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Neutrale Furchen

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Er ist früh gestorben, weil er auf vieles zu früh draufgekom-men ist. Friedrich Heer, der im September 1983 starb, wäre am 10. April 75 Jahre alt geworden.

Früh nahm er „Abschied von Höllen und Himmeln". Ein Buch dieses Titels erschien 1970 und es handelte, viel zu früh, wie sich später herausstellte, „ Vom Ende des religiösen Tertiär". Mit Teilhard de Chardin meinte Friedrich Heer, daß die Menschwerdung des Menschen erst begonnen habe. Als christlicher Aufklärer wandte ersieh gegen verschuldete Unmündigkeit, gegen Rebarbarisierung und dumpfe Verkindischung. Er träumte von einem offenen Christentum und wurde immer wieder gewaltsam aus seinen Träumen gerissen.

Auch „Das Gespräch der Feinde "forderte er viel zu früh: Bereits Ende der vierziger Jahre. Und er wurde nicht müde, vom Frieden zu reden in den Zeiten des Kalten Krieges. Auch wenn ihm Monsignore Otto Mauer immer wieder sagte: „Das Wort Friede darfst du nicht in den Mund nehmen. Das ist ein Wort kommunistischer Propaganda." Andere waren weniger zurückhaltend. Gerd Bacher zum Beispiel warf Friedrich Heer vor, „genau jene neutralen Furchen zu ziehen, in die der Bolschewismus so gern seine Aussaat bettet."

Heer wurde verbittert durch Pauschaldenunziationen; aber immer wieder überwand er diese Phasen. An seinem Grab wies der sozialdemokratische Politiker Heinz Fischer darauf hin, daß dieser Unbequeme, dessen jüngst von Adolf Gais-bquer edierte Bibliographie mehr als 500 Seiten umfaßt, Schwierigkeiten mit seiner Habilitation an der Wiener Universität hatte und nie ordentlicher Professor werden durfte.

Friedrich Heers Katholizität war eine Lebenshaltung: ein ständiges Ringen um immer mehr Offenheit nach innen und nach außen. Er war überzeugt davon, daß die Völker der Erde die Eine Wahrheit in vielen Gestalten erwarten und das Eine Wort in vielen differenzierten Antworten. Er wußte, daß die wirklichen großen Fragen nicht zu beantworten sind und er forderte als Ziel der Erziehung „die Freude am Anderssein des anderen".

Vielleicht hat ein eher Fernstehender sein Wesen am besten erfaßt, der deutsche Kritiker Joachim Kaiser, der zum Tod Heers folgendes schrieb: „Dieser überwältigendgebildete und belesene Mann ist im Grunde ein naiver, ein unschuldiger, ein reiner Mensch gewesen. Weniger aus Leichtsinn als aus Nicht-anders-Können hat er sich gleichsam schutzlos präsentiert, als wisse er, der Kenner der Menschheitsgeschichte, nicht, wie böse oder boshaft die Menschen sein können."

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