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Eingebremste Parteifreiheit

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Die Einlieferung des Bundespräsidenten in die Universitätsklinik (zu Professor Deutsch) hat die Gerüchte-börse in eher übler und taktloser Weise in Gang gebracht und dies hat vorerst dazu geführt, daß Uber-legungen über eine Vertretung des Präsidenten diskutiert werden. Hinsichtlich der Kandidaten für den Fall eines Jonas-Rücktritts zeichnen sich die Linien der beiden Großparteien klar ab: Die SPÖ wird den parteilosen Außenminister Rudolf Kirchschläger aufstellen, die ÖVP legt sich auf Herrmann Withalm fest. Die Freiheitlichen passen.

Die SPÖ ist dem politischen Gegner, was die Wahlvorbereitungen anlangt, meilenweit voraus. Sollte ein Wahlkampf bereits in den nächsten Monaten fällig werden, hätten die Sozialisten sogar den Vorteil, daß sie für eine Partei-Werbekampagne ohnedies bis Ende Mai eine Unzahl von Plakatflächen in ganz Österreich gemietet haben, die sofort für das Afflchieren eines Kirchschläger-Konterfeis freigemacht werden könnten. Das Studium der Diskussion, wer außer Kirchschläger noch als SPÖ-Kandidat in Frage käme, ist allerdings nach Salzburg wieder etwas offener. Dagegen gibt es in der ÖVP noch immer andere Namen außer Withalm, die ins Spiel gebracht werden. Da spricht man nach wie vor vom Innsbrucker Bürgermeister Lugger und als neue Variante ist der Salzburger Landeshauptmann Lechner nach seinem Sieg bei den Landtagswahlen aufgetaucht.

Bei all dem darf nicht übersehen werden, daß der Bundespräsident immerhin die Regierung ernennt. Er könnte theoretisch diese oder jene Variante einer Koalition befürworten oder ablehnen. Die in dürren Worten gehaltenen Bestimmungen der Bundesverfassung schließen auch eminente Einflußmöglichkeiten ein.

Vor allem aber steht nirgends geschrieben, daß der Bundespräsident alles das gutheißen muß, was von der Regierung beschlossen wird — oder, daß es keinen Ausweg mehr gibt, wenn sich Verhandlungen in einer Koalitionsregierung festgefahren haben; oder für den Fall, daß das ganze parlamentarische Gefüge ins Wanken kommen sollte, weil die Parteigegensätze unüberbrückbar erscheinen. Der Bundespräsident kann den Bundeskanzler oder sogar die gesamte Bundesregierung aus ihren Geschäften entlassen. Nicht nur, daß er ferner auch die Republik Österreich nach außen vertritt, also eine völkerrechtliche Position innehat, ist er Oberbefehlshaber des Bundesheeres mit all der Tragweite dieser Position.

Hat man dies alles erst einmal nur flüchtig bedacht, so zeigt sich die Diskussion um eine Vertretung des Bundespräsidenten oder um einen eventuellen Amtsverzicht durch ihn selbst in einem neuen Licht. Die Bestimmungen der Verfassung über die Vertretung sind eigentlich nur dann praktikabel, wenn die Verhinderung nicht länger als 20 Tage dauert. Dann nämlich ist der Bundeskanzler Ersatzmann. Dauert die Vertretung aber länger als 20 Tage, muß ein Bundesgesetz beschlossen werden, in dem die Vertretung geregelt ist. Diese Formulierung ist nach Auffassung mancher Juristen zugleich der Schlüsselsatz dafür, daß der Bundespräsident keinen Amts-verziicht leisten kann.

Im konkreten Fall dürfte mit einer längeren Verhinderung von Bundespräsident Jonas auf jeden Fall zu rechnen sein, da Bundeskanzler Kreisky bereits die Obmänner der Oppositionsparteien und die Klubobmänner der Parlamentsfraktionen zu einer Besprechung gebeten und mit ihnen die Möglichkeit einer Sondersitzung des Nationalrates in der Karwoche erörtert hat. Derzeit gibt es ein Gesetz aus dem Jahre 1948, in dem generell die Vertretung des Bundespräsidenten geregelt ist. Es besteht aber die allgemeine Auffassung, daß dieses Gesetz verfassungswidrig sei. Verfassungswidrig deshalb, weil es eben eine generelle Regelung enthält, wogegen in den Bestimmungen der Verfassung über die gesetzliche Regelung der Vertretung des Bundespräsidenten vom Einzelfall die Rede ist, für den ein solches Gesetz beschlossen werden müsse. Inwieweit der vom Bundeskanzler gefaßte Plan, die drei Nationalratspräsidenten mit der Vertretung des Staatsoberhauptes zu betrauen, realisierbar ist, mag dahingestellt bleiben. Einer Maxime der Funktion des Bundespräsidenten widerspricht er auf jeden Fall: der Parteifreiheit. Die drei Nationalratspräsidenten haben zwar für die Dauer der Sitzungsleitung (in der Praxis je zwei Stunden im turnusmäßigen Wechsel) und für die Führung der Geschäfte des Präsidiums überparteilich zu agieren, sind aber die übrige Zeit natürlich Mitglied der jeweiligen Parlamentsfraktion und haben das Recht, soferne sie nicht gerade selbst die Leitung der Sitzung innehaben, bei den Geset-zesbesohlüssen mit ihrer Fraktion abzustimmen.

Die Reform dieser Verfassungsbestimmungen über den Bundespräsidenten wäre besonders wichtig und könnte jetzt an Hand der aktuellen Ereignisse ein für allemal überlegt werden.

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