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Friedrich Heer, der mit seinem "Gespräch der Feinde" vor allen anderen für den Dialog der Kulturen und Ideologien plädierte, saß zwischen allen Stühlen.Erinnerung an einen ungeliebten Propheten.

A ls Friedrich Heer für das westliche Europa schon längst ein großer konservativer Kulturhistoriker war, anerkannt von Martin Buber bis Arnold Toynbee, galt er in Österreich noch immer als "Kryptokommunist" und gefährlicher Verführer der akademischen Jugend. So verbiestert - restaurativ war das intellektuelle Klima in den späten 50er und frühen 60er Jahren in Wien, dass Heer eine ordentliche Professur (von Heinrich Drimmel, dem langjährigen ÖVP-Chefideologen) verweigert wurde. Verweigert wurde ihm aber auch außeruniversitärer Einfluss auf die Jugend. Die offiziellen katholischen Organisationen hatten ihn von ihren Vortragslisten verbannt; einer der Gründe, warum mich als Studentin die Bücher Heers zu interessieren begannen. Den Sozialisten galt er, der die Geistesgeschichte Europas zu seinem Lebensthema gemacht hatte, als zu katholisch, wenn nicht reaktionär. Keine Gesprächspartner also auch dort - mit wenigen Ausnahmen wie der seines Klassenkollegen Christian Broda, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Gespräch der Feinde

Wie war Heer zur Position zwischen allen Stühlen gekommen? In einem schmalen, 1949 erschienenen Band hatte er für neue Formen der geistigen Auseinandersetzung, für das Gespräch der Feinde, den später zum Schlagwort gewordenen "Dialog" plädiert. Mitten im ausbrechenden Kalten Krieg kam dies einem "politischen Selbstmord" gleich (so Heer später). Der Rechten galt er allein mit diesem Titel (das Wort Kommunismus kam nirgends vor) als "Fellow traveller" und Saboteur einer geschlossenen antikommunistischen Front.

Den Dialog, den ihm Österreich verweigerte, führte er mit den intellektuellen Kapazitäten von ganz Europa. Der Aufgang Europas, das Thema seiner ersten großen historischen Arbeit - als gezielte Antithese zum "Untergang des Abendlandes" von Oswald Spengler -, zieht sich wie ein Leitmotiv durch alle Bücher, die er in explodierender Kreativität Jahr für Jahr produzierte. Zeit seines Lebens dachte, fühlte und lebte Heer als Europäer. Europa, seine kulturellen Wurzeln, seine Entwicklungslinien und Verwerfungen zwischen West und Ost, seine Gemeinsamkeiten und Widersprüche trieben ihn lebenslang um und machen seine Bücher heute noch überraschend aktuell.

Im Dramaturgenzimmer des Burgtheaters, wo ich ihn in den 60er Jahren oft besuchte, hielt er Kontakt mit allem, was im intellektuellen Europa Rang und Namen hatte. Dort galt er als die "Stimme Österreichs" im europäischen Diskurs, an dem er mit Engagement teilnahm, solange es ihm die Gesundheit erlaubte.

Europa dachte er immer mit, wenn er über Österreich schrieb. Den Verflechtungen und Wechselbeziehungen Österreichs mit seinen westeuropäischen und seinen osteuropäischen Nachbarn, diesem permanenten "Dialog", der die zentrale Idee der österreichischen Geschichte ausmacht, galt sein letztes großes Buch Der Kampf um die österreichische Identität.

Vordenker Europas

Mag Heers Sprache in ihrer barockisierenden Formulierungswut, der überbordenden Kette von Assoziationen heute manchmal überfrachtet und unmodern erscheinen, die Substanz seiner Gedanken hat ungebrochene Aktualität: Sein "Gespräch der Feinde" liest sich heute wie eine Warnung vor den Theoretikern des "Kampfes der Kulturen" und den Praktikern des Krieges gegen den Islam. Das Leitmotiv "Europa" in allen seinen Werken macht ihn zum Vordenker der Wiedervereinigung des Kontinents, zu einem Vordenker gerade in jenem Bereich, den die aktuelle Europa-Debatte sträflich vernachlässigt - in der Kultur, den kulturellen Gemeinsamkeiten und Widersprüchen der europäischen Länder.

Österreichs Rolle in Europa war eines der Heer'schen Lebensthemen. War er in den 50er Jahren noch ein Anhänger einer relativ unkritisch-konservativen Österreichmythologie mit "Brückenschlag"- und "Österreichische Mission"-Rhetorik, so wurden seine Österreich-Analysen mit den Jahren zunehmend kritischer. Zur gerühmten "Humanitas Austriaca" gesellte sich die "Inhumanitas Austriaca", zum Lob des "untergegangenen Geisteskontinents Österreichs" die Klage über immer stärkere geistige Verengung und Provinzialisierung. 1968, in einem Schlüssel-Artikel im Neuen Forum ("Österreich als dialogisches Zentrum"), benennt er als Ursache des wachsenden Provinzialismus die Vertreibung jüdischer und nichtjüdischer Emigranten, die in Amerika und England eine Art "Drittes Österreich" bilden.

Zunehmend isoliert

Ein Jahr zuvor hatte Heer jenes Buch publiziert, das ihn erneut aus allen, diesmal innerkirchlichen Gesprächen, hinauskatapultierte. Mit Gottes erste Liebe hatte er der Kirche ihre Schuld an der Entstehung des Antisemitismus angelastet. Mit dem 1968 erschienenen Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität kamen auch seine letzten katholischen Freunde nicht zu Rande. Zu radikal schienen ihnen Heers vielfältig belegte Zusammenhänge zwischen Religion und Nationalsozialismus formuliert.

Friedrich Heer, leidenschaftlicher Verfechter des Dialogs zwischen Völkern, Kulturen und Religionen, sah sich Ende der 70er Jahre zunehmend in die Isolation gedrängt. Die Verweigerung des öffentlichen Dialogs machte ihm zu schaffen. Er, der Freunde und Diskussionen brauchte wie die Luft zum Leben, hielt Isolation schlecht aus.

Prophet im Vaterland ...

Und er war sich sicher, dass die Verweigerung des Dialogs auch für die Gesellschaft schädliche Folgen zeitigen werde. In einem Artikel für Literatur und Kritik zitiert er 1981 das Nichtgespräch mit den Juden, das Nichtgespräch mit den Christen, der Christen untereinander und der "Nachchristen" ,wie er sie nennt, das Nichtgespräch der vier bis sechs Generationen und das Nichtgespräch mit den österreichischen Vergangenheiten. Diese "Ausfallserscheinungen", diagnostiziert an der österreichischen Literatur , machen 20 Jahre nach Friedrich Heers Tod klar, welch ein Prophet dieser Historiker von europäischem Rang für sein Land war. Und warum Propheten in ihrem Vaterland in der Regel nicht geliebt werden.

Die Autorin war ORF-Journalistin und -Dokumentarfilmerin - sowie 1967 Furche-Redakteurin.

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