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Auslandsösterreichern stünde Wahlrecht zu
Interesse und Verständnis des Durchschnittsösterreichers für die Stâatsverfassung sind nach wie vor erstaunlich gering. Das mag die Veranstaltungen anläßlich der 60. Wiederkehr der parlamentarischen Beschlußfassung überdas Bundes-Verfassungsgesetz (die FURCHE berichtete darüber ausführlich) und auch die zahlreichen wissenschaftlichen Bemühungen aus diesem A nlaß zusätzlich rechtfertigen.
Interesse und Verständnis des Durchschnittsösterreichers für die Stâatsverfassung sind nach wie vor erstaunlich gering. Das mag die Veranstaltungen anläßlich der 60. Wiederkehr der parlamentarischen Beschlußfassung überdas Bundes-Verfassungsgesetz (die FURCHE berichtete darüber ausführlich) und auch die zahlreichen wissenschaftlichen Bemühungen aus diesem A nlaß zusätzlich rechtfertigen.
Aus der Vielfalt der Aktivitäten ragt ein 1980 erschienener Sammelband „Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung“ hervor. Von Univ. Prof. Herbert Schambeck herausgegeben, vereinigt das Werk eine stattliche Zahl österreichischer Verfassungsrechtswissenschafter in der Darstellung des Werdens, der Grundzüge und aktueller Probleme des österreichischen Bundesverfassungsrechts.
Im ersten Abschnitt setzen sich zunächst Felix Ermacora mit der Entstehung und Hans Spanner mit der Entwicklung des Bundesverfassungsrechts auseinander. Sodann . behandeln Heinz Schäffer Fragen der Interpretation des Verfassungsrechts und Richard Novak das Verhältnis zwischen Bundes-Verfassungsgesetz und Landesverfassungsrecht. Schon diese Arbeiten verbinden eindrucksvoll Historisches mit Aktuellem. Vieles ist freilich für den Fachmann nicht neu, wie etwa der Appell des ehemaligen Justizministers Hans Klecatsky, die zur Ruine gewordene Bundesverfassung im Wege einer Totalrevision durch ein neues Verfassungswerk zu ersetzen.
In einem zweiten Abschnitt werden die Baugesetze der Bundesverfassung erörtert. Herbert Schambeck setzt sich ausführlich mit dem demokratischen Prinzip auseinander, während Edwin Loebenstein Fragen des Rechtsstaates darstellt. Mit beiden Baugesetzen untrennbar verbunden ist der Komplex der Grundrechte; Probleme des Grundrechtsschutzes werden von Karl Kurinek und Brigitte Gutknecht bearbeitet. Peter Pernthaler und Fried Esterbauer schließen mit ihrem Beitrag zum Föderalismus.
Vor allem dieser Abschnitt gibt viel Information und ist daher auch für den verfassungsrechtlich nicht näher informierten Leser interessant. Die grundsätzliche Problematik kommt gleichwohl nicht zu kurz. So etwa dann, wenn Loebenstein das Spannungsverhältnis zwischen Staatszielen sozialer Art und freiheitsverbürgendem Rechtsstaatsprinzip anschneidet: „Weder Rechtsstaat anstelle von Sozialstaat oder vor Sozialstaat, noch Sozialstaat anstelle oder vor Rechtsstaat.“
Allerdings stellt sich gerade in diesem Zusammenhang die Frage, wie weit die Steuerpflichtigen noch belastbar sind und ob von der Verfassung her Grenzen bestehen bzw. errichtet werden können.
In mehreren Beiträgen, insbesondere aber in jenem von Pernthaler und Esterbauer, kommt die ßundesstaatsproble- matik zum Ausdruck. Österreich ist kein klassischer, sondern ein unitarischer Bundesstaat, in dem zentralistische Tendenzen nicht zuletzt durch die geltende Finanzverfassung unterstützt werden.
Im dritten Abschnitt werden die Staatsgewalten dargestellt, wobei Helmut Widder die Gesetzgebung, Peter Oberndorfer die Verwaltung, Robert Walter die Gerichtsbarkeit und Man- fried Welan zusammenfassend die Gewaltenteilung behandeln.
Auch hier verbietet die Fülle des Stoffes ein Eingehen auf Einzelheiten. Hervorgehoben sei die Ansicht Widders, wonach den Auslandsösterrei
chern schon nach geltendem Verfassungsrecht das aktive und passive Wahlrecht zum Nationalrat zustünde und die derzeitige Verweigerung des Wahlrechtes daher verfassungswidrig ist.
Von brennender Aktualität ist aber auch die Auseinandersetzung Obern
dorfers mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung an der Verwaltung (Bürgerinitiativen u. dgl.): Es sollten Rechtsformen überlegt werden, durch die eine organisierte und institutionalisierte Beteiligung vieler Parteien am Verfahren erreicht werden kann. Nach Oberndorfer wären Einrichtungen zu schaffen, die eine gezielte Wahrnehmung gleichsinniger Interessen am Verfahren gestatten.
Treffend sind auch die Ausführungen Welans am Schluß seines Beitrags über Gewaltenteilung: Institutionen einer Verfassung der Freiheit sollen in ihrem Zusammenwirken die Amtsträger zwecks Erhaltung der Freiheit kontrollieren. Kann aber die Verfassung die gesellschaftlichen Machtverhältnisse so steuern und streuen, daß keine der politischen Kräfte, daß keine der gesellschaftlichen Gruppen in der Lage ist, ihre Interessen als Interessen der Allgemeinheit absolut zu setzen? Wird der Kontrollwert der Institutionen der Freiheit nicht zwangsläufig geringer, wenn sie überwiegend von einer Partei besetzt sind, fragt Welan.
Mit Problemen der politischen, rechtlichen und finanziellen Kontrolle setzen sich im vierten Abschnitt Felix Ermacora und Ludwig K. Adamovich sowie Walter Schwab auseinander. Verfassungsrechtliche Probleme in den einzelnen Bereichen der Gesellschaftsordnung werden sodann im fünften Abschnitt erörtert. Hier befassen sich mit dem Bildungswesen Johannes Hengstschläger, mit dem Arbeitsrecht Theo Mayer-Maly, mit der Sozialversicherung Theodor Tomandl, mit der Wirtschaftsordnung Karl Wenger und mit dem Finanzsystem Dieter Bös. Der vorgegebene Raum verbietet es, auf diese vor allem für den speziell interessierten Leser bedeutsamen Beiträge näher einzugehen.
Ein sechster Abschnitt ist völkerrechtlichen Fragen gewidmet. Herbert Franz Köck behandelt verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem allgemeinen Völkerrecht und Manfred Rotter die Staatsverträge.
Gewiß weist der vorliegende Sammelband manche Überschneidungen auf, während anderseits das eine oder andere bedeutsame Problem, wie etwa die verfassungsrechtliche Stellung der Medien, eher zu kurz kommt. Insgesamt haben wir es aber mit einem unerhört instruktiven Werk zu tun, das jeder politisch Interessierte in die Hand nehmen sollte.
Der Autor ist Generalsekretär-Stellvertreter der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft.
DAS ÖSTERREICHISCHE BUNDES-VERFASSUNGSGESETZ UND SEINE ENTWICKLUNG. Von Herbert Schambeck (Hrsg.), Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1980, XXXII plus 800 Seiten, öS 1509,20
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