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Der Präsident aus dem Volk

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Bundespräsident Franz Jonas, der am 4. Oktober seinen 70. Geburtstag feiert, ist der vierte Bundespräsident der Zweiten österreichischen Republik. Wie alle seine Vorgänger seit 1945, kommt auch er politisch aus der linken Reichshälfte. Und wie alle seine Vorgänger seit 1945 kommt er herkunftsmäßig aus dem böhmisch-mährischen Raum. Von allen vier Präsidenten ist er der erste Bundespräsident, unter dem nicht nur eine große Koalition die Geschicke des Landes lenkt, sondern die Regierung allein von einer Partei bestritten wird, aus der der Bundespräsident nicht kommt. Alle Befürchtungen, die an diese Konstellation geknüpft wurden, traten nicht ein. Das politische Leben lief auf normalen Bahnen weiter, dank der politischen Reife des gesamten österreichischen Volkes.

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Bundespräsident Franz Jonas, der am 4. Oktober seinen 70. Geburtstag feiert, ist der vierte Bundespräsident der Zweiten österreichischen Republik. Wie alle seine Vorgänger seit 1945, kommt auch er politisch aus der linken Reichshälfte. Und wie alle seine Vorgänger seit 1945 kommt er herkunftsmäßig aus dem böhmisch-mährischen Raum. Von allen vier Präsidenten ist er der erste Bundespräsident, unter dem nicht nur eine große Koalition die Geschicke des Landes lenkt, sondern die Regierung allein von einer Partei bestritten wird, aus der der Bundespräsident nicht kommt. Alle Befürchtungen, die an diese Konstellation geknüpft wurden, traten nicht ein. Das politische Leben lief auf normalen Bahnen weiter, dank der politischen Reife des gesamten österreichischen Volkes.

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Seit Bestand der Zweiten Republik haben die Österreicher konsequent einen Politiker, der der linken Reiohshälfte angehört, zu ihrem Staatsoberhaupt gewählt. Und damit immer wieder der berühmten „balance of power” — dem Gleichgewicht der Macht — zum Durchbruch verholfen. Denn dem Staatsoberhaupt aus der linken Reichshälfte stand bisher immer ein Regierungschef aus der rechten Reichshälfte zur Seite. (Hier soll auch die merkwürdige Tatsache erwähnt werden, daß „linke” Ministerpräsidenten seit 1945 — mit Ausnahme eines kurzen Zwischenspiels in Frankreich — nur in europäischen Monarchien anzutreffen waren.)

Mit dem System Bundespräsident aus der linken Reichshälfte und Bundeskanzler aus der rechten sind die Österreicher sehr gut gefahren und haben durch die Beibehaltung dieses Systems ein erstaunliches Maß an politischer Reife gezeigt, die in der Ersten Republik in solcher Weise noch nicht vorhanden war. Vielleicht wurde durch dieses System Österreich inmitten einer oft chaotischen Welt von vielen Stürmen bewahrt.

Zu dieser Stabilität allerdings haben auch von Renner bis Jonas die bisherigen vier Bundespräsidenten der Zweiten Republik in erheblichem Maß beigetragen. Sobald sie Präsidenten waren, wuchsen sie über ihre bisherige Einstellung hinaus und wurden trotz aller persönlichen Bekenntnisse und Bindungen objektive Staatsoberhäupter der Republik. Doktor Renner drückte dies nach seiner Wahl mit den Worten aus: „Bisher hatte ich nur ein Kind, die SPÖ. jetzt habe ich nach dieser älteren Tochter auch noch eine jüngere, die ÖVP.”

Vielleicht hat zu dieser Haltung auch der genius loci beigetragen, der Geist des Ortes, von dem aus die Präsidenten ihr Amt ausüben. Denn das Arbeitszimmer der Präsidenten der Zweiten Republik war das Sterbezimmer der Kaiserin Maria Theresia. Ganz in der Nähe befindet sich das Arbeitszimmer Josefs II., und der Blick aus der Präsidentschaftskanzlei wandert auf der einen Seite auf den Heldenplatz, bei dessen Anblick der deutsche Außenminister Heinrich von Brentano gerufen hatte: „Das ist Europa” und wandert auf der anderen Seite zu den Arbeitszimmern Kaiser Franz Josephs, über deren Dachfirst das vereinigte Wappen von Österreich und Kastilien thront. Der Aura dieses Ortes kann sich wohl niemand entziehen. Und so ist die josephinische Schlichtheit, die allen Herrschern Österreichs eigen war, auch auf die Bundespräsidenten der Zweiten Republik übergegangen. Aber ebenso auch die Würde, die die echte barocke Welt gegeben hat.

Der Geist dieses Ortes atmet aber auch das Bestreben so vieler Herrscher Österreichs, immer wieder Wege des Ausgleichs zu gehen und alle Kräfte zum Wöhle des Vaterlandes zu vereinen. Der Geist dieses Ortes läßt auch die Bundespräsidenten der neuen Republik diese Wege gehen. Rückblickend kann man vielleicht sogar sagen, wie schade es war, daß Bundespräsident Miklas, dieser so hochachtbare und integere Mensch und Politiker, nicht auch seinen Sitz in dieser Burg genommen hatte. Vielleicht hätte der Geist dieses Ortes ihn in so manchen Situationen noch stärker und widerstandsfähiger gemacht als er es von Natur aus war. Vielleicht wäre er dann im Jahre 1938 nicht zurückgetreten, sondern wäre ins Ausland gegangen, um aller Welt sagen zu können, daß alles, was in Österreich seit Hitlers Einmarsch geschah, illegal ist. Denn er sei der einzige echte Repräsentant Österreichs. Vielleicht hätte er auch dann leichter die Krise des Parlamentarismus überwunden, die 1933 mit dem Rüdetritt der drei Präsidenten des Nationalrates Österreich überfiel. (Denn der Bundespräsident hatte damals die einzige legale Möglichkeit, diese Krise durch Aufhebung des Parlaments und Ausschreibung von Neuwahlen zu meistern.) Um allen Mißverständnissen vorzubeugen: Der Schreiber dieser Zeilen will die Bundespräsidenten der Zweiten Republik in keiner Weise zu heimlichen Monarchen machen. Obwohl anläßlich des Besuches der Königin Elizabeth von Großbritannien von mancher Seite mit Mißvergnügen festgestellt wurde, daß wir am Hofe Franz Jonas’ I. leben und sich das Zentralorgan der linken Reichshälfte in Ausdrücken erging, die am Hofe von Byzanz nicht unüblich waren. Aber niemand kann übersehen, daß in der Seele des Österreichers immer eine Sehnsucht nach barocker Würde und barocker Schönheit lebt. Und daß diese Sehnsucht nichts mit Monarchie oder Republik zu tun hat. Ebensowenig wie die andere Sehnsucht, die in seiner Brust wohnt, die Sehnsucht nach der einfachen josephinischen Welt. Die Synthese dieser beiden Sehnsüchte ist besonders stark in der Hofburg, dem Sitz der Präsidenten, eingefangen. Aber sie strahlt aus dem ganzen Österreich berausi, und so ist es in Wahrheit das ganze Österreich, das diesen genius loci formte, und es ist deshalb nur richtig und spricht für den politischen Instinkt der Bun- despräsidenten van Renner bis Jonas, wenn sie diesem genius looi folgten. Und so ist der 70. Geburtstag des Präsidenten nicht nur ein Augenblick, um ihm persönlich die besten Wünsche darzubringen, sondern auch der Augenblick, um innezuhalten und dankbar zu sein, daß das Geschick der Welt mit Österreich so gnädig ist.

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