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Gedenken

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In unserer traditionskargen Gegenwart ist audi innerhalb der Republiken die Unantastbarkeit des Staatsoberhauptes erhalten geblieben, letzter Schimmer einstigen Gottesgnadentums des Herrscherberufes. Vereinsamt in einer säkularisierten Vorstellungswelt, hält diese Übung den Träger des höchsten Staatsamtes aus dem Parteiwesen heraus, läßt um ihn den politischen Streit verstummen und umkleidet ihn mit einer über der Gemeinschaft stehenden, verbindenden, vermittelnden und beispielgebenden Würde, die zugleich höchste Ehre und Verpflichtung bedeutet.

In diesen Tagen begeht Bundespräsident Dr. Renner seinen 80. Geburtstag: er ist der Erste und der Älteste im Dienste der Gemeinschaft, in ihm spiegelt die österreichische Geschichte dieses Jahrhunderts, er wurde ihr Dolmetsch, Fahnenträger einer großen Staatsidee. Einzelne seiner früheren politischen Schriften zeichnete er als „SynOptikus“, als einer, der die Dinge zusammenzuschauen“, zueinander zu ordnen sucht. Dieses Zusammenschauen, die Vielfalt der Dinge zusammenzufügen, das war die Aufgabe der alten Habsburgermonarchie, des elfgliederigen Völkerstaates, dem zuletzt auferlegt war, aus der dualistischen Reichsverfassung herauszustreben, die kühnlich zwei Minderheiten, in Österreich die Deutschen, in Ungarn eine magyarische Hochschichte, mit der Führerstellung betraut hatte. Aus dieser versagenden theoretischen Konstruktion des Ausgleichs von 1867, aus ihrem Widerspruch zu der inneren Natur des Staates, galt es zurückzufinden zu dem Reichsgedanken, der in dem Kremsierer Versuch und der politischen Literatur um 1860 steckengeblieben war. Der Zusammenschauer, der, solcher Erkenntnis folgend, später unter dem Namen Rudolf Springer mit seinen Schriften um die Formung und Einordnung autonomer nationaler Gestaltungen in die Reichseinheit rang, die politischen Denker und die Diskussionen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts befruchtete, 1905 in dem Rumänen Aurel Po-povici und seinem Werke „Die vereinigten Staaten von Großösterreich“ einen geistesverwandten Bundesgenossen und in Tezner, Wilhelm Schüßler, Wieser, Seipel und anderen literarische Gesprächspartner fand, beeinflußte indirekt in der Fernwirkung seiner Ideen nicht zuletzt auch in gewissem Maße die großen Reichsreformpläne des Thronfolgers Franz Ferdinand und verschiedene diesem vorgelegte konkrete Verfassungsentwürfe.

Der mitteleuropäische Neuaufbau mit dem Herzstück einer Donaugroßmacht ist Konzept geblieben. Das alles scheint heute weit rückwärts liegende Geschichte, begraben in Trümmern, die mit Blut und Tränen, ja den Tränen nach Rettung ausschauender Kleinvölker benetzt sind. Niemand weiß, wie lange diese Baupläne verschüttet bleiben. Es wird die Zeit kommen, wo sie ans .Licht gebracht und, durch ungeheure Geschehnisse bestätigt, der Ausführung entgegengehen werden. Denn die ihnen innewohnende Gerechtigkeit und Wahrheit wird einmal sich durchsetzen.

Der Österreicher, der, heute ein Achtziger, so vieles Gewollte, Erhoffte untergehen sah, ein Sozialist, der in seinem Buche .Österreichs Erneuerung“ der alten Monarchie, wie wenige andere seiner Altersgenossen, gerecht wurde, ist der „Zusammenschauer“ auch geblieben, als das Gefüge des alten Reiches gewaltsam und leichtfertig gelöst worden war und er nach der Katastrophe mit Jodok Fink und Johann N. Hauser 1918/19, in großer Gefahr vor einem schon durch das Land brausenden Umsturz, die gemeinsame Abwehr durch die beiden großen Parteien aufrichtete. Als Dr. Renner an die Spitze der zweiten Republik trat, wurde er abermals und blieb es: Gestalter, Ausdruck, weithin sichtbares Symbol des österreichischen Willens zur gemeinsamen Hinordnung auf das große Ganze des Vaterlandes, um mit gesammelter Kraft dessen Leben und Freiheit zu verteidigen.

Der fremde Diplomat, der den österreichischen Bundespräsidenten besucht, schreitet durch eine Flucht von Zimmern, aus deren altwienerischem Schmuck, ihren Vitrinen, Bildern, Gläsern und Miniaturen noch das Antlitz des alten Österreich lächelt, Erinnerung nicht nur, sondern auch Bekenntnis dessen, der hier wohnt — eines Zeugen für einen auch in

Trübsalen nicht verlierbaren geschichtlichen Beruf Österreichs, Sammler, Mittler getrennter Kräfte zu gemeinsamer Wohlfahrt und Leistung für das Abendland zu sein.

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