu machen, von den Hussitenkriegen bis zu den aus den Boden gestampften Massenheeren der III. Republik im Winter 1870/71. Angesichts des heutigen Unverständnis für alle militärischen Fragen ist die detaillierte Behandlung dieser Spairte sicher richtig. Eine unerreichte Stärke des Verfassers liegt aber in der Darstellung, ja gerade im Aufspüren einer geistigen, literarischen und weltanschaulichen Entwicklung, die einer politischen Umwälzung vorausgeht. Der Humanismus, die Reformation, die Aufklärung, das Biedermeier, das 19. und das 20. Jahrhundert werden so dem Leser vor Augen geführt, wobei die unglaubliche Belesenheit des Autors — nicht umsonst war er Jahrzehnte im Bibliothekswesen tätig — dem Leser bedeutende Gestalten geradezu persönlich vor Augen führt, etwa die Begegnung Goethes mit Grillparzer, aber auf alle Fälle sehr viele literarische Anregungen vermittelt. Studierende werden dieses Buch dankbar lesen, zumal Franzei sich nicht einseitig auf Preußen- Deutschland beschränkt, sondern immer das einstige Altösterreich in seine Betrachtungen einbezieht. Man wird ihn vielleicht deshalb kritisieren und als Feind österreichischer Eigenstaatlichkeit bezeichnen, bis jetzt haben ihn aber kritische Stimmen als „antifritzisch”, zu sehr für Maria Theresia voreingenommen, zu österreichisch und zu christlich getadelt. Franzei hat in seinen zahllosen Zeitungsartikeln, in seinen vielen Büchern einschließlich den unter Carl von Böheim erschienenen Romanen, nie verhehlt, daß er den jakobinischen Nationalstaatsgedanken aus der Schule Giuseppe Mazzinis ablehnt, und nie seine Liebe zum alten Österreich verborgen. Ihm das jetzt vorzuwerfen, ist müßig; wird heute wirklich noch jemand behaupten, die Schlacht bei Königgrätz habe die Uhr der deutschen Geschichte auf ein Jahrhundert richtig gestellt? Diesen Satz nicht anzuerkennen, hindert den Autor nicht, dem Staatsmann, der ihn formulierte, die entsprechende Beachtung einzuräumen. Über die Vorwürfe gegen den Verfasser kann man also hinweggehen, ebenso wie über die Generalangriffe der Linken in den Jahren 1964 und 1968.

Aber gerade diese Angriffe und die unversöhnliche Feindschaft der Massenmedien gegen den Autor führen uns zu einer interessanten Überlegung: Wo liegen die geschichtlichen Wurzeln des Verfassers, wer sind seine geistigen Väter? Das vorliegende Werk ist dem Lehrer des Autors, Hans Hirsch, einem der bekanntesten Vertreter der Wiener Historischen Schule gewidmet. Aus diesem Kreis der Lehrer wären noch A. F. Pribram und Heinrich Ritter v. Srbik zu nennen. Über Pribram führt eine Linie zu dem bekannten Föderalisten Konstantin Frantz, der in Franzeis Werken oft zitiert wird. Nicht übersehen darf man den Einfluß Eugen Rosenstock-Huessys, einem der wenigen politischen Denker Norddeutschlands, die auch Österreich in den Kreis ihrer Betrachtungen einbezogen haben. Rosenstock-Huessy geht sogar soweit, daß er in Österreich Deutschlands Zugang zur großen Welt sieht.

Der Verfasser war in seinen jungen Jahren Sozialdemokrat; trotz seiner Trennung von dieser Partei in der Mitte der dreißiger Jahre, ist die Persönlichkeit Victor Adlers, des menschlichsten aller österreichischen Politiker”, aus dem Geschichtsbild des Verfassers nicht wegzudenken. Aber zurück zur Feindschaft mit den Massenmedien: auch im vorliegenden Werk begegnet uns einige Male der gefürchtete Kämpfer gegen die Presse, Karl Kraus, der dem Verfasser persönlich befreundet war. Noch anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages hat sich in diesem Jahr die FAZ gegen Karl Kraus ereifert. Bemerkenswert ist, daß unter den Persönlichkeiten, die Franzei beeinflußt haben, drei jüdische Intellektuelle zu Anden sind, trotzdem wird der Autor gelegentlich als Antisemit diffamiert. Bezeichnend war aber, daß bei der Anti-Franzel-Kampagne des Jahres 1968 ein angesehener jüdischer Publizist, einstmals Oberleutnant der Reserve im k. k. 8. Landwehr-Artille- rie-Regiment, energisch und erfolgreich für den Autor eingetreten ist.

Franzeis Werk lehrt den Leser, daß man geschichtliche Epochen nicht isoliert betrachten darf, so wie man heute etwa die Zeitgeschichte überbetont. Eine geschichtliche Entwicklung erkennt man erst in größeren Epochen und auch das Geschichtsbild der Völker, das für ihre politische Einstellung gerade in den demokratischen Staaten sehr maßgebend ist, bildet sich im Laufe von Jahrzehnten, ja auch Jahrhunderten. Franzei ist einer jener Geschichtsschreiber, in deren Werk es keinen Bruch zwischen Geschichte und Gegenwart gibt, deshalb wird das Erscheinen seiner Werke zu einem Ereignis der politischen Gegenwart.

GESCHICHTE DES DEUTSCHEN VOLKES. Von Emil F r a n z e l. Adam-Kraft-Verlag, München 1974. 943 Seiten.

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