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Das Staatsoberhaupt

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Für die moderne Staatsrechtslehre ist das Staatsoberhaupt nicht einmal das, sondern nur eines der höchsten Staatsorgane; selbst in der Monarchie sei zwar der Monarch durch äußere Abzeichen, Wie Krone, Szepter, das Zeremoniell der Hofhaltung und dergleichen, durch einen Ehrenvorrang und historisch-traditionelle Verehrung und Achtung unterschieden, im Bereich der normativen Ordnung aber, in der Gesetzgebung bei der Ausübung des Sanktionsrechts, in der Verwaltung durch das Erfordernis der Gegenzeichnung durch einen Minister sei selbst der Monarch nur als eines der höchsten Organe des Staates neben andere gestellt. Jedes keinem Dienstbefehl eines anderen Staatsorganes unterstellte Staatsorgan ist für diese wissenschaftliche „...Doktrin ein höchstes. In der nüchternea Staatsform der Republik kommt daher der Persönlichkeit dessen, der .das Amt des Staatsoberhauptes innehat, eine ganz besondere Bedeutung zu. Mit seiner politischen Begabung, mit seinem menschlichen Wesen, mit seinem allgemeinen Wissen, mit seiner Lebenserfahrung, mit seiner persönlichen Kultur bestimmt der Träger des Amtes des Staatsoberhauptes die politische Bedeutung dieses, Amtes, das Vertrauen des Volkes zum ersten Repräsentanten des . Staates, schafft das Maß der Anerkennung und Würdigung im In- und Ausland, meistert die im Lebensablauf der Staatsgemeinschaft auftauchenden Probleme und charakterisiert den Kulturstand des Staates.

Gemeinhin sind diese Einsichten fremd geworden; der Staat ist uns ja trotz Demokratie und Volkssouverähität ein selbständiges Wesen geworden, von dem man sich, wenn man kann, am besten weitestgehend fernhält und zurückzieht. — Als der Staat noch eine bewußte, lebendige Gemeinschaft aller war, die voll genommen werden wollten, die im wahrsten Sinn des Wortes Vollbürger waren, zum Beispiel in der griechischen Polis, dem Stadtstaat des antiken Hellenentums, da war das Staatsoberhaupt nicht bloß höchstes Vollzugsorgan der Staatsgemeinschaft, des Gemeinwillens der Bürger, sondern es war auch Repräsentant des Volkes, Vertreter und Mittler der Kultgemeinschaft. Das Staatsoberhaupt war auch der höchste Priester der Polis. Als man aber Neuerungen traf und das Königtum beseitigte, echuf man ein oberstes Staatsorgan, das seine priesterliche Würde fortzusetzen hatte, den Archont Basileus — denn den Göttern gegenüber scheute man sich, eine Änderung vorzunehmen. Die Bestellung eines sichtbaren Oberhauptes selbst war ja schon ein Akt des Laizismus. Solange das Volk Israel sich in der Gnade des Herrn fand, kannte es keinen König. Als es aber nach ihm verlangte, sprach der Herr zu Samuel: „Gehorche der Stimme des Volkes!“ (Könige I. 8, 7.) So bestellen die Völker ihre Staatsoberhäupter, wenn sie der angestammten und in ihr Amt hineingeborenen entbehren.durch Wahl. „In solchen Fällen werden die Staatslenker durch den Willen und das Urteil des Volkes bestimmt. Durch eine solche Wahl wird der Leiter bezeichnet — die Rechte der Leitung aber werden ihm nicht gegeben: es wird nicht die Herrschaft übertragen —, sondern es wird nur der bestimmt, der sie führen soll.“ (Leo XIII., „Diuturnum illud“ vom 29. Juli 1881.) Denn die Herrschaft selbst steht bei Gott und wird von Gott gegeben!

So bedeutungsvoll, so wichtig und so heilig ist die Bestellung des Staatsoberhauptes. Nur nach sorgfältiger Prüfung der Persönlichkeit darf der verantwortungsbewußte Mensch, besonders der Christ, an diese Bestimmung „dessen, der sie führen soll“ schreiten. Das Recht der Wahl des Staatsoberhauptes, das in den modernen demokratischen Republiken häufig dem Volk eingeräumt erscheint, ist daher nicht irgendeines der „subjektiven Rechte des Staatsbürgers“ unter einer Reihe anderer, sondern es ist das höchste, das erhabenste. Es erfordert soviel sittlichen Ernst und seine Ausübung so hohe moralische Besonnenheit, daß es mehr als eine Pflicht denn ein Recht erscheint. — Jeder, der an dieser Bestimmung teilnimmt, ist für das,was er tut, in erhöhtem Maße nicht nur vor der Gemeinschaft und seinem Gewissen, sondern auch vor Gott verantwortlich, denn sein Tun bestimmt nicht bloß sein, sondern unter Umständen das Schicksal der Gesamtheit der Staatsbürger. Es ist kein Zufall, daß manche — auch die österreichische — Staatsverfassung für diesen Akt der Teilnahme an der Staatswillensbildung Teilnahme-p f 1 i c h t vorschreibt. Diese Bestimmung ist keine Spitzfindigkeit parteipolitischer Überlegung, kein schlauer Winkelzug verschlagener Wahlgeometrie, sondern die Wahlpflicht bei der Bestellung des Staatsoberhauptes ist ein lautes Bekenntnis des tiefsten sittlichen Ernstes des staatspolitischen Denkens.

Wer diese Pflicht leicht nimmt, seine Stimme bei der Wahl des Staatsoberhauptes gedankenlos, einfach der gewohnten politischen Neigung folgt oder einem Gefühl des Mißmuts nachgibt, oder gar experimentierend vertrödelt, handelt in höchstem Maße gemeinschaftswidrig, töricht und sittlich verwerflich. Es hat keiner das Recht, dem Staat gegenüber gleichgültig zu sein, daher hat auch keiner die Befugnis, sein Gewissen mit dem bekannten oberflächlichen: Auf mich wird's nicht ankommen! zu beschwichtigen.

Als die Frage der gesetzlichen' Neuordnung der Wahl des Bundespräsidenten im Jahre 1929 Gegenstand der allgemeinen öffentlichen Erörterung war, schrieb Dr. Ignaz Seipel: „Das Ziel der Präsidentenwahl ist, den repräsentativsten Mann seines Volkes an die Spitze des Staates zu bringen. Wo werden die repräsentativen Männer zu finden sein? Ich denke: unter den Politikern, denn diese kennen den Staat und den staatlichen Apparat und haben am ehesten ihre Beziehungen zu den verschiedenen Gruppen im eigenen1 Land und zu den Politikern der 'andern' Staaten.“ („Der Kampf um die österreichische Verfassung“, S. 208.) Und weil Dr. Seipel ein objektiv denkender, in wissenschaftlicher Betrachtung geschulter Mann war, sucht er auch nach anderen Bevölkerungsschichten, aus denen das Staatsoberhaupt erfolgversprechend genommen wer-könnte. So verweist er auf Männer der Wirtschaft und des Geisteslebens. Aber selbst ihm, dem scharfsinnigen Beobachter, fällt als Grund für den Wirtschaftsmann nur das blasse „weil auf der Wirtschaft auch das politische Leben und das des Staates beruht“ ein. Und bei den Gelehrten — er war selbst einer, bewegte sich viel unter solchen und kannte nur allzugut gerade die Einseitigkeit mancher, die in ihrem Fach besonders hervorragten — sieht er sich daher gezwungen, sofort den Kreis recht eng zu ziehen und zu sagen, „unter den großen Gelehrten wären wieder jene, die sich mit Volk und Staat selbst, mit ihrem Redht, mit ihrer Wirtschaft und mit ihrer Geschichte wissenschaftlich beschäftigt' haben, in Erwägung zu ziehen“. Das heißt aber nichts anderes als: dem den Dingen auf den Grund sehenden Soziologen Seipel erscheint ein Theoretiker der Politik, dem praktischen, erfahrenen Staatsmann nur ein Mann der praktischen politischen Erfahrung als geeignet, an die Spitze des Staates zu treten.

Wie denn auch anders? Was nützte etwa größte Fachlehrsamkeit auf einem völlig vom öffentlichen Leben abseits liegenden Gebiet, wenn der betreffende Kandidat vielleicht noch nicht einmal die Staatsverfassung aufmerksam gelesen hat und sich etwa erst künftighin von .seiner Kabinettskanzlei über die Rechte seiner Prärogative als Bundespräsident von Fall zu Fall belehren lassen müßte? Es heißt doch arg die Urteilskraft der Bevölkerung beeinträchtigen, wenn man ihr einredet, das Amt des Staatsoberhauptes solle unpolitisch sein. Sicher, der Bundespräsident soll über den politischen Parteien stehen, er 6oll sein Amt als Wahrer der Interessen des ganzen Volkes ausüben und soll frei sein von parteipolitischen Bindungen. Aus diesem Grunde schied Altbundespräsident Miklas aus der Christlichsozialen Partei nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt aus.

Ein Kandidat aber, den eine Partei aus dem politischen Nichts auf den Schild hebt, muß dieser Partei viel mehr verhaftet und verschrieben bleiben, denn ehedem-war er eben politisch nichts, und was er ist, verdankt er ihr.

Freilich, Staatsoberhaupt sein heißt, eine schwere Aufgabe übernommen zu haben. Keinem bleibt es erspart, eat-täuscht zu werden, keinem erweisen sich alle, denen er sein Vertrauen schenkt, auch dessen würdig. Die Verbundenheit mit der bisherigen Umgebung geht naturgedrungen allmählich verloren. Berater drängen sich auf, finden sich ein und müssen angenommen werden, die nicht immer Gutes wirken. Aber der Wirkungskreis des Staatsoberhauptes ist weit und vielseitig. Das verbraucht und zersplittert den Mann. Dennoch muß er in allen Situationen über den Dingen stehen, sich ihrer mächtig erweisen und sie meistern.

Mag ihm politische Kenntnis, Routine, Allgemeinwissen sein Werk sehr, sehr erleichtern: in der Stunde der wahrhaften Prüfung wird sich der Mensch im Staatsoberhaupt bewähren müssen. Und dieser Mann muß getragen sein von jener Kraft des Mannes, die ihn in Stunden der Not handeln läßt, entschlossen, festen Zieles und selbstsicher; und unter Umstämden hart handeln läßt. Diese Eigenschaften kann nur ein großer Charakter verleihen. Voraussetzung allen Charakters aber ist eine tiefgründige und von Jugend auf gelebte und gesicherte Weltanschauung.

Ob e* der marxistische Materialismus und ein gewisser bürgerlicher Freisinn wahrhaben wollen oder nicht, Österreichs Volk ist seiner Geschichte, seiner Tradition, seiner Kultur entsprechend ein christliches Volk. Nur der wird die Voraussetzungen mitbringen, die Österreichs Volk von einem Staatsoberhaupt fordert, der aus dem vollen Born der christlichen Weltanschauung zu schöpfen vermag.

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