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Das Nessoshemd des Unterrichtsministers

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Deianira, Gemahlin des Herkules, machte ihrem Gatten ein Hemd zum Geschenk, das mit dem Blut des Zentauren Nessos getränkt war und das angeblich zauberhafte Kräfte verleihen sollte. Als Herkules das Hemd anzog, erlitt er aber unausstehliche Qualen, und so bestimmte er selbst seinen Tod. Zeus gab dem, was an Herkules nicht vergänglich war, die Unsterblichkeit. Das Nessoshemd ist nicht vergilbt, wie die folgenden Zeilen dartun sollen.

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Deianira, Gemahlin des Herkules, machte ihrem Gatten ein Hemd zum Geschenk, das mit dem Blut des Zentauren Nessos getränkt war und das angeblich zauberhafte Kräfte verleihen sollte. Als Herkules das Hemd anzog, erlitt er aber unausstehliche Qualen, und so bestimmte er selbst seinen Tod. Zeus gab dem, was an Herkules nicht vergänglich war, die Unsterblichkeit. Das Nessoshemd ist nicht vergilbt, wie die folgenden Zeilen dartun sollen.

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Eine Kavalkade der Ideologien, ein Maskenzug des Geistes zieht seit der letzten europäischen Hochkultur, dem Klassizismus, über den Kontinent hinweg. Jede Generation reklamiert ihren besonderen Stil. Dabei werden nahezu alle Gedanken vom Neuplatonismus bis zum Kritizismus reproduziert und Jahrtausende der Formen- und Kulturgeschichte noch einmal eilig durchgegangen. Est ist, als ob sich die Menschen, bevor sie sich endgültig einem Neuen überantworten, noch einmal dessen besinnen, was bisher das Bild des Menschen und den Sinn seines Lebens bestimmt hat.

In diesem Transitorium, das erfüllt ist mit nationalen, sozialen und industriellen Revolutionen, ist die Kultur und die Kulturpolitik von der Unbeständigkeit und dem raschen Wechsel der verschiedenen legitimierenden Ideen am stärksten betroffen. Und so werden an den zahlreichen Bruchstellen der Entwicklung nicht nur die unvollendet gebliebenen Experimente der jeweils abrupt zu Ende gegangenen Ära sichtbar, sondern auch die manchmal tragischen Schicksale derer, die als die Verantwortlichen für die staatliche Kulturpolitik nicht nur administrierten, sondern Grenzen überschritten, vor denen 'andere bisher zurückgewichen waren; Wege gingen, die zuvor nie beschritten worden waren; Ziele aufzeigten, die neue Horizonte eröffneten; und die bei dem Wagnis des Neuen die Tragik der zeitlichen Bedingtheit des Kulturschaffens erleben mußten.

1848, im Jahr der Errichtung des österreichischen Unterrichtsministeriums, tritt die Persönlichkeit des Unterstaatssekretärs Emst Freiherr von Feuchtersieben meteorhaft in Erscheinung. Dekan und Vizedirektor der medizinischen Studien im Vormärz, engagiert für das Neue, das im stürmischen Frühling 1848 die Studenten an die Oberfläche tragen, wird er nach seinem Eintritt in das noch recht unfertige Unterrichtsressort in dessen Bereich der eigentliche Träger jener Reformpläne, die er aus dem 1841 entstandenen liberalen „Juridisch-politischen Leseverein“ mitbringt.

Feuchtersieben entspricht aufs Haar jenem Typus des Gebildeten, der seit der ambivalenten Konfrontation Friedrich Schillers mit der Revolution von 1789 klassisch geworden ist: Da ist zuerst die heiße Sympathie für das Neue, dann die Desorientierung zwischen den Fronten und zuletzt der Abscheu vor der Brutalität des äußeren Geschehens. Im Frühling 1848 fordert Feuchtersieben, es dürften jetzt, da das ganze Volk zur Teilnahme an der Gesetzgebung berechtigt sei, keine Anstrengungen und keine Opfer gescheut werden, um allen den Unterricht zu gewähren, ohne welchen jenes Recht ein Widerspruch wäre. Als aber im Oktober 1848 das Volk zur Verteidigung eben dieses Rechtes auf die Barrikaden steigt, flieht Feuchtersieben entsetzt aus der Stadt. Einsam stirbt er 1849 im Niemandsland zwischen Revolution und Reaktion.

Franz Grillparzer, der Feuchtersieben wie kein anderer nahesteht, gibt dazu dem verständnisvollen Mitempfinden Ausdruck: In „ruhigen Zeiten“ wäre Feuchtersieben der „beste Unterrichtsminister“ gewesen; indes sei er mit etwas in Konflikt geraten, was „seiner Natur rein entgegengesetzt war: der Roheit“. Mag Grillparzer irren, weil es in den ruhigen Zeiten unter keinen Umständen die besten Unterrichtsminister geben kann; zumal die äußerste Bewährung in diesem Amt nur inmitten stürmischer Bewegungen stattfindet; so enthüllt er doch im Nachsatz vollends die menschliche Tragik: Im Grunde, so sagt der Dichter über den politisierenden Arzt und Poeten, sei dieser „vom Geist aus gestorben“.

In dem neoabsolutistischen Transi-torium zwischen der 48er-Revolu-tion und dem Durchbruch des Liberalismus (1859/60) erfüllt sich das Lebenswerk des ersten und größten k. k. Minister für Kultus und Unterricht, Leo Graf Thun-Hohenstein. Wenn von der Ära Thun die Rede ist, dann denkt man heute an die Reform der österreichischen Universitäten im Geiste Wilhelm von Humboldts; an die Lehr- und Lernfreiheit, die eine der Hauptforderungen der 48er-Revolutäon gewesen war und die Thun aus dem Mahlstrom der Reaktion gerissen hat; an die Errichtung vieler Seminare und Institute und 'an die Schaffung selbständiger Forschungseitirichtungen außerhalb der Hochschulen; dann an die Errichtung der achtklassigen Gymnasien und an die sechs- (später sieben-) klassigen Realschulen; an die Neuordnung des Studienganges der Mittelschullehrer an den Universitäten mit anschließendem Probejahr. Dieses jetzt hundertjährige Modell, mit dem die wissenschaftlichen Hochschulen Altösterreichs Weltgeltung erlangt haben ist erst in jüngster Zeit Gegenstand umstürzender Reformbestrebungen geworden. Indes hat Thun schon zeit seiner Ministerschaft das Nessosgewand an: Sein anfänglicher Ruf, er verfolge mitten im Neoabsolutismus eine eher liberale Schulpolitik, geht Thun in dem Augenblick verloren, als er beim Abschluß des Konkordats 1855 als Kultusminister interveniert. Wieder meldet sich Grillparzer zu Wort.

Einen Selbstmord hab' ich euch anzusagen;

Der Kultusminister hat den Unter-richtsminiister erschlagen. Und selbst Metternich, exiliert seit 1848, bringt, freilich vom entgegengesetzten Standpunkt, seine Kritik an: Thun gehe über die Grenzen des eigentlichen Studienwesens hinaus; er erhebe sich „bis zu den schwindelnden Höhen der Reformation der kirchlichen und staatlichen Gebiete“. So ist Thun noch vor der Vollendung seines Werkes durch die ausständige Reform des Volksschulwesens im Kreuzfeuer der Reaktionäre und der Liberalen gefallen. Die Fackeln der Wiener Studenten, die 1859 der Freiheit im Geiste Schillers zu Ehren entzündet werden, leuchten über seinen Niedergang; er scheidet un-bedankt aus dem Amt; am Tage seiner Enthebung löst das siegreiche liberale Regime das Unterrichtsministerium auf und weist die Ressortagenden dem Staatsministerium der Ära Schmerling zu.

Auf dem Friedhof in Bad Ischl erhebt sich über einer Gruft ein Grabstein im neogotischen Stil, auf dem zu lesen ist, daß hier Leopold Hasner Ritter von Artha, Geheimer Rath, und dessen Tochter begraben sind. Offenbar lag es nicht im Sinne des Verstorbenen, auch des Umstan-des Erwähnung zu tun, daß er zu Lebzeiten k. k. Minister für Kultus und Unterricht und nachher k. k. Ministerpräsident, vor allem aber Schöpfer des Reichsvoiksschulgeset-zes 1869 gewesen ist. Hasner, zusammen mit seinem Nachfolger Karl von Strepnayr hervorragendster Vertreter einer Kulturpolitik liberaler Prägung in Österreich, ist auf Grund der Förderung durch den konservativen Thun Universitätsprofessor geworden. Die 1948 zur Zentenarfeier des Unterrichtsministeriums geschriebene Geschichte des Ressorts rechnet die Zeit der Ministerschaft Hasners (1867 bis 1870) zu den „ruhigeren Abschnitten der inneren Entwicklung des Staates“. Ist demnach Hasner der Ressortleiter gewesen, der

„in ruhigen Zeiten“ zu einem der „besten Unterrichtsminister“ geworden ist? 1867, ein Jahr nach König-grätz, ist Österreich nicht mehr jene „katholische Macht“ gewesen, die eine Generation zuvor der norddeutsche Protestant Leopold von Ranke als stabil, voll frischer, unversiegbarer Lebenskräfte und auf Prinzipien gegründet preisen durfte. Dennoch lag es breit und möglich quer über der Straße, die aus dem Aufklärungszeitalter in die Welt von heute führt. Auch der österreichische Liberalismus trägt den Zwiespalt in sich, den Wilhelm Röpke in der Unterscheidung zwischen einem unvergänglichen und einem vergänglichen Liberalismus aufzeigt. Der Konflikt des vergänglichen Liberalismus mit der „katholischen Macht“ schien verhängnisvoll zu werden: In dieser Ära wurde im Hochschulrecht ein Autonomiebegriff entwickelt, wonach die Universität eine dem Staat zugewandte und eine dem staatlichen Einfluß entzogene Sphäre haben sollte. In den Beziehungen zwischen Staat und Kirche hatte die Anwendung dieses Prinzips zur Folge, daß der Staat in innere Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften eingriff. Die liberale Formel „freie Kirche, freier Staat“ wurde also von der staatlichen Kultuspolitik des nämlichen Systems ad absurdum geführt. Nicht der Bruch des Konkordats 1855 im Jahre 1870 (der letzten Endes erst 1961/62 saniert worden ist) blieb als Relikt dieser Zeit, sondern die Vorstellung, nach der es bis in jüngster Zeit nur eine Alternative für die Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche gegeben hat: kritiklose Vermischung oder ängstliche Trennung. Hasners Reichsvolksschulgesetz 1869 war eine der letzten kulturellen Großtaten Altösterreichs von bleibender europäischer Bedeutung: Noch einmal gelang es der supranationalen Ordnungsmacht, bei Wahrung der nationalen Kulturen seiner Völker, das kulturelle West-Ost-Gefälle in Ostmitteleuropa und Osteuropa zu begradigen. Doch nicht darin erkannte man zu seiner Zeit den Staatsmann, der als Geheimer Rat in Bad Ischl begraben ist. In seiner Autobiographie deutet Hasner an, daß es eine unwürdige Priestergestalt gewesen ist, die ihn im Glauben wankend gemacht hat. So schien er für seine „klerikalen“ Gegner hauptverantwortlich für jene infamen und „unchristlichen“ Gesetze zu sein, die zu seiner Zeit verabschiedet worden sind: Ehegesetz, Schulgesetz, interkonfessionelles Gesetz. Auf der anderen Seite haben es die Integralisten unter den liberalen Parteigängern Hasners dem Minister zeitlebens nicht vergessen, daß im Zielparagraph des Reichsvolksschulgesetzes 1869 die religiös-sittliche Erziehung fundamen-tiert worden ist. Hasner schied von üblen Nachreden verfolgt aus dem Amt, um den Auftrag seines Kaisers zu erfüllen und sich in der völlig hoffnungslosen Funktion des k. k. Ministerpräsidenten eines Über-gangakabinietts verbrauchen zu las-

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