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„Prophet ohne Amt“

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In dreizehn ganz verschiedenen Themen spricht der temoin Friedrich Heer von der Wirklichkeit: von der Gegenwart und ihren gemäßen Krisen, Nöten und Froblemen Als Historiker, als Deuter der Geschichte, als Kulturphilosoph, vor allem als „Prophet ohne Amt“ schreibt Heer diese Aufsätze: als Publizist. Publizist ist einer, der ein Brand-Deuter ist und mit dem Brand-Stifter verwechselt wird. Er spricht „hart“ — wer hat ihn beauftragt? Ihn und alle seine Vorfahren langer Zeit (die Görres, Hello, Bernanos, Pguy, Haecker usw.)? Ein Publizist hat kein autorisiertes Amt — das ist seine Größe und seine Tragik: „Gehorcht er seinem Gewissen, so gerät er immer wieder in die Gefahr, einem Scherben- . gericht zu verfallen. Unterwirft er sich, dann wird er, der Dialektik . seines schlechten Gewissens erliegend, sehr oft selbst zum Ketzerspürer, Ketzerbrenner.“ Jedenfalls: unangenehm und doch notwendig ist ein Publizist. Und solch unangenehme, hotwendige Dinge sagt Heer in diesem Buche von der Wirklichkeit. Schießt er über das Ziel hinaus? — nun, er ist ja „nur ein Publizist“! Schreibt er, ins Schwarze treffend? — nun, er ist ein „Publizist“! In Abwandlung eines Wortes von Kierkegaard könnte man sagen; er schreibt zu .gelehrt, um heftig zu sein, und zu heftig, um gelehrt ai sein. Nun, er ist ja ein „Publizist“. Aber dazu gehört, heute Mut: irh Zeitalter der Totalitarismen. Dann.gehört Kenntnis dazu, die sich keinem von selbst bietet, es sei denn, er verstünde mit hellen Augen und viel Liebe, unbestechlich, aber verständig zu sehen. Mut und Sicht wird niemand diesem Friedrich Heer absprechen. Denn es werden viele Einzelheiten, Kleinheiten, Kleinigkeiten ausgesprochen, die sich leicht verstecken oder von uns gern versteckt werden. Es wird Selbstverständliches ausgesprochen, das in neuen Zusammenhängen gar nicht mehr so selbstverständlich ist, vielleicht sogar anstößig. Es wird Neues aufgezeigt, das manchem Fachsimpler bekannt war, aber es war noch längst nicht „publik“: der Publizist hat es gewagt, Auf- und Abstrich, Haarstrich und Grundstrich daranzuwenden, daß die Wirklichkeit auf einen verständlichen Plan gerückt werde. Heer geht es in diesem Buche um sehr „Christliches“: um Laien und Kleriker, Religion und Fanatismus, um Nationalismus, wie er unter Christen diskutiert wird, um die „kleine“ heilige Theresia und um den heiligen Clemens Maria Hofbauer, um Pfingstwunder, um Ost und West. Und wer endlich einmal etwas über die Arbeiterpriester wissen will, muß hier nachlesen. In einem Aufsatz „Die Wiedergeburt des Vaters“ wird der bedeutsame Befund unserer matriarchalischen Gegenwart sehr positiv angegangen. — Dem Publizisten Heer geht es bei aller Kritik (die treffend scharf ist) und aller Vorsicht (die von der Liebe diktiert ist) um die Wahrheit, die auf unserer Erde ebenso von der Autorität wie vom Gehorsam abhängt. „Ohne eine lebendige, stahlkräftige Autorität kein echter Gehorsam, sondern nur eine erzwungene Unterwerfung .. . Ohne einen lebendigen Gehorsam, ohne diese Hingabe eines freien Menschen, gibt es aber, menschlich gesprochen, auch keine lebendige Autorität. Diese, beiden müssen sich begegnen“ — sagt Heer. Unter diese Einsicht stellt Heer sein Buch und so will es gelesen sein. Wer es so liest, wird stutzig und mild: die Wahrheit läßt sich nicht einsperren, sie will gesehen sein, auch wenn ein „Prophet ohne Amt“ sie verkündet.

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