6699543-1963_22_03.jpg
Digital In Arbeit

Staatsoberhaupt ohne Podest

Werbung
Werbung
Werbung

Die jüngste Wahl des österreichi sehen Bundespräsidenten bot Anlaß zu Erörterungen verschiedenster Art. Außer Tagesfragen wurden auch Probleme von grundsätzlicher Bedeutung behandelt, die nunmehr — da der Wahlkampf zurückliegt — eine leidenschaftslose und eingehende Überlegung verdienen. Sind doch Stellung und Wahl des Staatsoberhauptes in einer Demokratie völlig verschieden gegenüber Art und Weise der Staatsführung in anderen Regierungsformen.

Unwillkürlich wird auch der Bürger eines demokratischen Staates ein Staatsoberhaupt wünschen, das, über den Parteien stehend, den staatlichen Gesamtwillen verkörpert, ja, das überhaupt erst die zusammenfassende Kraft gegenüber den das Volk zerklüftenden Spaltungen in Parteien, Interessenverbände, Weltanschauungsgruppen, Klassen und Stände zum einheitlichen „Staatsvolk“ darstellt. Die politischen Wissenschaften weisen allerdings schon lange darauf hin, daß vor allem die Parteifeindlichkeit und die Betonung des Gegensatzes zwischen den politischen Parteien einerseits und dem Staate anderseits häufig einer schlecht verhüllten Feindschaft gegen die Demokratie oder zumindest einem schwerwiegenden Mißverstehen ihres Wesens entspringt. Das Ideal eines über allen Gruppeninteressen stehenden überparteilichen Gesamtinteresses, einer Interessensolidarität aller Bürger ohne Unterschied der Weltanschauungen, Klassen- oder Ständezugehörigkeit, erweist sich überall als eine metapolitische Illusion.

So muß es wirklich zu denken geben, daß beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika mit größter Selbstverständlichkeit die Wahl des Präsidenten als parteipolitische Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern hingenommen wird. Dort scheint es auch keine größeren Schwierigkeiten zu bedeuten, wenn sieh ein amtierender Präsident um seine Wiederwahl bemüht Ganz anders ist hierzu die Einstellung in unserem Lande. Das beginnt schon mit den nicht immer sehr glücklichen Tarnungsversuchen, jeden Bewerber möglichst als „überparteilichen Kandidaten“ zu präsentieren. Dazu wird die Autoritätsgläubigkeit der breiten Öffentlichkeit gebraucht beziehungsweise mißbraucht; denn welches Gewicht kann schon Universitätprofessoren der Naturwissenschaften oder Künstlern beigemessen werden, die auf ihren Gebieten zweifellos Kapazitäten sein mögen, wenn sie politische Empfehlungen geben, diesen oder jenen Kandidaten zum Staatsoberhaupt zu wählen?

Übergewicht und Belastung

Weiter wurde bei uns als störend empfunden, daß sich ein amtierendes Staatsoberhaupt auf Wahlwerbung begibt, wobei dann nicht genau zwischen dem in Funktion befindlichen Bundespräsidenten und dem Kandidaten für die nächste Amtsperiode unterschieden werden kann. Sicher verschafft das Prestige des amtierenden Staatsoberhauptes dem Wahlwerber zunächst ein gewisses Übergewicht; aber es sollte doch nicht ganz übersehen werden, daß anderseits auch die Tatsache einer bereits der Kritik aussetzbaren Funktionsperiode gewisse erhöhte Nachteile mit sich bringen kann. So muß man es etwa konkret dahingestellt bleiben lassen, ob die Wahlwerbung der Österreichischen Volkspartei aus staatspolitischer Verantwortung oder aus Ver-

sehen zum Beispiel den Fall Graf und Stift nicht aufgegriffen hat, obwohl die Funktion des Bundespräsidenten als Garant der Verfassungstreue und Rechtssfaätlichkeit in eben dieser Wahlwerbung eine große Rolle spielte.

Unbefangen, aber nicht unpolitisch

Schon im Jahre 1929 hat Kelsen zu diesen Problemen Stellung genommen und unter anderem treffend bemerkt: „Gerade weil die Demokratie als Parteienstaat den Gemeinschaftswillen nur als Resultante des Parteiwillens entstehen lassen will, kann sie auf die Fiktion eines überparteilichen .organischen' Gesamtwillens verzichten.“ Man wird hier allerdings ergänzen müssen, daß es dem demokratischen Staatswesen trotzdem unbenommen bleibt, nach einem möglichst überparteilichen Staatsoberhaupt zu streben. Vielleicht ist hier ein Vergleich aus dem Gerichtswesen angebracht: Auch die besten Richter sind natürlich Menschen, die durch Erziehung, Lebensanschauung, persönliche Erfahrungen und so weiter vorgeprägte Auffassungen besitzen. Immerhin wird verlangt, daß sie im konkreten Fall möglichst „unbefangen“ sind. Nach dieser Unbefangenheit kann man natürlich auch bei der Wahl des Staatsoberhauptes suchen und demnach parteipolitisch nicht sehr exponierten Kandidaten den Vorzug geben. Allerdings bleibt die Tatsache bestehen, daß die Funktion des Staatsoberhauptes eine eminent politische Funktion ist. Dementsprechend werden alle Experimente mit berühmten Gelehrten oder anderen Persönlichkeit als Kandidaten problematisch bleiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung