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Bundespräsident

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Noch sind die Glückwünsche kaum verklungen und die Ovationen verrauscht, die dem Achtzigjährigen zu seinem Geburtstag aus dem ganzen Lande dargebracht wurden, und schon muß Österreich zur Totenfeier für Dr. Karl Renner rüsten, den ersten Bundespräsidenten der zweiten Republik. Ein jäher Abschied, schmerzlich empfunden, nicht nur im Kreise der Partei, der er angehörte, ein Verlust, den aufzuwiegen nicht leicht sein wird. Wie ein Wahrzeichen steht die Gestalt Karl Renners an der Zeitenwende, an die Vergangenheit erinnernd und in die Zukunft weisend. Schicksalhaftes ist einst um den Sohn der notbedrängten Bauernfamilie der südmährischen Marktgemeinde Unter-Tannowitz vor sich gegangen, der sich als armer Werkstudent den Doktorhut der Wiener Universität erarbeitete, und an nicht wenigem hat der gereifte Mann formend und führend mitgewirkt, Wie ein Vorzeichen dafür ist es, daß der junge Amanuensis aus dem Hausarchiv des Parlamentspalastes des Reichsrats der „vereinigten Königreiche und Länder“, an der zentralen politischen Werkstätte des alten Österreich seinen Weg in die parlamentarische Laufbahn nimmt, seit frühauf tiefbeschäftigt und bosselnd an den mitteleuropäischen Aufgaben des Donaureiches. Kein eingeschworener Marxist, immer eine ausgeprägte Eigenpersönlichkeit in den Führerreihen des österreichischen Sozialismus. Aus dem Untergang der alten Monarchie rettet er seinen Glauben an das kleiner, ärmer gewordene Vaterland, hilft das bescheidene Blockhaus der ersten österreichischen Republik in den Stürmen der Jahre Achtzehn und Neunzehn zimmern, verteidigt es gegen Brandleger, muß als Führer der österreichischen Friedensdelegation das makabre Schauspiel von Versailles und St.-Germain aus der Nähe miterleben, den tragödienhaften Irrtum siegesberauschten Machtwahns, den frühen Ursprung des zweiten Weltkrieges. Immer wieder erkennt er und wirkt er nach der Erkenntnis, daß die wahre Staatsweisheit ferne von den Extremen ihren Weg sucht, vielmehr zugeneigt ist dem Zusammenbinden, dem Vereinigen der Gegensätze innerhalb der aufbaufähigen und aufbauwilligen Elemente. So wird er abermals einer der Baumeister der zweiten österreichischen Republik, der das gewonnene System der Zusammenarbeit der beiden großen Staatsparteien nicht als einen bloßen Notbehelf, als die Krücke ansieht, die man bei nächster Gelegenheit fortwerfen wird, sondern als unentbehrliches Bestanderfordernis, von dem verbissene Doktrinäre und Wildlinge und die Totalisten der Ein-Partei-Herr-schaft fernzuhalten sind.

Wir Menschen der christlichen Weltanschauung und ihrer Durchsetzung auch im öffentlichen Leben trafen den Parlamentarier Karl Renner oft als hartnäckigen Gegner, aber nie als verbohrten Feind. Er schätzte die gelassene Aussprache, und nicht selten führte sie zum Ziel. — Die fünf Jahre der Bundespräsidentschaft Dr. Karl Renners wurden zur Krönung des Lebenswerkes eines Staatsmannes der alten Schule in den Anliegen und Aufträgen der neuen Zeit. Es ist ergreifend, daß der schon dem Tode Nahe seine Neujahrsbotschaft niederschreiben wollte, sie aber als sein politisches Testament hinterläßt:

.So nehme ich den Jahreswechsel zum Anlaß, um Euch, alle Männer und Frauen von Österreich, zu bitten, in dem gleichen Geiste, in dem Sie die ersten fünfeinhalb Jahre schwerster Prüfung, überstanden haben, auch im kommenden Jahre und in allen künftigen Jahren fest zusammenzustehen, alle Sonderinteressen dem gemeinsamen Besten unterzuordnen, insbesondere aber weiter geschlossen und entschlossen für die Freiheit der Republik zu kämpfen.“

Dies Wort verdiente auf eherner Tafel in der Säulenhalle des Parlaments zum feierlichen Mahnmal zu werden.

Wer wird als Nachfolger in der Bundespräsidentschaft der erstberufene Vollstrecker dieses Testamentsauftrages sein? Zufolge den nach ihrer Aufhebung durch das Hitlerregime im Dezember 1945 wieder uneingeschränkt in Kraft gesetzten Bestimmungen der Zweiten Bundesverfassungsnovelle vom Jahre 1929 ist die Wahl des neuen Bundespräsidenten in einer allgemeinen Volksabstimmung unter Wahlpflicht aller für den National-rat Wahlberechtigten zu vollziehen — zum erstenmal, denn Bundespräsident Renner wurde 1945 noch nach der alten Verfassung durch den Bundestag gewählt. Nach der gesetzlichen Vorschrift hat die Ausschreibung der Wahl „sofort“ nach dem Verwaistwerden der Bundespräsidentschaft zu erfolgen. Bestehen für die Volksgemeinschaft mehrere Kandidaturen, so entscheidet die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen für den Gewählten; erreicht keiner der Aufgestellten diese Stimmenanzahl, so wird in einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit der größten Stimmenanzahl das endgültige Volksvotum ermittelt. Die Absicht des Gesetzgebers war, durch die Volksabstimmung die Würde des Bundespräsidenten, den das Verfassungsgesetz von 1929 mit besonderen Vorrechten, nicht unähnlich jenen des amerikanischen Staatspräsidenten, ausstattet, mit höchster Autorität zu umkleiden. Ein Wahlgang mit starker Stimmenzersplitterung, in dem sich politische Gegensätze erhitzen, würde den Sinn der Verfassung ins Gegenteil verkehren. Einem Volksabstimmungskrieg um das höchste Amt. der Republik vorzubeugen, wäre in der nächsten Zeit vor allem Sache der großen Parteien, der erste Akt zur Erfüllung des“ letzten Auftrages des Toten, vor dessen Geist und Lebenswerk jetzt Österreich an der Bahre huldigt..

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