Österreichs unterschätzter Präsident

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Nach den Turbulenzen unter Thomas Klestil brachte Heinz Fischer Stabilität in das Amt. Österreich bleibt parlamentarisch verfasst. Doch das Wort des Präsidenten hat Gewicht.

Aus dem Arbeitszimmer des Bundespräsidenten im Leopoldinischen Trakt der Hofburg zu Wien ergibt sich ein Blick auf den Heldenplatz und das Heldentor. Dort prangt der Schriftzug: Iustitia fundamentum regnorum, Gerechtigkeit ist die Grundlage des Regierens.

Als amtierender Bundespräsident nutzt Heinz Fischer – wie seine Vorgänger ab 1947 – das kaum veränderte ehemalige Arbeitszimmer von Kaiser Joseph II. Das Staatsoberhaupt kennt den am 1824 eingeweihten Heldentor angebrachten Leitspruch von Kaiser Franz I. Auf die Frage der Besucher aus der FURCHE-Redaktion, ob er denn schon einmal einen Besucher zum Fenster zu führen und darauf hinzuweisen gehabt hätte, antwortete Bundespräsident Fischer voriges Jahr ohne Koketterie und Mienenspiel: Nein, das sei bisher nicht nötig gewesen. Man ist geneigt, ihm zu glauben.

Die Wirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten beruhen eher auf politischer Weisheit denn auf den Paragraphen des Bundes-Verfassungsgesetzes. In den Turbulenzen um das Amt wurde es in den Achtziger- und Neunzigerjahren neu betrachtet und ausgefüllt, wurde die Machtbalance im Dreieck von Parlament, Regierung und Bundespräsident neu austariert, teils mit brachialen Mitteln. Heute steht die Funktion des Staatsoberhauptes vor der Herausforderung, sich nach dem Beitritt Österreichs zur EU und einer Dynamisierung des politischen Lebens teils neu zu definieren.

„Die Institution des Bundespräsidenten ist einerseits sehr stark“, schreibt der Politikwissenschafter Wolfgang C. Müller. Ähnlich urteilt der Jurist und Autor der meisten Werke zum Thema Bundespräsident, Manfried Welan: „Der Bundespräsident ist ein großer Steher, weil er kaum absetzbar ist, weniger als die Regierung.“

Versuch eines neuen Amtsverständnisses

Beide Wissenschafter verweisen auf die 1929 eingeführte direkte Wahl des Staatsoberhauptes. Die Volkswahl gebe ihm eine direktdemokratisch legitimierte Position, ähnlich jener des Parlaments. Der Bundespräsident habe eine lange Amtszeit von sechs Jahren, zudem gegenüber Regierung und Parlament große Machtbefugnisse, habe etwa Bundesminister zu ernennen, könne den Nationalrat auflösen. Wie das Ausüben dieser Macht – beruhend auf einem von 40 Kompetenztatbeständen des Bundespräsidenten im Bundes-Verfassungsgesetz – unterschiedlich enden kann, zeigen die Beispiele von Thomas Klestil (1992–2004 ) und Heinz Fischer.

Als sich Klestil bei der Ernennung eines Verfassungsrichters über die Reihung des Nationalrates hinwegsetzte und den Drittplatzierten ernannte, änderte die große Koalition die Verfassung: Es gibt nur noch einen Vorschlag. Doch als Fischer wegen möglicher rückwirkender Verwaltungsstrafen eine Novelle zur Gewerbeordnung nicht beurkundete, behielt er Recht. Das Gesetz wurde repariert.

Mehr Erfolg hatte Klestil, als er einer kleinen Koalition die Ernennung zweier FPÖ-Minister verweigerte. Damit hat er im parlamentarischen System zumindest für die Phase der Regierungsbildung einen deutlichen präsidialen Akzent gesetzt.

Dennoch war es die Amtszeit Klestils, in welcher die Rolle des Bundespräsidenten etwas aufgewertet, aus ihrer Beschränkung auf „Eröffner, Unterschreiber und Händeschüttler“, so Manfried Welan, herausgeführt wurde. Die Präsidentschaftskanzlei ist technisch aufgerüstet, hat sich als die Jahrzehnte hindurch am schlechtesten ausgestattete administrative Einheit gegenüber den anderen obersten Organen emanzipiert. Der Bundespräsident hat nicht nur einen Adjutanten, sondern Berater für Verfassung, Wissenschaft, Kultur und Internationales. In Angelegenheiten der Administration und des Protokolls ist die Präsidentschaftskanzlei nicht mehr vollständig von Außen- und von Kanzleramt abhängig. Sie hat ein Dutzend organisatorische Einheiten und nahezu 80 Bedienstete.

Dem Bundespräsidenten fehlen dennoch „jene bürokratischen Ressourcen, die notwendig wären, um in großem Umfang materiellen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen“, wie Wolfgang C. Müller unter Berufung auf Manfried Welan meint.

Aus den Buchstaben der Verfassung ließe sich wegen des Ernennungs- und des Entlassungsrechts des Bundespräsidenten gegenüber der Regierung und wegen des Rechts zur Auflösung des Nationalrates eine Tendenz zu einem präsidentiellen System ableiten. Dennoch hat sich, so Welan, das parlamentarische Legitimationsprinzip der Bundesregierung gegenüber dem präsidentiellen gehalten: Die Konvention (Welan), wonach der Bundespräsident nach einer Nationalratswahl dem Obmann der mandatsstärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, blieb wirkungslos, als Wolfgang Schüssel 1999 als Dritter eine Parlamentsmehrheit hinter sich hatte: Er wurde Kanzler, ohne vom Bundespräsidenten einen Auftrag erhalten zu haben.

Neue Rolle in neuen Verhältnissen

Unter neuen Verhältnissen steht das Amt vor einem teils neuen Rollenverständnis. „Die außenpolitische Rolle des Bundespräsidenten ist in den Hintergrund getreten“, sagt Heinz Nußbaumer, Pressechef der Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Thomas Klestil. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union habe sich die Zuständigkeit in der Außen- und in der Sicherheitspolitik „zerbröselt“. Staatsbesuche seien aufwendig, nur mehr Symbolgesten der Freundschaft. Ständige internationale Kontakte in Europa und in internationalen Organisationen sowie Konzernen hätten die Besuche und Reisen mit großen Wirtschaftsdelegationen ersetzt.

In der Innenpolitik hingegen bräuchten Politik und Demokratie den Bundespräsidenten, der sich in einer von Wertedebatten geprägten Zeit klar äußern sollte, wie Nußbaumer meint. Von ihm werde, wie Welan sagt, eine „moralische Autorität“ erwartet, als „Warner, Mahner, Beschleuniger“. Der Bundespräsident sollte als parlamentarisches Staatsoberhaupt die vier Rechte der britischen Krone wahrnehmen: „The right to be informed, to be consulted, to warn and to encourage.“

Man darf von Heinz Fischer annehmen, dass er es so hält. Und dass er es für sich behalten würde, sollte er Besucher an die Grundsätze des Regierens gemahnt haben.

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