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Länder, nicht Provinzen

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Wer von Österreich aus nach Bayern fährt, sieht wenige Meter hinter dem Schild „Bundesrepublik Deutschland“ einen weiß-blau bemalten Pfahl mit einer Tafel, die das bayerische Staatswappen zeigt und die Aufschrift „Freistaat Bayern“. Die deutschen Zentralisten ärgert das, ihre Bemühungen jedoch, diese

Dokumentation bayerischer Selbständigkeit zum Verschwinden zu bringen, sind bislang gescheitert; nicht nur die Regierungspartei in Bayern, die Christlich-Soziale Union, sondern auch die Sozialdemokraten wehren sich einmütig gegen ein solches Ansinnen.

Nun, beide Parteien haben in nächster Zeit Gelegenheit, ihren Standpunkt zu verteidigen: die große Finanzreform naht. Seit vielen Jahren debattiert, ist das Gespräch nun in die entscheidende Phase getreten. Das Gutachten über die Finanzreform, von einer Kommission unter Leitung des Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Dr. Troeger, liegt seit vergangenem Jahr der Öffentlichkeit vor und hat zu breiten und heftigen Diskussionen geführt. In der Tat: die Schlußfolgerungen, die im Gutachten gezogen werden, würden bei einer Verwirklichung zu einem einschneidenden Strukturwandel der Bundesrepublik führen — und zwar nicht nur auf finanziellem Gebiet. Dieses Dokument liefert den erneuten Beweis, daß mit einer Änderung des Finanzwesens grundlegende Änderungen der politischen Struktur möglich sind. Bezeichnend auch, (laß in unserer wirtschaftsorientierten Zeit ökonomische Argumente über staatspolitische und gesellschaftspolitische gestellt werden.

Allerdings: diese Einstellung entbehrt in manchem nicht der zwingenden Gewalt der modernen Entwicklung. Der Integrationsprozeß der Völker wird durch den Integrationsprozeß der Wirtschaft vorbereitet und auch vertieft. Die Wissenschaft kümrr.jrt sich kaum noch um“Staatsgrenzen, es besteht bereits — den meisten noch nicht bewußt — eine Ökumene der Forscher. Bestimmte Entwicklungen sind national nicht mehr zu bewältigen; kontinentale Dimensionen ersetzen einzelstaatliche.

Und trotzdem: das Kleine hat weiter seine Lebensberechtigung. Der Kardinalsatz von der Subsidiarität, der in der christlichen Theorie und Praxis seine hervorragendste Ausbildung erfahren hat, ist auch durch die neuesten Entwicklungen nicht überholt. Wo immer eine Ebene für

die Bewältigung einer Aufgabe ausreicht, ist es unangebracht daß eine höhere eingreift und sich diese Aufgabe usurpiert. Nach diesem Modell arbeitet im staatspolitischen Bereich der Bundesstaat.

Das „Troeger-Gutachten“

Nach Artikel 30 Grundgesetz der

Bundesrepublik Deutschland ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. In der Praxis liegt das Schwergewicht der Gesetzgebung beim Bund als dem Gesamtstaat, das Schwergewicht der Verwaltungszuständigkeit bei den Ländern als den Gliedstaaten. Als höchst bedeutsame Ausnahme ist jedoch die Kulturhoheit der Länder festzuhalten — der Bund hat hier nur sehr beschränkte Rechte. Dieses föderalistische System der Kompetenzverteilung ist im Laufe der letzten Jahre öfters durchbrochen worden, und zwar fast ausschließlich von Seiten des Bundes zuungunsten der Länder. Wirtschaftliche, juristische oder finanzielle Gründe waren dafür in der Regel maßgebend und meist auch überzeugend. Als Ergebnis stellte sich aber eine zunehmende Diskrepanz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit heraus, die zu ernsten Störungen im föderalen Zusammenleben führen kann und auch schon geführt hat. Dies war der ausschlaggebende Grund für die Ausarbeitung des „Troeger-Gutachtens“. Seine wesentlichen Thesen seien kurz hier dargestellt:

• Der kooperative Föderalismus. Unter diesem Begriff (der sprachlich unhaltbar ist, weil er einen Pleonasmus bildet) wird ein aktives Staatsprinzip verstanden; „er verwirklicht den Ausgleich zwischen einer klaren Aufgabenabgrenzung, ohne die eine Ordnung des Bundesstaates nicht denkbar ist, und der bundesstaatlichen Kräftekonzentration, die den höchsten Wirkungsgrad des öffentlichen Mitteleinsatzes gewährleistet“. Medium der neuen Zusammenarbeit sollen neue Institutionen sein. Deren wichtigste sind:

• Die Gemeinschaftsaufgaben. Darunter sollen Aufgaben verstanden werden, die gemeinsam von Bund und Ländern getragen werden. Die bisherige Regelung von Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern reicht dafür nicht mehr aus, da die Ansprüche des Bundes in die verfassungsmäßig garantierten Kompetenzen der Länder fallen.

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