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Der mühsame Weg vom Reich zu Osterreich

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Wie war das damals? Damals als wir, die nunmehr „in die Jahre gekommenen" Jungen der „Generation von 1945" und die, welche damals vielleicht sogar noch Kinder waren, den Weg vom ,3eich" (genauer gesagt vom sogenannten Dritten Reich national-sozialistischer Prägung) nach Österreich gingen, suchten, fanden?

Auf diese vom Residenz-Verlag gestellte Frage gaben 36 Frauen und Männer, die damals noch jung waren, gar noch in den Kinderschuhen steckten und deren

Namen heute aus den Bereichen der Politik und des Journalismus, aus jenen der Literatur und dem Kunstleben bekannt sind, Antwort. Der Verlagsort Salzburg läßt es verständlich erscheinen, daß die „Westösterreicher" oder jene, die damals in die westlichen Bundesländer geflüchtet waren oder dort aus der Wehrmacht entlassen wurden, stärker vertreten sind, als die, welche in Wien beziehungsweise in Niederösterreich die rot-weiß-roten Fahnen erblickten, zum Teil sogar selbst hochzogen.

Der geographische Schwerpunkt hat möglicherweise mit dazu beigetragen, daß in dankenswert offenherzigen Wortmeldungen jener Teil unserer Mitbürger stärker zu Wort kommt, denen damals zunächst eine Welt unterging und nicht so sehr ein Vaterland wiedergeboren wurde.

Dementsprechend unterrepräsentiert sind auch jene — und es waren gar nicht so wenige —, welche auch vor 1945 „österreichisch" gefühlt hatten. Ein Fritz Molden oder Friedrich Heer scheinen mir - wenn man die zur Emigration gezwungenen nicht in Rechnung stellt - zu wenig. Der Rezensent hätte dem Verlag bzw. dem Herausgeber Jochen Jung gerne mit einer ganzen Liste von nicht unbekannten Namen dienen können.

Apropos: Friedrich Heer. Ja, ein entschiedenes Ja zu seiner Feststellung, die Situation 1945 betreffend: „Es lag doch Hoffnung in der Luft, viel Hoffnung -. Hoffnung auf die Bildung eines offenen Österreich. Begierig wurde versucht, einen Nachholbedarf zu stillen. Also: die Dichter, Schriftsteller, Denker Frankreichs, Englands, Amerikas hereinzuholen, in ihren Werken zumindest, als Geburtshelfer für ,die Neue Zeit*. Es gab in diesen ersten Nachkriegsjahren echten Enthusiasmus, Ergriffenheit, den Willen, alle Impulse aufzunehmen, die man erhalten konnte. Begegnung von Menschen, die wenige Jahre später sich nicht mehr trafen, auf der Straße abgewandten Gesichts vorübergingen" (S. 174).

Nein, eine entschiedenes Nein jedoch zu seinem nicht nur ungerechten, sondern auch falschen , Urteil über die österreichische Journalistik in der ersten Dekade der Zweiten Republik: „Eine scheußliche Presse, kulturfeindlich schon von ihrem Chefredakteur her" (S. 171).

Hätten wir nur heute noch diese „scheußliche Presse" in ihrer bunten Vielfalt und in ihrer Kunst auch der geistigen Auseinandersetzung. Hätten wir noch „Wort und Wahrheit", „Plan", „Silberboot", „Turm" — die Liste könnte fortgesetzt werden! Hätten wir aber auch nur noch einen „Ubervater" Friedrich Funder in der FURCHE und auch einen jungen Redakteur Friedrich Heer, der in der Eingebundenheit dieser Redaktionsgemeinschaft damals seine beste Zeit hatte! Warum dieser „Verdrängungsmechanismus" und—Hand aufs Herz— auch diese Undankbarkeit?

Der beste und eindruckvollste Beitrag des vorliegenden Sammelbandes: Gerd Bachers offenes und ehrliches Bekenntnis seiner „Entdeckung" Österreichs. Der unnötigste: Helmut Qualtingers „Erinnerungen". Sie betreffen einen Koffer voll pornographischer Aufnahmen, den ein dubioser Freund zurückgelassen hatte und dessen Inhalt anscheinend auf dem - pubertierenden „Quasi" stärksten Eindruck inmitten einer Zeit großer Not, aber auch großer Hoffnungen gemacht hat.

Der Weg „Vom Reich zu Österreich" war aber doch eine zu ernste und eine zu blutige Angelegenheit, als daß man sich dabei Kabarettisten als Wegweiser anvertrauen hätte können. ,

VOM REICH zu OSTERREICH. Kriegsende und Nachkriegszeit erinnert von Augen- und Ohrenzeugen. Hrsg. von Jochen Jung. Residenz-Verlag, Salzburg 1983. 280 Seiten, 40 Abb., brosch., öS 225.-.

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