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Der Krisenmanager

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Der Bundespräsident tritt in der Tagespolitik wenig in Erscheinung. Aber er steht in einer Bereitschaftsstellung für den Fall, daß das System aus sich heraus nicht arbeitsfähig ist, unlösbare Konflikte auftreten, Regie-rungs- und Staatskrisen entstehen. Dann ist er als „Nothelfer" herausgefordert, die Republik vor Schaden zu bewahren.

Die Pflichten in außerordentlichen Verhältnissen haben Vorwirkungen: Der Bundespräsident muß sich schon in Normalzeiten so verhalten, daß er in außergewöhnlichen Situationen seine Pflicht als Krisenmanager möglichst gut erfüllen kann.

Er soll darauf hinwirken, daß er gar nicht als „Nothelfer" in Erscheinung treten muß. Er muß zu diesem Zweck ständig um Vertrauen werben, vor allem bei der Wählerschaft, den politischen Parteien und bei der Öffentlichkeit.

Der Bundespräsident ist keine Institution der Macht, sondern eine Institution des Vertrauens.

Die Bundespräsidenten der Zweiten Republik brauchten bisher nicht Krisenmanagement zu betreiben. Als Garant der Funktionsfähigkeit des Regierungssystems und als Träger einer politischen Reserveautorität kamen sie niemandem ins Gehege und entsprachen doch dem österreichischen Traum der Sicherheit.

Allerdings zeigt die Staatspraxis, daß die Zurückhaltung auch in ruhigen Zeiten Grenzen hat. Je weniger der Bundespräsident in die Tages- und Staatspolitik eingreift, desto mehr läßt er Raum für andere.

Auch bei Wahrnehmung jener Kompetenzen, die politischen Einfluß auch in stabilen Zeiten ermöglichen, also bei Regierungsbildungen und -umbüdungen, in der Außenpolitik, in Fragen der Landesverteidigung, in der Staatspersonalpolitik, haben die

Bundespräsidenten zurückhaltend agiert.

Daher konnten sich vor allem die Bundesminister und der Bundeskanzler im besonderen zu „most efficient parts" der Verfassung entfalten. Es kann leicht dazu kommen, daß diese nicht nur Regierung, sondern auch Staatsoberhaupt spielen.

Eine solche Entwicklung widerspricht aber der Arbeitsteilung

der Ämter und ist wegen der Konsequenzen problematisch.

Dem Bundespräsidenten obliegt die Wahrung des Staatsganzen, der Kontinuität, der Funktionsfähigkeit des Regierungssystems. Er soll nicht nur Konstitution und Konsens symbolisieren und stabilisieren, sondern auch Krisen vermeiden und lösen helfen.

Das verlangt bewegliche Wachsamkeit und ständige Sorge um und für das Ganze. Das Bedürfnis nach jemandem, der inmitten widerstreitender Interessen unparteiisch über das Wohl des Ganzen wacht, besteht jederzeit. Das Amt des Bundespräsidenten ist dieses besondere Wächteramt.

Mit dem Wächteramt sind Funktionen verbunden, wie sie Walter Bagehot dem Monarchen im parlamentarischen Regierungssystem zuschrieb: „The right to be consulted, the right to encourage, and the right to warn".

Aber der Bundespräsident spricht und handelt nicht als Monarch, sondern als Republik. Er hat die Forderung der Sorge um und für die res publica zu erfüllen (FURCHE 3/1986). Regierung und Opposition sind zu sehr Partei, um diesen Anspruch zu befriedigen, die Massenmedien stehen zu wenig in der Verantwortung, Wissenschaft und Kunst sind zu fern.

Der Bundespräsident gab immer schon außerhalb der Wahrnehmung seiner Zuständigkeit Rat und Hilfe, er mahnte und warnte, ermutigte und ermunterte.

Im Zuge des Strukturwandels der Öffentlichkeit wurde er darüber hinaus zum Rhetor der Republik. Man erwartet von ihm, daß er die Dinge beim Namen nennt. Er wurde zum Sprecher des Volkes, der die Republik zum Reden bringt und durch das Reden zum Nachdenken.

Die relativ große Isolierung von der Auseinandersetzung der Parteien und vom parlamentarischen Willensbildungsprozeß vermindert die politische Wirkung der Worte des Präsidenten nicht, sondern verstärkt sie.

Er soll zwar kein „Oberlehrer" oder „Staatsprediger" sein. Aber in der heutigen Zeit sind manchmal „republikanische Predigten" nicht nur erwünscht, sondern notwendig.

Im Amt des Bundespräsidenten liegt kein praktisch-politischer Führungsanspruch. In ihm liegt aber eine geistig-moralische Herausforderung.

Der Bundeskanzler steht unter dem Druck, erfolgreich sein zu müssen. Der Bundespräsident steht nicht unter diesem Druck.

Gerade deshalb kann er, soll er über die „richtige" Politik nachdenken. Er kann manches richtigstellen und zurechtrücken, was in der Tagespolitik Verwirrung geworden ist. Er kann Standorte der Politik bestimmen, er kann eine Standortbestimmung der Republik geben.

Er darf zwar nicht Richtlinien bestimmen, aber kann Richtungen angeben. Er soll Orientierungen für Österreich suchen und rot-weiß-rote Markierungen setzen.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und OVP-LandUgsabgeordneter und Gemeinderat in Wien.

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