6904851-1980_41_01.jpg
Digital In Arbeit

Rotweißroter Konsens

Werbung
Werbung
Werbung

Österreichs Bundesverfassungsgesetz ist 60 Jahre alt geworden, und siehe da: Alle finden, es habe sich, zumindest in der Zweiten Republik, bewährt - als „gemeinsamer Nenner, der heute alle im Parlament vertretenen Parteien verbindet" (so Bundespräsident Rudolf Kirchschläger), als „rotweißroter Konsens" und „Ordnung friedlicher Gesellschaftsveränderung" (Univ.-Prof. Manfried Welan), als „nüchterne Geschäftsordnung der Demokratie" (Abg. Heinrich Neisser).

Das heißt nicht, daß dieses Grundgesetz, auf dem alle Gesetzgebungs-, Ver-waltungs- und Rechtsprechungsakte der Republik beruhen, nicht ständiger Anpassungen bedürfte.

Politisches dazu wurde bei der Festsitzung der Bundesversammlung am 1. Oktober, Rechtstheoretisches und Praktisches vor allem auf einer Diskussionsveranstaltung des Informationsdienstes für Bildungspolitik und Forschung (ibf) im Wiener Palais Auers-perg am Vorabend schon gesagt.

Dort wurden von den Teilnehmern (Rechnungshofpräsident Broesigke, die Abgeordneten Fischer und Neisser, die Professoren Welan und Pelinka, Politiker/Professor Schambeck) folgende Reformgebiete umschrieben:

zeitgemäße Zusammenfassung und Neugestaltung der Grund- und Freiheitsrechte (sie wurde auch von Nationalratspräsident Anton Benya eingemahnt), Neu- bezw. Besserordnung der Gewaltenverteilung, der Bundesstaatlichkeit, des öffentlichen Haushalts-fechtes, der direkten Demokratie, des freien Mandats, der Minderheitenkontrollrechte und Abbau der Politikerprivilegien.

Auch das Fehlen einer gesetzlichen Verankerung der Sozialpartnerschaft kam wieder einmal zur Sprache. Gegen gesetzliche Detailregelungen sind praktisch alle.

Anton Pelinka plädiert aber wenigstens für eine „Normierung der Autonomie der Sozialpartner", weil die Verfassung ja auch pädagogischen Charakter habe und die politische Wirklichkeit wenigstens weitestgehend widerspiegeln sollte.

SPÖ-Obmann Heinz Fischer erinnerte daran, daß Österreichs Verfassung zusammen mit jener der Schweiz heute die älteste republikanische Verfassung Europas sei. Er nannte auch das Wahlrecht als Reformthema („aber scheinbar bin ich hier ein bisserl utopisch") und erhielt Sukkurs von Rektor Welan, der ein „mehrheitserschwerendes Wahlrecht", wie wir es derzeit haben, als „Strukturdefekt des Regierungssystems, das auf Wechsel aufbaut", bezeichnete.

Den Ausbau der Kontrollrechte möchte Fischer verständlicherweise „auf allen Ebenen" (also auch in Ländern und Gemeinden) betrieben sehen.

Konkret schlug dazu Univ.-Prof. Karl Korinek bei einer Festveranstaltung der Niederösterreichischen Juristischen Gesellschaft vor, daß etwa ein Drittel der Nationalratsabgeordneten die Möglichkeit erhalten sollte, das Verhalten von Ministern durch den Verfassungsgerichtshof kontrollieren zu lassen.

Korinek forderte auch Sanktionen für verfassungswidriges Nichttätigwer-den des Gesetzgebers (sein Beispiel: Kabelrundfunkgesetz), eine gesetzliche Regelung der Subventions- und Auftragsvergabe sowie eine Revision der Strafprozeßregeln für Untersuchungshaft im Licht der Freiheit der Person.

Ob Österreichs Bundesverfassung auch in einer Krise (Neisser: Bisher gab es eine Verfassungskrise nur 1963 in der Causa Habsburg) tragfähig bleibt, beschäftigt Theoretiker wie Praktiker. Fischer: „Um so eher, je weniger sie sich auf Detailregelungen einläßt".

ÖVP-Wissenschaftssprecher Heinrich Neisser forderte endlich mehr Öffentlichkeit für die Grundrechtedebatte und gab im Zusammenhang mit dem von Präsident Broesigke monierten freien Mandat (Artikel 56: „Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden") zu bedenken, daß auch eine Aufhebung des Klubzwangs den Abgeordneten nicht völlig frei machen würde.

Bisher Ungehörtes steuerte Anton Pelinka mit dem Vorschlag bei, den bisher in der Praxis geübten „Rollcnver-zicht des Bundespräsidenten" zugunsten des Bundeskanzlers auch verfassungsgesetzlich in der Form der Verfassung vor 1929 wiederherzustellen.

Eindeutig Uberholt ist laut Pelinka auch die Abgeordnetenimmunität: Wenn man von jedermann gesetzeskonformes Verhalten in jeder Situation verlangen könne, sei dies auch gewählten Politikern zuzumuten.

Der stellvertretende Bundesratsvorsitzende Herbert Schambeck berichtete von einem Besuch beim Verfassungs-formulierer Hans Kelsen, der ihm auf die Frage, warum er die Parteien nicht in die Verfassung eingebaut habe, erwiderte:

„Diese spielten damals noch keine so dominierende Rolle und deshalb habe ich sie vorausgesetzt." Dafür habe die neue spanische Verfassung auch den Verbänden (die bei uns die Sozialpartnerschaft tragen) eine klare Rechtsgrundlage verschafft.

Einen sehr originellen Gedanken brachte Welan in die Debatte ein, ohne damit einen unmittelbaren Widerhall bei seinen Diskussionspartnern zu finden: Die Verfassung des Staates sei nur mit Zweidrittelmehrheit abzuändern, was sinnvollerweise eine breite Konsensbasis für solche Änderungen erzwinge.

Aber wichtiger seien heute vielfach schon „subkonstitutionelle" Rechtsformen wie die Verfassung der Familie, der Schule, des Eigentums und (am al-lerwichtigsten vielleicht) der Massenmedien.

Diese Bereiche betreffende Gesetze und Gesetzesänderungen aber seien mit einfacher Mehrheit herbeizuführen. Deshalb sei so bedeutsam, auf welchen Wertekatalog sich alle politischen Parteien noch gemeinsam stützen, ehe die Differenzen und Differenzierungen beginnen.

Die FURCHE wird einige der bei der ibf-Diskussion versammelten Redner noch unmittelbar zu Wort kommen lassen. Ein wichtiges Sammelwerk („Das österreichische Bundesverfassungsgesetz und seine Entwicklung", Duncker & Humblot, 800 Seiten, DM 196.-) hat Univ.-Prof. Herbert Schambeck direkt zum Verfassungsgeburtstag herausgebracht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung