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Keine Rückkehr zur Verfassung von 1920

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Diese Einsicht, daß eine Exekutive ohne einheitliche Spitze eine latente Gefährdung des Staates ist, hat in Deutschland dazu geführt, daß die Kompetenzen des Bundespräsidenten im Bonner Grundgesetz geringer sind als die des Reichspräsidenten der Weimarer Republik, dessen Stellung sich mit der des österreichischen Bundespräsidenten vergleichen ließ. Theodor Eschenburg schreibt ausdrücklich, diese Kompetenzbeschränkung sei erfolgt, „um den abträglichen Dualismus zwischen Staatsoberhaupt und Regierung, wie er in der Weimarer Zeit bestanden hat, zu beseitigen“.

Abschaffung der Volkswahl?

Von Dr. Paul Fritsch und Professor Anton Burghardt wurde in der „Furche“ (21 und 23/1965) die Abschaffung der Volkswahl des Bundespräsidenten zur Diskussion gestellt. Die Wahl des Staatsoberhauptes durch ein parlamentarisches Gremium wäre tatsächlich ein Mittel zur Bereinigung des strukturwidrigen Dualismus in der Exekutive. Die Änderung der Bestellungsmodalität müßte jedoch Hand in Hand gehen mit einer Beschneidung der Kompetenzen des Staatsoberhauptes, sonst wäre nicht nur im Effekt nichts gewonnen, sondern man könnte dann von den Politikern der Großparteien auch bei Aufhebung des Klubzwanges nicht erwarten, daß sie der Wahl eines noch so angesehenen Politikers der Gegenseite zustimmen, wäre dieser weiterhin viel mehr als bloßer Repräsentant. Das Ziel, den Bundespräsidenten auf einer breiten Basis aller wichtigen demokratischen Kräfte zu wählen, wäre dann nicht erreicht. Eine einschneidende Kompetenzverringerung des Staatsoberhauptes, etwa ein Zurückschrauben der Verfassungsentwicklung auf den Stand von 1920, erscheint aber nicht als angebracht. Die völlige Abhängigkeit der gesamten Exekutive vom Parlament hatte sich zwischen 1920 und 1929 nicht bewährt, da das zersplitterte Parlament von sich aus kein Motor für eine Regierung sein konnte, die nur als verlängerter Arm des Nationalrates erschien. In einer parlamentarischen Demokratie soll ein Staatsoberhaupt eine wichtige Funktion für den Fall besitzen, daß Parlament und Regierung ihre Handlungsfähigkeit aus irgendeinem Grund nicht effektiv einsetzen können. So kann der Bundespräsident ein letzter Sicherheitsfaktor für eine Demokratie sein.

Für den Fall eines Konfliktes zwischen Bundespräsident und Regierung werden aber gewisse Bestimmungen notwendig sein, welche die eventuell auseinanderstrebenden

Spitzen der Regierung harmonisieren sollen. Die Auswahl der juristischen Mittel ist dann sekundär. Man könnte für den Fall eines Konfliktes an eine Schiedsrichterrolle der Bundesversammlung denken. Ein anderes, weitaus einschneidenderes Mittel zur Beseitigung des Dualismus wäre, in letzter Konsequenz der Gewaltentrennung die Regierung ausschließlich dem vom Volk gewählten Präsidenten verantwortlich zu machen. Diese Lösung würde aber weitgehende Veränderungen von Verfassungswortlaut und von Verfassungswirklichkeit erfordern beziehungsweise bewirken.

Ein Konflikt der Repräsentanten der Vollziehung kann für den Staat eine Lähmung jeder Regierungstätigkeit und damit eine schwere Krise bedeuten. Die Spaltung der Exekutive In zwei Spitzen könnte zur Ursache dafür werden, daß gerade dann, wenn die Regierenden zum Schutz der Demokratie schnell und zielbewußt handeln müssen, eine Einheit des Handelns nicht gegeben ist. Nichts ist aber für eine Demokratie gefährlicher als die Abwesenheit der Macht vom Steuerrad der Demokratie.

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