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Das Volk will träumen

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Wie republikanisch sind die Österreicher? Keine leichte Frage - wobei die Schwierigkeit weniger in dem liegt, wonach gefragt wird, also die republikanische Gesinnung der Österreicher, sondern in der Überlegung, wie sind die.Österreicher überhaupt?

Sind sie gemütlich oder grantig, sind sie entgegenkommend oder abweisend, höflich oder unhöflich, selbstlos oder voll „uneigennütziger Gemeinheit“, sind sie offen oder sind sie falsch, aufmüpfig oder servil, gläubig oder skeptisch, treu oder

doppelzüngig, geradlinig oder immer nach einem Hintertürl schauend, arbeitsam oder faul, bescheiden oder überheblich, Vorkämpfer oder Nach-trappler, Denker oder Träumer?

Ein gescheiter Mann hat einmal gesagt, es könne alles wahr sein und das Gegenteil ebenso. Aber das „So-wohl-als-auch“, das gibt es nicht. Wahrscheinlich hat er gemeint, das dürfe es nicht geben, daß jemand sowohl als auch sei. Aber wenn man die oben angeführten Gegensätze betrachtet, dann muß man wohl zugeben, daß in den meisten Fällen beides zutrifft, daß die Österreicher sowohl als auch sind oder sein können. Ob sich das nun gehört oder nicht gehört.

Viele sind der Meinung, daß es sich nicht gehöre, und seit Jahrhunderten wird versucht, diesem Volk diese Ungehörigkeit abzugewöhnen, ihm seine Halbheiten auszutreiben, es auszurichten, es zu einem tüchtigen, ordentlichen und eindeutigen Volk zu machen, es endlich auf den rechten Weg zu bringen, es endlich aus seinem Schlendrian und aus seinen Zwiespältigkeiten zu lösen.

Den Endlosem, aber auch den Reformatoren und Schulmeistern war dieses Volk immer ein Greuel. Es ließ sich nicht einordnen, nicht katalogisieren, nicht zur Vollendung bringen,

„Den Endlosem war dieses Volk immer ein Greuel“

nicht perfektionieren, nicht fertigmachen. Das nicht Fertige, das nicht Perfekte, das immer Fragwürdige ist vielleicht das Einzige, was man über dieses Volk sagen kann, das keine Abbrüche-'und Umbrüche, keine Kehrtwendungen, sondern die Ubergänge hebt.

So ist auch seine Geschichte im wesentlichen keine Geschichte von Umstürzen, sondern von, Ubergängen. Ob das, was 1848 geschah, wirklich eine Revolution war, darüber streiten sich Historiker und Politologen. Bestimmt aber gab es 1918 keine Revolution. Ein Reich löste sich auf-was übrig blieb, suchte auf seine Art zu überleben. Da ringsum überall Republiken entstanden und ein Kaiser von Restösterreich wirklich ein Unding war, wurde auch Österreich zur Republik.

Aber es gab keinen Bruch. Die kaiserliche und die republikanische Regierung amtierten einige Zeit nebeneinander, aus den Hofämtern wurden Staatsämter, aus der kaiserlichen Hofkanzlei die republikanische Prä-sidentschaftskanzlei. Der Kaiser war nicht mehr da, aber die Menschen blieben.

Ob die Österreicher damals über Nacht Republikaner wurden? Die es nicht schon waren, wohl kaum. Aber auch die Republikaner waren Österreicher. Der letzte Waffengang der Männer der alten Armee, das war der Kampf der Schutzbündler im Jahr 1934. Sie kämpften so, wie schon Prinz Eugen von den österreichischen Soldaten gesagt hatte: „tapfer,

aber ohne Zuversicht“, verraten von ihren Führern, im Stich gelassen von ihren Genossen, auf verlorenem Posten.

Sie meinten, für die Republik zu kämpfen, und ihre Gegner meinten, für Österreich zu kämpfen. Daß es ein Bruderkampf war, bei dem es keine Sieger, sondern nur Geschlagene gab, das hatten sie erst begriffen, als sie sich im KZ wieder trafen. (

Die Frage, wie republikanisch die Österreicher sind, kann man erst in der Zweiten Republik stellen. Die Erste Republik war ein Zwischenreich, ein Staat, der mit sich selbst nichts anzufangen wußte, in dem die einen mit Wehmut zurückblickten und andere mit Sehnsucht über die Grenzen. Seine Identität hat das österreichische Volk erst in den Jahren der staatlichen Nichtexistenz gefunden. Aber auch das wieder zu sich gekommene österreichische Volk ist das Volk, das es immer war- das Volk der Zwiespältigkeiten und der Halbheiten, der Skeptiker, schon seit der Zeit der Kelten ein Volk der introvertierten Träumer, ein Volk der Widersprüche, das zwar an den Einklang dieser Widersprüche an eine „coinci-dentia oppositorum“ glaubte, aber nicht so naiv ist, anzunehmen, diesen Einklang zu finden, und nicht so vermessen, diesen Einklang selbst herbeiführen zu wollen.

Heute gehört die Republik zur Identität der Österreicher. Sie sind Republikaner, aber ein wenig monarchistische Republikaner - oder soll man sagen, sie sind in ihrer Seele Monarchisten? Dann aber wohl eindeutig republikanische Monarchisten!

Der Einklang wurde gefunden, als nach 1945 die Bundespräsidenten in die Hofburg übersiedelten. Nur die Sozialisten konnten so etwas veranlassen, und daß sie es taten, zeugt für ihre Integration in dieses Österreich. Als dann sogar ein ehemals kaiserlicher Offizier, der General Körner, als Bundespräsident in der Hofburg „residierte“, da hatte sich wieder einmal ein österreichisches Wunder ereignet.

Seitdem hat das Volk noch jeden Bundespräsidenten „verkaisert“, auch einen so schlichten Arbeiter wie Jonas. Es umgibt die Bundespräsidenten mit den Attributen kaiserlicher Majestät: allmächtig, allwissend, allgütig. Und seitdem Österreich gar einen Bundespräsidenten hat, der als überzeugter und gläubi-

„Das Volk hat noch jeden Bundespräsidenten verkaisert - auch Jonas“

ger Katholik zu Fronleichnam hinter dem „Himmel“ geht, da ist die Identifikation mit dem alten Kaiser nahezu vollständig!

Wo sind die Zeiten, da sich diese Republik vor der Einreise Otto Habsburgs fürchtete, da man einen Generalstreik riskieren wollte? Manchmal kennen sich die Österreicher anscheinend selbst nicht. Vielleicht sind die Österreicher, wenn man so will, „Monarchisten“, aber sie sind bestimmt keine Legitimisten. Otto Habsburg ist ein ehrenwerter Mann, aber die Österreicher brauchen ihn nicht. Ihrem Bedürfnis nach „Kaiserlichkeit“ entspricht der vom Volk gewählte Bundespräsident in der Hofburg vollkommen. Und reformiert möchten sie auch heute nicht werden.

Das Volk will nicht. Seine Widerborstigkeit gegen alle Vernunft ist auch ein keltisches Erbe. Das Volk will weiter träumen, es will nicht an der Spitze aller Fortschrittlichkeit marschieren, es weiß, daß man sich viel ersparen kann, wenn man nicht immer alles gleich mitmacht.

Die Frage heißt nicht: Wie republikanisch sind die Österreicher? Sondern: Wie österreichisch sind die Österreicher?

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