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Max von Hussarek

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Die Staatslehre des Bischofs von Hippo, wie er den heiligen Augustinus bei seiner Vorlesung in den ersten republikanischen Semestern an der Wiener Universität zu nennen pflegte, war die Grundlage seiner Staatsbetrachtung. Der Staat ist als irdische Einrichtung nach den Bedürfnissen des Diesseits zu gestalten, aber es darf dabei nicht vergessen werden, daß dieser irdische Staat nicht den Beruf vergessen darf, dem der Mensch am Ende seiner Tage zueilt: dem Jenseits. Eine Harmonie der realen Bedürfnisse des geistigen Wollens, des seelischen Strebens muß daher das Ziel aller Staatsgestaltung sein.

Diese Harmonielehre blieb mir lebhaft in Erinnerung von der ersten Vorlesung, die ich bei Hussarek hörte. Einige Dutzend meist älterer Hörer, hatten wir uns zu dieser ersten seiner Nachkriegsvorlesungen eingefunden. Uns zog weniger das Thema an als die Persönlichkeit, allerdings auch diese kannten wir nicht. Wir wußten nur, daß es ein ehemaliger kaiserlicher Ministerpräsident sein wird, der vom Katheder herab zu uns spricht, und wenn auch in unseren noch sehr jugendlichen Seelen ein bewegter Republikanismus rauschte, so zog uns doch das hohe kaiserliche Amt des zu erwartenden Lehrers an. Bald verdichtete sich dieses oberflächliche Interesse zu einem tieferen und ernsteren, als die hohe, ragende, wuchtige Gestalt Max Hussareks, Ritter von Heinleins, am Katheder erschien. Das breite, runde Gesicht, aus dessen rosiger Frische trotz des vorgeschrittenen Alters seines Trägers lebhafte, glänzende Augen leuchteten. Die Stimme enttäuschte uns. Sie erschien uns für diese Gestalt zu schwach, zu wenig durchdringend. Kaum aber drohte sie unser Ohr ermüden zu lassen, da packte uns der Geist, der in den Worten stak, die von diesen breiten sokratischen Lippen flössen. Denn Hussarek war hinübergeglitten auf eine hochaktuelle Frage: auf das Werden des österreichischen Staates. Und jetzt waren wir Gefangene seiner Rede, denn der berufenste Interpret des kaiserlichen Manifestes vom 16. Oktober 1918 „An meine österreichischen Völker“ gab eine Darstellung der Pläne, die er als Ministerpräsident Kaiser Karls entwickelte.

Es liegt über diesem getreuen Sohn und Anwalt des Hauses Habsburg die gleiche Tragik wie über dem habsburgischen Reich des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Lang Erkanntes wird zu spät begonnen und scheitert an dieser Verzögerung. Wie anders hätte sich die Geschichte Mitteleuropas gestalten können, wäre er früher an die Macht gelangt, hätte er seine Pläne früher deuten dürfen.

Geboren als Sohn eines Feldmarschallleutnants am 3. Mai 1865, wurde er, noch nicht dreißigjährig, außerordentlicher Professor des Kirchenrechtes an der Wiener Universität. Er wird zwar 1911 kaiserlicher Minister und bleibt es in den Kabinetten Stürgkh, Körber und Clam-Martinic, aber er bleibt auf das Fachgebiet beschränkt, in dem er als Beamter seine Laufbahn genommen hat. auf das Unterrichtsministerium, wo er zwar insbesondere in der Kultusverwaltung dem Staate wie der Kirche wertvolle Dienste leistet, aber seine konstruktiven politischen Gedanken kann er neben dem autokratischen Stürgkh ebensowenig entwickeln wie neben dem routinierten liberalen Körber oder dem bedeutungslosen Grafen Clam. Wiederum wird er zur Verkörperung eines Stückes Tragik des katholischen Österreichs. Der katholische Staatsmann wird erst an die Führung gelassen, als das Staatsgefüge schon unrettbar zerrüttet war. Nur der Idealismus seines jungen kaiserlichen Herrn — und man ist versucht zu sagen, die wuchtige Gewalttätigkeit seiner kräftigen Person — lassen ihn einen letzten Versuch zur Rettung des Reiches unternehmen. So entwirft er das kaiserliche Manifest und fordert in ihm: „ ... daß nunmehr ohne Säumnis der Neuaufbau des Vaterlandes auf seinen natürlichsten und daher zuverlässigsten Grundlagen in Angriff genommen wird . .. Österreich soll dem Willen seiner Völker gemäß zu einem Bundesstaate werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet“; bei allen deutschen Parteien findet er dafür Verständnis. Die ersten, die seine Ideengänge annehmen, nicht nur annehmen, sondern sie sogar schriftlich als Grundlage für ein gemeinsames politisches Handeln den anderen Parteien gegenüber formulieren, waren die deutschösterreichischen 'Sozialdemokraten, deren damaliger Führer, Dr. Viktor Adler, am 4. Oktober 1918 der gemeinsamen Beratung der Deutschnationalen, der Christlichsozialen, der deutschen Sozialdemokraten und der Wiener Freiheitlichen eine Resolution vorlegte, in der die Bereitwilligkeit ausgesprochen wird, „mit den Vertretern des tschechischen und südslawischen Volkes über die Umwandlung Österreichs in eine Föderation freier nationaler Gemeinwesen zu verhandeln“. Die verständnislosen Gegenspieler Hussareks waren nicht die deutschösterreichischen Marxisten und nicht die heimattreuen Slawen. Die Südslawen hielten Verbindung mit dem Slowenen Korosec, der mit Dr. Sei-pel in Fühlung war, um ähnlichen Gedankengängen dienen zu können, und auch manche Führergestalt der Tschechen, die in Prag geblieben waren, wäre zu gewinnen gewesen. Leider starrten in Ungarn alle auf den magyarischen Zentralismus und zwangen Hussarek, in das kaiserliche Manifest den Satz einzubauen, daß durch die Neugestaltung „die Integrität der Länder der heiligen ungarischen Krone in keiner Weise berührt wird“, und machten dadurch die Bemühungen Hussareks von vorneherein zunichte. Selbstverständlich brausen die im Ausland befindlichen Tschechen unter der Führung Masaryks gegen den Plan auf, denn sein Erfolg hätte die Vernichtung ihrer vierjährigen Auslandsarbeit bedeutet.

So scheitert Hussareks großangelegter staatsmännischer Versuch, und sein kaiserlicher Herr verliert Krone und Reich. Mitteleuropa aber stürzt in den Abgrund, dessen Tiefe 1918 noch nicht ermessen werden konnte.

Hussarek war als Staatsmann gescheitert und gebrochen, aber er gab es nicht auf, als Schriftsteller Zeuge der historischen Wahrheit zu sein und in zahlreichen Veröffentlichungen, die er in der „Reichspost“ und in tien Wochenschriften „Das Neue Reich“ und „Schönere Zukunft“ schrieb, Wegweiser auf neuen Bahnen zu sein. In dieser Zeit kam ich näher mit ihm in Fühlung. Ein Zufall brachte ihn (er stieg bei der Paulanerkirche zu) in der elektrischen Bahn Wien—Baden neben mich zu sitzen. Ich las vertieft gerade an einem seiner Aufsätze im „Neuen Reich“, den ich gründlich mit Rot- und Blaustrichen zur Unterstützung meines Gedächtnisses bearbeitete. Da entdeckte ich, daß mein Nachbar mein ehemaliger Lehrer an der Universität war, und er ertappte mich bei meiner krit'schen Lektüre seiner Veröffentlichung. So kamen wir ins Gespräch. Von da an unterhielt er sich auf vielen solcher Fahrten mit mir, dem damals noch mehr als jugendlichen Politiker. Immer blieb er dabei der denkbar gütigste Mensch, der zwar aus seinem reichen Born der Erfahrung mich willig beschenkte, aber niemals auch meinen freimütigen und rückhaltlosen Äußerungen gegenüber lehrhaft wurde. Ein gütiges Geschick erließ ihm, das Unglück zu erleben, das uns betroffen hat. Das Rad der Geschichte können auch die gewaltigsten Arme nicht zurückdrehen. Eine kluge mitteleuropäische Jugend aber wird sich seiner Ideen zu erinnern wissen, um aus.ihnen das zu gewinnen, was trotz der Trümmer, die heute Mitteleuropa bedecken, auch noch für künftige Geschlechter wissenswert und verwendungswürdig erscheint.

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