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Das Bundesvolk wird wählen

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Der Nationalrat hat ja gesagt. Die Regierungsvorlage über die von der Verfassung geforderte Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk ist, abgesehen von unwesentlichen Änderungen der Durchführungsbestimmungen, Gesetz. Er war kein lautes Ja, keine freudige Zustimmung. Während der ersten Lesung der Vorlage bemühten sich die Hauptredner, vornehmlich der Regierungsparteien, eine mittlere Linie zu halten. Mit offensichtlicher Bedächtigkeit — das Wort Unschlüssigkeit klänge vielleicht zu hart — wogen sie Argument um Argument und mühten sich redlich, einmal hier, einmal dort ein Gramm in-beide Waagschalen zu legen. Allein die Alternative — verfassungsmäßige Wahl des Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk oder überstürzte Verfassungsänderung als Voraussetzung für einen Wahlgang in der Bundesversammlung — gestattete kein Ausweichen, sondern forderte letzten Endes ein offenes Bekennen, eine klare Entscheidung.

Diese Entscheidung ist nun gefallen. Mit Genugtuung kann vermerkt werden, daß entgegen deutlich fühlbarem Widerstreben das Recht sich durchgesetzt hat. Jene Argumente, die in den Spalten dieses Blattes eine deutliche Interpretation gefunden hatten, waren die stärkeren. Gegen sie, gegen die Bewahrung der Grundsätze unserer Verfassung vor jeder Beugung und allen weitherzigen Auslegungen, mußten sämtliche anderen Erwägungen ins Hintertreffen geraten. Zweifellos ist eine Volkswahl des Staatsoberhauptes im allgemeinen nicht eine unbedingte Forderung der Demokratie und durch eine parlamentarische Präsidentenwahl muß diese keine Minderung erfahren. Aber, wenn eine Verfassung die Volkswahl vorgeschrieben hat und vor dem konkreten Fall der Versuch unternommen wird, dem Volk das Recht auf diese Wahl zu nehmen, müßte man dies als eine Verletzung der Demokratie ansehen. Allein, wir stehen vor einem erfreulichen Ergebnis: dem Sieg des Rechtsbewußtseins und der verfassungsmäßigen Ordnung.

Wenn man die Atmosphäre der Unlust, in der das Hohe Haus die Vorlage für die erste österreichische Präsidentenwahl durch das Volk beriet, zu klären versucht, scheint es gut, sich nicht allein an die gesprochenen Worte, an die klugen Überlegungen und wohlformulierten Bedenken zu halten. Die letzten Gründe dürften tiefer liegen. Zum erstenmal Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk, zum , erstenmal Personenwahl in Österreich! Etwas Neues tritt in die österreichische Politik. Die Bundesverfassung sieht nämlich nicht nur die Volkswahl des Staatsoberhauptes vor, sie kennt auch die Volksabstimmung, das Referendum. Eine Partie unseres staatlichen Organismus, die bisher blutlos geblieben war, füllt sich das erstemal mit Leben. Vielleicht ist die Wahl des Bundespräsidenten nur ein Anfang. Denn darüber besteht kein Zweifel: die direkte Volkswahl ist populär. Sie ist ein Gedanke, der gerade nach der Renaissance der Demokratie in Österreich eine große Anziehungskraft auf weite Kreise der Bevölkerung und hier vor allem auf die nicht leicht in alte politische Gedankenbahnen sich einfügenden jungen Menschen dieses Landes ausübt. Große Hoffnungen knüpfen sich an sie. Kein Zweifel aber auch, daß die österreichische Innenpolitik, der eine Volkswahl neu, ungewohnt und noch nicht erprobt erscheint, noch keine Beziehungen zu ihr gewonnen hat.

Deshalb steht die Idee, die sich kraft ihrer Stärke und Gesetzmäßigkeit durchgesetzt hat, vor einer neuen Schwierigkeit. Gar leicht könnte sie einbezogen werden in die landläufigen Formen der Austragung politischer Meinungsverschiedenheiten. In der Liste der Bedenken gegen die Volkswahl des Staatsoberhauptes waren neben der finanziellen Mehrbelastung des Budgets vor allem die Gefahren eines entfesselten „Wahlkampfes“ vermerkt. Wahlkampf? Muß um die Person des neuen Bundespräsidenten eine Wahlschlacht geführt werden, darf es überhaupt zu ihr kommen? Den Buchstaben der Verfassung wurde durch das Ja des Nationalrates Genüge getan; es wird Aufgabe aller sein, die in diesem Staat Verantwortung tragen, dafür zu sorgen, daß in den kommenden Wochen und Monaten auch ihrem Geist entsprochen wird. Die österreichische Bundesverfassung spricht in ihrem Artikel über die Wahl des Bundespräsidenten nur von Wahlgruppen, die Kandidaten nominieren können. Das Wort Parteien sucht man vergebens. Mit Recht. Präsidentenwahl ist nicht Nationalratswahl. Man sollte dies von allem Anfang an unterscheiden und davon Abstand nehmen, die Erfahrungen jener Wahlgänge überhaupt zu einem Vergleich heranzuziehen. Die Wahl des Staatsoberhauptes ist kein Anlaß zu einer lärmenden Kampagne, zu erhitzten Wortgefechten und leidenschaftlichen Propagandafeldzügen. Die erste Wahl eines österreichischen Bundespräsidenten durch das Volk muß ein vorbildlicher Akt der Demokratie sein. Hier könnte gezeigt werden, daß die österreichische Politik sich nicht nur in eingefahrenen Geleisen bewegt, sondern daß sie imstande ist, einen neuen, beispielhaften Stil zu prägen...

Die kommende Volkswahl erfordert von den großen Parteien nicht nur einen Schritt auf propagandistisches Neuland. Diesmal ist alles ganz anders. Es geht um keine Standesvertretung, nicht um die Interessen als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, von Stadt oder Land. Es gilt vielmehr, den Mann zu bestellen, der als Oberhaupt eines kleinen Staates in das Zimmer Maria Theresias einziehen soll. Eines allein muß gefordert werden, daß er in seiner Amtsführung über den Parteien steht, daß es ihm gelingt, im Ringen der Parteien die Kraft zu sein, die immer zusammenführt. Und der damit nicht nur die parlamentarische Arbeitsfähigkeit, sondern die Sicherheit unseres Staates garantiert, soweit dies überhaupt aus , österreichischen Energien geschehen . kann. Es gibt solche Männer unter unsl

Wahlgruppen, nicht Parteien nennt die Verfassung. Keine bessere Wahlgruppe wäre zu wünschen als.die aller staatserhaltenden Kräfte. Wenn es gelingen sollte, alle, die sich zu der großen Vergangenheit, zu der harten Gegenwart und zu einer freien selbständigen Zukunft dieses Landes bekennen, auf einen Mann zu einigen, dann kann es sein, daß auf seine nüchterne Tagesarbeit etwas von dem Schimmer fällt, den seine Arbeitsräume in der Hofburg zu Wien auch heute noch ausstrahlen.

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